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Noch mal umdrehen. An elf Feiertagen können Berliner 2020 länger im Bett bleiben – neu ist der 8. Mai, der Tag der Befreiung, der 75. Jahrestag des Kriegsendes. Foto: Getty Images/iStockphoto

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Ausschlafen statt Arbeit: Welchen Einfluss die Zahl der Feiertage auf die Wirtschaft hat

Berlin hat in diesem Jahr einen Feiertag mehr. Das freut Arbeitnehmer. Doch nicht jeder ist begeistert von der neuen Regelung.

Im Westen ist er kaum bekannt, im Osten wird er schon seit Jahrzehnten gefeiert: Der Internationale Kindertag. Am ersten Juni beschenken Eltern den Nachwuchs, auch in Kindergärten und Schulen stehen die Jüngsten im Mittelpunkt. Der Grund: 1950 führte die DDR den Internationalen Kindertag am ersten Juni ein. Doch in diesem Jahr feierte Thüringen erstmals nicht nur einen, sondern gleich zwei Kindertage. Neuerdings ist der Weltkindertag der Vereinten Nationen am 20. September dort ein Feiertag.

Der Weltkindertag in Thüringen, der Weltfrauentag in Berlin und der Reformationstag in den Nordländern: Sie alle haben etwas gemein. Die Regierungen der jeweiligen Bundesländer haben den Feiertag erst innerhalb der vergangenen zwei Jahre eingeführt. Und noch etwas teilen die Länder: Vor Einführung der neuen freien Tage zählten sie zu den Ländern mit den wenigsten Feiertagen. Während in Bayern die Menschen an 13 Tagen im Jahr zu Hause bleiben können, konnten es die Berliner lange Zeit nur an den neun bundesweit geltenden Feiertagen.

Streng genommen gibt es die meisten Feiertage in Hessen, denn dort ist jeder Sonntag offiziell ein Feiertag. Tatsächlich haben wohl bayerische Arbeitnehmer die meisten freien Tage. Wer dort in einer überwiegend katholischen Gemeinde wohnt, kann 13 Mal ausschlafen. Augsburger sogar 14 Mal, denn nur dort feiert man am 08. August das Augsburger Friedensfest mit einem gesetzlichen Feiertag.

Der Osten hatte Nachholbedarf

Für Berlin stellte der Regierende Bürgermeister Michael Müller 2018 in Aussicht, einen neuen Feiertag finden zu wollen. Es gebe keinen Grund, warum die Berliner zurückstehen sollten, so die Argumentation damals. 2020 haben die Berliner sogar zwei Feiertage mehr als noch vor zwei Jahren. Denn Rot-Rot-Grün hat sich nicht nur auf den Weltfrauentag als neuen Feiertag geeinigt. Zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs ist auch der Tag der Befreiung am 8. Mai einmalig ein Feiertag.

Ähnlich ist es in Thüringen: Auch hier führt seit 2014 eine Rot-Rot-Grüne Regierung das Land. Schon 2017 beschlossen die Linke auf ihrem Parteitag, einen zusätzlichen Feiertag beschließen zu wollen. Inzwischen können Thüringer elfmal im Jahr ausschlafen.

Für Andreas Schubert, den wirtschaftspolitischen Sprecher der Fraktion die Linke im Thüringer Landtag, bedeutet der neue Feiertag viel mehr als nur ein paar zusätzliche freie Stunden. „Wir hatten Nachholbedarf“, sagt er. Was er damit meint: Die Schere zwischen Ost und West beziehe sich seiner Meinung nach nicht nur auf den Lohn – sondern eben auch auf Feiertage und Überstunden.

Denn die Thüringer Arbeitnehmer arbeiteten im Jahr 2018 etwa 65 Stunden mehr als der Bundesschnitt, so Schubert. Sandro Witt, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hessen-Thüringen, argumentiert ähnlich. „Dieser Feiertag ist bereits durch die abhängig Beschäftigten finanziert und erarbeitet“, findet er. Eine Studie der Firma Compensation Partner, die etwa 215.000 Angaben von Beschäftigten aus Deutschland analysiert hat, kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die Thüringer mit 3,01 wöchentlichen Überstunden noch unter dem Bundesdurchschnitt von 3,03 Stunden liegen.

Jeder Feiertag kostet Geld

Warum genau sich so viele Parlamente ausgerechnet in den vergangenen Jahren für einen neuen Feiertag entschieden haben, weiß keiner so genau. Der Wissenschaftler Christoph Schröder vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat zumindest eine Theorie: Er sieht das Jubiläum des 500. Reformationstags am 31. Oktober 2017 als Auslöser dieser Entwicklung. Vor zwei Jahren hätten die verschiedenen Bundesländer gesehen, dass es auch mit einem Feiertag mehr gut funktioniere. „Die Forderung nach einem neuen Feiertag ist auch eine populäre Forderung. Vermeintlich kostet er schließlich nichts“, sagt Schröder. Doch jeder gesetzlich freie Tag kostet Geld.

Wie viel genau zeigt wohl am besten der Buß- und Bettag. Als 1994 der Bundestag und der Bundesrat die Soziale Pflegeversicherung als Pflichtversicherung beschlossen, sollte dafür ein bundesweiter gesetzlicher Feiertag an einem Werktag wegfallen. So wollte die Politik die Arbeitnehmer entlasten, die genau wie die Arbeitgeber den Beitrag je zur Hälfte zahlen. Nur in Sachsen besteht der Feiertag bis heute - und kostet die dortigen Arbeitnehmer 0,5 Prozent höhere Beiträge an die Pflegekassen als die Bewohner anderer Bundesländer.

Als 1995 der Buß- und Bettag in allen Bundesländern außer Sachsen abgeschafft wurde, berechnete der Sachverständigenrat die Kosten des Feiertags. Schröder vom IW Köln hat den Ansatz des Sachverständigenrates genutzt und an heutige Verhältnisse angepasst. Er kommt auf mehr als sechs Milliarden Euro, die ein Feiertag kostet. „Bei einem freien Tag gehen schnell mindestens 0,1 Prozent der Jahres-Wirtschaftsleistung des jeweiligen Bundeslandes verloren“, sagt er.

Das BIP hängt an den Feiertagen

Der sogenannte Kalendereffekt zeigt zudem, wie viel Einfluss Feiertage auf das Bruttoinlandsprodukt haben. Mit dem Kalendereffekt ist gemeint, dass im kommenden Jahr weniger Feiertage auf einen Wochentag fallen und dementsprechend die Zahl der Arbeitstage im Vergleich steigt. So soll das BIP nächstes Jahr allein deshalb um 0,4 Prozentpunkte steigen.

Allerdings trifft nicht jeder Feiertag die Wirtschaft gleich schwer. So beeinflusst ein freier Tag im Sommer die Baubranche beispielsweise wesentlich stärker als einer im Winter. Ein freier Samstag bringt hingegen dem Einzelhandel besonders viele Verluste. Sogar für die Arbeitnehmer selbst kann ein zusätzlicher Feiertag negative Effekte nach sich ziehen, sagt Schröder: „Die Spielräume für eine Lohnerhöhung könnten sich verringern.“ Das ließe sich nicht direkt auf den Feiertag zurückführen, sei aber dennoch spürbar. Verantwortlich dafür seien die höheren Lohnkosten an einem Feiertag, die der Unternehmer zahlt und nicht mehr für eine generelle Lohnerhöhung nutzen kann.

Jeder zusätzliche Feiertag schlägt sich in den Bilanzen des Einzelhandels nieder.
Jeder zusätzliche Feiertag schlägt sich in den Bilanzen des Einzelhandels nieder.

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Auch in Thüringen lassen sich die Kosten für die Firmen beziffern. Ute Zacharias, Sprecherin des Verbandes Wirtschaft Thüringens, spricht von 72 Millionen Euro. Der Verband ist ebenfalls von den Zahlen des Sachverständigenrats ausgegangen und rechnete damit, dass die Wirtschaftsleistung des Landes um 0,12 Prozent sinkt. „Hinzu kommt, dass der Sonderweg Thüringens auch im Hinblick auf andere Bundesländer von Nachteil ist“, sagt Zacharias. Wenn es nach den Unternehmen gehe, gebe es nur bundesweite Feiertage.

Unterschiedliche Regelungen der Länder machen Probleme

Denn die verschiedenen Regelungen führen zu verschiedenen Problemen. So sei es schwieriger, sich landesübergreifend abzusprechen und Lieferketten einzuhalten. Zwar haben Bayern und Baden-Württemberg noch mehr Feiertage. Doch mit den beiden südlichen Ländern sei das vergleichsweise kleine Thüringen ihrer Meinung nach nicht vergleichbar. „Man vergleicht hier Äpfel mit Birnen“, sagt sie.

Das sieht auch der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Martin Henkel, so. Viele Menschen würden in der Nähe der Grenze zu den benachbarten Ländern leben. Wenn die Geschäfte am Weltkindertag geschlossen bleiben, fahre man einfach nach Bayern oder Hessen. „Da geht doch auch Kaufkraft verloren“, findet er. Zudem zeige der Kindertag am 1. Juni seiner Meinung nach, dass sich auch ohne einen zusätzlichen freien Tag Zeit mit der Familie verbringen lässt.

Noch ein weiteres Problem sieht er für die pendelnde Bevölkerung nahe der Landesgrenze. Denn wenn Kindergärten und Schulen schließen, müssten auspendelnde Eltern einen Tag Urlaub nehmen. Schubert von den Linken kann den Ärger rund um Feiertage nicht nachvollziehen. Er kenne viele Firmen in seinem Wahlkreis Gera, die den zusätzlichen freien Tag wohlwollend angenommen haben.

Tatsächlich scheinen sich so manche Unternehmer an Feiertagen nicht zu stören. So hat die Agenturgruppe MSM.digital mit Sitz in Hamburg und Lübeck kurzerhand die katholischen bayerischen Feiertage in den Norden importiert. Vielleicht wird auch der Thüringer Weltkindertag noch zum Exportschlager.

Lisa Oder

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