zum Hauptinhalt
Protest gegen die Schließung eines Werks von Peugeot in der Nähe von Paris: Die Autobauer haben ihre Überkapazitäten nur kaschiert und nicht abgebaut.

© dpa

Automärkte auf Talfahrt: Die Kunden, die Krise und die Droge

Für Neuwagenkäufer gibt es derzeit Rabatte wie selten zuvor. Die Autobauer drücken angesichts der Krise ihre Fahrzeuge mit aller Macht in den Markt. Doch die Gründe der Krise liegen tiefer. Wahrscheinlich wird es in den kommenden Jahren in der Branche zu Pleiten und Übernahmen kommen.

Lange lebte der deutsche Automarkt wie auf einer Insel der Glückseligkeit. Rundherum sind durch die Euro-Krise alle Märkte zusammengebrochen. Nur hierzulande schien der Absatz seltsam robust zu bleiben. Ähnlich wie auf dem Kapitalmarkt schien auch Auto-Deutschland unbeirrt nach vorne zu blicken. Aber, ebenfalls ähnlich wie in der Finanzbranche, hat die Krise jetzt auch den deutschen Binnenmarkt eingeholt. Das sehen zumindest Experten so.
"Die nächsten drei bis vier Jahre werden katastrophal", sagt Ferdinand Dudenhöffer. "Die Krise auf dem deutschen Automarkt fängt erst an." Mit diesen dramatischen Aussagen unterstreicht der Autoexperte des CAR Center Automotive Research der Uni Duisburg-Essen die derzeitige Lage auf dem Markt für Neuwagen. Das Problem sei, das schon seit Beginn des Jahres die Privatkunden fehlen. Von denen haben viele bereits auf die anhaltende Euro-Krise reagiert und ihre Investition in einen Neuwagen zurückgestellt. "Jetzt im Sommer kommt erschwerend hinzu, dass auch die Unternehmen immer zögerlicher werden", sagt der Auto-Experte.
Von dieser Entwicklung sind besonders die Hersteller kleinerer Fahrzeuge und die Importeure betroffen. Und genau dort dürfen sich Kunden derzeit über erhebliche Rabatte freuen. Bis zu 30 Prozent sind derzeit alleine schon durch Preisaktionen der Hersteller drin. Bei den Internethändlern kann sogar noch etwas mehr gespart werden. Dort gibt es für einzelne Modellreihen sogar über 30 Prozent.
Warum aber sind die Autobauer derzeit so rabattwütig? "Jetzt kommt die Krise zurück, die wir uns 2009 durch die Abwrackprämie schön gerechnet haben", sagt Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen. "Vielleicht kommt sie jetzt sogar verstärkt auf dem deutschen Markt an." Denn die Autos, die vor drei Jahren in hohen Mengen angeschafft wurden fahren noch eine ganze Zeit. Der Markt wurde auf Jahre hinaus verzerrt.

Überkapazitäten von 25 bis 30 Prozent

Der europäische Automarkt gilt schon länger als gesättigt. Durch die Abwrackprämie wurden zudem die Überkapazitäten der europäischen Hersteller kaschiert. "In den USA wurden 25 Autofabriken geschlossen. Hierzulande waren es nicht mal drei", sagt Diez. Ein strukturbedingter Reinigungsprozess, der in Europa schlicht weg gepeppelt wurde. Überall in Europa wurde mit milliardenschweren Programmen der Absatz von Neuwagen künstlich stimuliert.

Der Überfluss an Produktionskapazitäten wird in Europa auf 25 bis 30 Prozent geschätzt. Dabei unterscheidet sich die Auslastung natürlich erheblich. Es gibt Hersteller, die sogar noch Bedarf an neuen Fabriken hätten. Und es gibt welche, die deutlich zu viele Kapazitäten haben. An vorderster Stelle wäre hier Opel zu nennen. Bei den Rüsselsheimern ist der Absatz in diesem Jahr am deutlichsten eingebrochen. Im ersten Halbjahr verkaufte Opel 15 Prozent weniger Autos. Angesichts der Tatsache, dass es zuvor schon Überschuss gab, ist diese Entwicklung dramatisch.

Frankreichs Autobauer sind bedroht

Aber auch andere Autobauer befinden sich im Abwärtstrudel. Der französische PSA-Konzern mit seinen beiden Marken Peugeot und Citroën hat erst jüngst den Abbau von 8000 Stellen in Europa und die Schließung seiner Fabrik in Aulnay-sous-Bois bei Paris bekannt gegeben. Der Konzern darf allerdings auf Hilfe vom Staat hoffen. Morgen will Frankreichs Präsident François Hollande Details seines Plans zur Unterstützung der französischen Autoindustrie bekannt geben. Denn auch Renault geht es nicht gut. In Europa gingen die Verkäufe ebenfalls um 15 Prozent zurück, weltweit lag der Einbruch bei 3,3 Prozent. Dabei profitiert Renault von der Allianz mit Nissan und der Tatsache, dass der Konzern weltweit verschiedene Märkte bedient. Der PSA-Konzern hat den Sprung aus Europa in die Welt verschlafen. Das könnte sich jetzt bitter rächen.
Ähnliche Vorteile hat der italienische Fiat-Konzern, der sich mittlerweile über den Kauf von Chrysler riesig freuen dürfte. Denn die durch die Insolvenz entschuldeten Amerikaner schreiben wieder glänzende Zahlen und bieten den Italienern gleichzeitig ein ordentliches Händlernetz auf dem immer noch wichtigen US-Markt. Auch wenn da bisher nur wenige Fiats oder Alfas verkauft werden.
Ob der Boom in den USA allerdings so anhält, ist fraglich. "Wahrscheinlich wird der US-Markt nach den Wahlen im November wieder nachgeben", sagt Auto-Experte Diez. Denn dann wird wohl auch in der US-Wirtschaft die Eiszeit wieder das Zepter in die Hand nehmen. Dann dürfte es auch Chrysler wieder schlechter gehen, ebenso wie Ford und General Motors. Die "Big Three" aus Detroit verdienen derzeit glänzend zu Hause. In Europa sieht es hingegen mau aus.

China ist die deutsche Versicherung
Nur Asien und teilweise Russland macht den Autobauern derzeit so richtig Freude. Davon profitieren vor allem die deutschen Autobauer. Denn die dürfen immer noch jedes Quartal zweistellige Zuwächse im Reich der Mitte präsentieren. Für Premium-Autobauer wie Audi ist China bereits der größte Einzelmarkt. Und dass obwohl der chinesische Markt in diesem Jahr auch schwächelte. Ein Plus von fünf Prozent im Frühjahr galt schon das Zeichen der Krise, denn die China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) hatte mit acht Prozent gerechnet.
Allerdings agieren die Deutschen, selbst die Marke Volkswagen, im Bereich der Luxus-Automobile. Und die gehen immer noch gut. Willi Diez sieht den chinesischen Markt auch noch meilenweit von einer Sättigung entfernt. „Derzeit haben wir ein Volumen von 13 Millionen Neufahrzeugen pro Jahr in China. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass dort im Jahr 2020 rund 30 Millionen Autos jedes Jahr verkauft werden“, rechnet er das Potenzial des riesigen Marktes vor. Da ist noch reichlich Luft für alle Autobauer, die dort ordentlich aufgestellt sind.

Autobranche spielt Reise nach Jerusalem
Kritisch für die erfolgsverwöhnten deutschen Autobauer könnte höchstens die steigende Abhängigkeit von China werden. Es ist wie eine Droge. Immer mehr Autos werden in Fernost verkauft und kaschieren die immer wieder schwächelnden Märkte in Europa und dem Rest der Welt. Sollte es allerdings mal zu einem politischen oder wirtschaftlichen Beben kommen, dann könnte die Krise ganz schnell auch BMW, Mercedes, Volkswagen und Co. heimsuchen.

Das würde dann allerdings wohl alle Hersteller treffen. Denn richtig viel Geld lässt sich derzeit nur in China verdienen. Wer da nicht am Tisch sitzt, den holt derzeit der Krisenteufel. Und der macht große Konzerne schnell zum Übernahmekandidaten. Wie derzeit den französischen PSA-Konzern und Opel. Einst Stars der europäischen Automobilbranche. Ferdinand Dudenhöffer sieht die Branche vor einer Bereinigung, bei der wohl der ein oder andere Akteur vom Markt verschwinden wird. Wer das sein könnte möchte der Experte nicht sagen. "Das wäre Spekulation und den Unternehmen gegenüber nicht fair," sagt er. "Es gibt eine ganze Reihe schwacher Hersteller." Die Reise nach Jerusalem in der Autoindustrie hat begonnen. Wer am Ende ohne Stuhl dasteht wird wohl von Chinesen gekauft oder verschwindet ganz vom Markt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false