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Matthias Wissmann (67) ist seit 2007 Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA). Im Oktober wurde er auch als Präsident des Weltverbands der Automobilhersteller (OICA) gewählt. Der frühere CDU-Politiker war 1993 Bundesminister für Forschung und Technologie sowie von 1993 bis 1998 Bundesverkehrsminister.

© picture alliance / dpa

Auto-Präsident Matthias Wissmann im Interview: „Wir wollen überall vorne dabei sein“

Matthias Wissmann, Präsident des Autoverbandes VDA, über die Sorge vor Trumps Protektionismus, grüne Verkehrspolitik und ein zweites Leben für den Diesel.

Herr Wissmann, gehen Sie eine Wette ein?

Das kommt auf die Wette an.

Wetten, dass Sie es in zehn Monaten mit einem grünen Verkehrsminister einer schwarz-grünen Bundesregierung zu tun haben?

Das ist eine von vielen Möglichkeiten. Aber solch ein Blick in die Glaskugel bringt wenig. Am Ende kommt es immer auf die konkrete Person und ihr Programm an.

Schwarz-Grün ist kein Horrorszenario?

Entscheidend ist nicht die Farbpalette, sondern der thematische Anstrich der künftigen Regierungskoalition. Ich war – etwa in meiner Zeit als stellvertretender CDU-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg – durchaus Befürworter einer schwarz-grünen Landesregierung. Damals hatte der wirtschaftspolitische Flügel der Grünen noch mehr Gewicht. Sollte sich aber in einer künftigen möglichen Regierungskoalition der linke Flügel der Grünen mit seinen Vorstellungen in der Industrie-, Verkehrs-, Energie- und Steuerpolitik durchsetzen, sehe ich erhebliche Risiken für hiesige Wertschöpfung und Arbeitsplätze.

Die Partei will neue Benziner und Diesel ab 2030 verbieten.

Nicht alle Grünen denken so. Diejenigen, die das fordern, ignorieren, dass wir nicht auf einer Insel leben, sondern im internationalen Wettbewerb stehen. Drei von vier Autos, die wir in Deutschland produzieren, gehen in den Export. Eine deutsche Festlegung, dass der Verbrennungsmotor ab 2030 nicht mehr zugelassen wird, macht daher industrie- und umweltpolitisch keinen Sinn.

Winfried Kretschmann sagt: Die Grünen müssen wirtschaftsfreundlicher, die Autoindustrie grüner werden, dann passt es.

Was uns angeht, ist das schon geschehen. Ein Teil der Grünen hat da noch eine lange Wegstrecke vor sich.

Was erwarten Sie von Donald Trump?

Ich hoffe, dass er als künftiger US-Präsident moderater agiert, als er es im Wahlkampf angekündigt hat. Wenn Trump vor allem auf die eigene Wirtschaft schaut, könnte das zulasten des internationalen Handels gehen. Das heißt für Deutschland und Europa, sie müssen verstärkt die eigene Wettbewerbsfähigkeit im Blick halten. Ich wünsche mir, dass der kommende US-Präsident die Vorteile des freien Welthandels für sein Land erkennt. Trumps erste Ankündigung, das transpazifische Handelsabkommen kündigen zu wollen, zeigt ja, dass er anfällig ist für Protektionismus.

Auch viele Beschäftigte Ihrer Branche fürchten um ihre Jobs.

Sowohl linke als auch rechte Populisten schüren hier unbegründete Ängste. Deutschland ist Exportnation. Fast jeder vierte deutsche Arbeitsplatz hängt vom Außenhandel ab. Ich bin, offen gestanden, immer wieder überrascht über den Mangel an Wissen über die Grundlagen unseres Wohlstands.

Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen zu laxer Kontrollen und Aufklärung in der Dieselaffäre eröffnet. 2017 geht es in Brüssel für Sie um wichtige Fragen wie die künftige CO2-Regulierung. Werden die Verhandlungen nun härter?

Ganz klar: Der Manipulationsskandal hat Vertrauen gekostet, auch über das betroffene Unternehmen hinaus. Das gilt es nun zurückzugewinnen. Zielführender als die Initiative der polnischen EU-Kommissarin sind der Blick in die Zukunft und die Frage, wie das System insgesamt verbessert werden kann. Mit dem Untersuchungsausschuss im Europäischen Parlament, der eingeleiteten Reform der Typgenehmigung und der umfassenden Gesetzgebung zu RDE sind bereits eine Reihe wichtiger Maßnahmen getroffen worden, um Transparenz herzustellen sowie präzisere und einheitlichere Regeln für die Zulassung von Neuwagen in Europa zu definieren.

In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, dass die Autoindustrie gezwungen werden muss: zu mehr Klimaschutz, mehr Ehrlichkeit, mehr Transparenz.

Dass wir in Teilen der Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben, bedauern wir. Und wir alle arbeiten daran, Vertrauen wieder aufzubauen. Vor allem mit überzeugenden Produkten, die immer sauberer und sparsamer werden. Allein in den vergangenen zehn Jahren haben die deutschen Hersteller die CO2-Emissionen neuer Pkw um 25 Prozent gesenkt. Wir verfolgen das Langfrist-Ziel „Null-Emissions-Auto“ mit großer Anstrengung. Die Politik sollte diesen Weg begleiten, indem sie uns fordert, aber auch das internationale Umfeld im Blick behält. Europa hat mit 95 Gramm pro Kilometer die strengsten CO2-Grenzwerte weltweit. Dazu kommt: In den letzten Jahren haben sich die Regulierer auf CO2 konzentriert. Aktuell geht es vor allem um Stickoxide. Technisch sind das gegenläufige Vorgänge.

Ist es dann eine gute Idee, weiter auf die Diesel-Technologie zu setzen?

Wenn Europa seine Klimaschutzziele erreichen will, geht es nur mit dem Diesel. Der Euro-6-Diesel verbraucht 15 bis 20 Prozent weniger als ein Benziner, stößt also weniger CO2 aus. Außerdem emittiert er deutlich weniger Stickoxide – und zwar im Labor und auf der Straße.

Aber Diesel- und Benzin-Fahrzeuge werden künftig sehr viel teurer.

Bei einigen kleineren Modellen könnte der Diesel künftig nicht mehr wirtschaftlich sein. Da kommt dann der Benziner oder der E-Antrieb zum Einsatz. Bei den größeren Modellen hingegen spielt der Diesel seine Vorteile aus. Klar ist: Die EU sollte mit Augenmaß agieren und die Regulierungsschraube nicht einseitig zulasten der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Hersteller überdrehen.

Aber sie wird die Autoindustrie sehr viel härter rannehmen.

Wir wissen, dass wir nach 2021 den CO2-Ausstoß weiter senken müssen. Aber eine effektive Regulierung schaut dabei nicht nur auf Neuwagen, sondern auch auf den Fahrzeugbestand. Auch in Biokraftstoffen oder klimaneutralen Kraftstoffen wie synthetischen E-Fuels liegt ein erhebliches CO2-Reduktionspotenzial.

E-Fuels, die aus Windkraft gewonnen werden, kosten noch vier Mal so viel wie herkömmlicher Sprit.

Im Moment, aber in einigen Jahren könnten die Preise bezahlbar sein. Dann hätten Benziner und Diesel ein zweites Leben.

Das ist Zukunftsmusik.

Alles ist Zukunftsmusik, das gilt auch für die Frage, wann es einen Massenmarkt für Elektroautos geben wird. Deswegen arbeitet die deutsche Autoindustrie auf mehreren Gebieten gleichzeitig, wir wollen überall vorne mit dabei sein. Auch den Verbrennungsmotor werden wir noch lange brauchen, vielleicht ja in Zukunft mit E-Fuels.

Das klingt nicht nach einem vehementen Plädoyer für E-Autos.

Ich bin seit den Anfängen der Nationalen Plattform ein überzeugter Verfechter der Elektromobilität. Aber: Sie macht ökologisch nur dann Sinn, wenn sie in der gesamten Wertschöpfungskette klimaneutral ist – von der Produktion über den Betrieb bis zum Recycling.

Sie klingen wie ein Umweltaktivist.

Die Elektromobilität ist ein Schlüssel für die Mobilität der Zukunft, aber klar ist auch: Würde sie von heute auf morgen flächendeckend vorgeschrieben, würden ganze Wertschöpfungsstufen wegfallen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung in Deutschland. Aber es gibt auch große Chancen. Der Weltmarkt für Autos wird weiter wachsen, bald werden weltweit 100 Millionen neue Autos verkauft – die meisten davon mit Verbrennungsmotor. Die Elektromobilität wird schneller wachsen als der Gesamtmarkt. Aber der Verbrennungsmotor bleibt auf der Agenda. Vieles, was wir uns mit der Elektromobilität in Europa leisten können, wird man sich in Südamerika oder Afrika nicht leisten können.

So kann ein Konzern denken, aber kein kleiner Zulieferer.

Wir werden in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren einen Mix bei den Antriebsarten haben: Benziner, Diesel, Plug-in-Hybride und rein batterie-elektrische Autos. Vor allem die Zulieferer erweitern derzeit ihr Geschäftsmodell und investieren massiv in Elektromobilität und Digitalisierung. Und wir bleiben exportorientiert.

E-Autos brauchen kein Getriebe, keine Auspuffanlagen, keine Bauteile mehr, die heute noch von Lieferanten produziert werden.

Sie treffen einen wichtigen Punkt, wenn es um die Zulieferer der zweiten und dritten Reihe geht. Die Großen – Bosch, Continental, ZF, Elring Klinger und andere – sind mitten in der Transformation. Bei den Zulieferern der Zulieferer sieht es anders aus. Dort ist die Marge kleiner und der Kostendruck höher. Hier kommt es darauf an, ein innovatives Produkt zu haben.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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