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Wirtschaft: Autokorso für den Arbeitsplatz

Der Druck auf die Berliner Siemens-Beschäftigten wächst: Entweder sie arbeiten länger, oder die Produktion geht ins Ausland

Flugblätter, Demonstrationen, Autokorso: Beim Aktionstag der Siemens-Mitarbeiter am Freitag spulen Betriebsräte und Gewerkschafter ihr gesamtes Protestprogramm ab. In Berlin treffen sich die Beschäftigten vor dem Verwaltungsgebäude am Rohrdamm zu einer Kundgebung, um ihrem Ärger über die mögliche Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen Luft zu machen. „Bei Siemens ist heute kein Job mehr sicher“, schimpft Konzernbetriebsrat Georg Nassauer.

Die Arbeitnehmervertreter fürchten, dass in Deutschland mehr als 40 Prozent der 170 000 Stellen wegfallen könnten. Siemens-Chef Heinrich von Pierer will den Mischkonzern mit einem drastischen Kostensenkungsprogramm für die Weltmärkte fit machen. Egal, ob bei der Handyfertigung, der Produktion von Lampen oder dem Bau von Waschmaschinen, dem Konzern sitze die Konkurrenz aus Fernost oder den USA im Nacken, argumentiert von Pierer. Dem Unternehmen bleibe keine andere Wahl, als Arbeitsplätze ins billigere Ausland zu verlagern und gleichzeitig die Kosten im Inland zu drücken.

Im Bosch-Siemens Hausgerätewerk (BSH) in Spandau, in dem Waschmaschinen gefertigt werden, gingen in den vergangenen Jahren 500 Jobs nach Polen und in die Türkei. Von den derzeit noch 1150 Stellen werden in den kommenden drei Jahren weitere 400 wegfallen, berichtet Betriebsrat Güngör Demirci. Grund für die schlechte Situation des Berliner Werks ist nach Angaben des Unternehmens die Nachfrageschwäche in Deutschland und der Preisverfall bei Waschmaschinen. „Bisher wissen wir noch nicht, ob das Nachfolgemodell für den aktuellen Toplader in Berlin gefertigt wird“, sagt Demirci. „Ist das nicht der Fall, steht das gesamte Werk auf der Kippe.“ Um die Berliner Produktion zu retten, will der Betriebsrat Zugeständnisse machen. Die Mitarbeiter verzichten auf Zulagen und akzeptieren eine längere Jahresarbeitszeit. Damit sollen pro Jahr acht Millionen Euro eingespart werden. Ob das Management zustimmt, sei aber noch unklar.

„In der Fertigung stehen alle deutschen Standorte auf dem Prüfstand“, sagt Klaus Hoppe, Betriebsrat für die Netzwerksparte in Berlin. „Wir haben große Angst, dass es uns noch mal erwischt.“ Im Werk für optische Übertragungssysteme, wo Anfang der 90er Jahre noch 2500 Mitarbeiter – überwiegend Frauen – Leiterplatten bestückten, arbeiten heute noch 600 Leute. Fest stehe, dass im Bereich Gebäudemanagement 55 von 220 Stellen nach Erlangen und in die Schweiz verlagert werden. „Siemens will die Zahl seiner Standorte reduzieren“, sagt Hoppe. Das sei eine weitere Strategie von Siemens, um die Kosten zu senken.

„Im Siemens-Gründungsort Berlin gehört der Stellenabbau seit Jahren zum Alltag“, sagt Konzernbetriebsrat Nassauer. Seit der Wiedervereinigung baute der Konzern mehr als 10 000 Arbeitsplätze in der Stadt ab. Derzeit beschäftigt Siemens noch rund 16 000 Mitarbeiter in Berlin. Und es geht weiter bergab: „Ein so großer Produktionsstandort wie Berlin wird sich (...) mittel- und langfristig nicht in dieser Größenordnung halten lassen“, heißt es in einer Stellungnahme von Siemens zum vergangenen Geschäftsjahr. „Die Niedriglohnländer in Osteuropa liegen vor der Berliner Haustür.“

Siemens selbst hält sich mit Aussagen zur weiteren Entwicklung des Standorts zurück. Trotz der Schwierigkeiten sei Berlin inzwischen „sehr solide aufgestellt“, sagt Gerd von Brandenstein, Leiter des Berliner Büros von Siemens. „Die Werke haben in den letzten zehn Jahren einen grundlegenden Strukturwandel vollzogen.“ Die Stadt kommt deshalb in der aktuellen Diskussion um Arbeitsplatzverlagerungen recht glimpflich davon, sagen selbst die Berliner Betriebsräte. Von einem weiteren Jobabbau in großem Stil ist ihnen derzeit nichts bekannt.

Dennoch wachse der Druck auf die Belegschaften. Zu Jahresbeginn sagte Siemens-Chef von Pierer erstmals öffentlich, dass er längere Arbeitszeiten durchsetzen will. Der neue Tarifvertrag mit der IG Metall ermöglicht eine Ausweitung der Wochenarbeitszeit auf betrieblicher Ebene. „Jetzt macht das Management in den einzelnen Standorten Druck, um die Arbeitszeit in Richtung 40-Stunden-Woche zu erhöhen“, sagt Gottfried Dolinski, Betriebsratschef des Berliner Lampenwerks der Siemens-Tochter Osram. Erst werde den Betriebsräten vorgerechnet, welche Einsparungen die Verlagerung der Produktion ins Ausland bringen würde. Dann, wie sich durch längere Arbeitszeiten die Kosten senken lassen. „Akzeptieren wir, bleibe die Produktion vorerst in Deutschland, heißt es“, sagt Dolinski. „Das ist Erpressung vom Feinsten.“ Im Berliner Osram-Werk könne man dem Druck noch standhalten, weil hier Hightech-Lampen für Autos oder Videoprojektoren gefertigt werden. „Das kann sich aber sehr schnell ändern“, sagt Dolinski.

Maurice Shahd, Friederike Ludewig

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