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Autotest: Im Kleinwagen Nano über die Straßen vom Mumbai

Platz verteidigt, Kollision vermieden: Erkenntnisse über das billigste Auto der Welt und die indische Gesellschaft.

Kaum berührt die weiße Stupsnase den freien Flecken am Straßenrand, ist der junge Mann schon zur Stelle. Kein Schild weist auf sein Geschäft hin, aber der Inder verdient auf diesen Metern in der Megametropole Mumbai sein Geld. 65 Rupien fordert er sofort. Umgerechnet ein Euro Parkgebühr ist nicht eben billig, beginnt doch die viel gepriesene wachsende Mittelschicht des riesigen Landes bei einem Monatseinkommen von 250 bis 300 Euro. Also nicht lange überlegen, ob es wirklich eine gute Idee ist, den Moloch Mumbai – das frühere Bombay – und seinen Irrsinnsverkehr in dieser kleinen Schüssel namens Nano zu erkunden. Schnell rein in den Flitzer – Achtung, Linksverkehr! –, den ersten der vier Gänge rein und los.

Jungfräulich weiß schiebt sich eines der wohl bekanntesten Autos der Welt ins Vormittagsgedränge. Aber wo kommen denn diese Kühe her? Lassen wir die fünf erst mal in Ruhe vorbeitrotten. Irgendwie kennt ihn jeder, den Tata Nano, das bisher billigste Auto der Welt. Es erinnert an Twingo und Smart, zierte nach der Vorstellung 2008 weltweit die Titelseiten, doch in Europa ist er bis heute nicht zu haben. Mit dem frechen Auto von gerade einmal gut drei Metern Länge für nur 100 000 Rupien (damals umgerechnet rund 1500 Euro) schockierte der indische Industrielle Ratan Tata weltweit die Autohersteller, die nichts Derartiges zu bieten hatten. Tata wollte mit dem Auto für ärmere Familien den Verkehr revolutionieren. Sie sollten sich nicht mehr auf zwei Rädern durch den Monsun quälen – Sohnemann auf dem Tank, Papa mit Helm am Lenker, Baby in der Mitte und Mama hintendrauf. Auch viele Deutsche wünschten sich so ein günstiges kleines Auto. Nach mehreren Ankündigungen, die nicht eingehalten wurden, antwortet Tata Motors im Moment allerdings nicht auf die Frage, wann der Winzling nach Deutschland kommen soll.

Wie auf einem kleinen Thron sitzt es sich auf dem schmalen beige-weiß getupften Fahrersitz. Erstaunlich viel Platz gibt es drinnen, zur Seite wie in der Höhe, vorne und auch für die beiden Passagiere hinten. Indische Familien würden vermutlich mehr Leute reinpacken, schließlich sind auch in Dreiradrikschas schon mal 20 Menschen unterwegs. Zu viel Gepäck sollten sie so oder so nicht dabei haben. Der Kofferraum ist mit 80 Litern verdammt klein, nur mit umgelegter Rückbank kommt man auf 500 Liter. Die meisten Taxen haben auch nicht mehr Platz, sie transportieren das Gepäck auf dem Dachträger. Den gibt es für den Nano aber nicht.

Ein Hauch von Luxus weht durch den Testwagen. Die LX-Version hat zwei Getränkedosenhalter, elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung, Ablagen in allem vier Türen und eine kräftige Klimaanlage. Ein Segen bei 33 Grad und all dem Staub da draußen in der Luft der Stadt. Was aber mag die Spritanzeige dazu sagen? An der Tankstelle verlangen sie aktuell umgerechnet 1,07 Euro pro Liter. Tata wirbt für den Nano mit den besten CO2-Werten eines Benziners in ganz Indien und rund vier Litern Verbrauch. Aber unter den Besitzern gilt der Zwerg nicht als Super-Ökomobil, denn im Stadtverkehr ist er durstiger.

Doch für langes Sinnieren ist in Mumbais Verkehr keine Zeit. Eine Hand am kleinen Lenkrad, eine am langen Schaltknüppel – und immer bereit, sofort zur Hupe mitten auf dem Lenkrad zu wechseln, das eindeutig wichtigste Teil des Autos. Vorbei an Münze und Stadthalle geht es zum belebten Wellington Circle, wo sich der Verkehr in alle Himmelsrichtungen verteilt. Warum in aller Welt fahren sie hier weiter, obwohl die Ampel Rot zeigt? Bloß nicht halten!

Mist, die erste Untiefe. Wenigstens nehmen die Mini-Räder auch das dicke Schlagloch nicht krumm. Ziemlich rasch ist klar, warum sich alles in der Mitte der Straße drängt: rechts will ständig wer abbiegen, dahinter ist Stau programmiert, links hält ständig wer unvermittelt an, Stau auch da. Transporter blockieren meist gleich zwei Spuren. Immerhin: Hartnäckiges Hupen hilft – auf jedem bunt lackierten Laster steht es sowieso drauf: „Horn please“. Mit der Mitte der Straße ist das allerdings so eine Sache, denn meist gibt es keine markierten Spuren. Um vorwärtszukommen geht es ohnehin vor allem darum, keine Lücke zum Vordermann entstehen zu lassen und jede sich bietende Lücke sofort zu besetzen. Was soll’s, wenn das dann irgendwo zwischen den wohl eigentlich mal geplanten Spuren ist. Das oberste Gebot aber ist: Ganz schnell alles verdrängen, was man je über Sicherheitsabstand gelernt hat, sonst ist man hier verloren. Einzige Alternative: gar nicht erst starten. Was bildet sich bloß dieser vorwitzige 7er BMW ein, der sich am Marine Drive vor einen quetschen will (ja, auch die gibt es hier)? Kommt ja gar nicht infrage. Ein scharfer Blick vom hohen Sitz durchs große Fenster – und kräftig hupen. Platz verteidigt, Kollision vermieden.

Fernab der Straße - der Tata ist nicht nur ein Kandidat für junge Familien

Spätestens jetzt stellt sich die Frage, ob der zweite Außenspiegel wirklich eine gute Idee ist oder nicht nur dazu einlädt, ihn abzufahren. Die meisten scheinen hier der Devise zu folgen, dass so viel Abstand zum Nebenmann reine Platzverschwendung ist. Viele Mopeds drehen ihre Spiegel gleich nach innen. Die dicken Busse kümmert das alles ohnehin wenig, sie schieben sich ohne Blinken (und vermutlich ohne einen Blick des Fahrers) in den Verkehr. Dick hat Vorfahrt. Den Kleinen hilft nur: ausweichen. Oder bremsen. Die Bremse ist eindeutig nach der Hupe das zweitwichtigste Teil.

Das gilt auch auf dem Weg hinauf nach Malabar Hill, eine der besseren Wohngegenden. Stoßstange an Stoßstange, mit Dränglern von rechts wie links, schiebt sich die Blechlawine die enge, kurvige Straße hinauf in den grünen Stadtteil. Ein Fehler beim Anfahren würde hier gleich mit einer dicken Beule vergolten. Aber auf den kleinen Nano ist am Hang Verlass. Trotz seiner nur 38 PS legt er spritzig los, weiter im zweiten Gang, rüber zum Dritten hakelt die Schaltung – aber da heißt es sowieso schon wieder runterschalten. Rasch ein Abstecher hinunter nach Teen Batti. Kein ganz so guter Plan. Wütend pustet ein Polizist in seine Trillerpfeife. Auf der schmalen, abschüssigen Straße kann nur ein Auto fahren. Er hat entschieden, der Nano von oben muss sofort zurücksetzen und wenden. Das klappt mit kleinem Wendekreis auch tadellos – sogar, ohne einen schrill hupenden Stau zu produzieren.

Aber wozu hat der Flitzer auf dem Tacho in der Mitte des Armaturenbretts eigentlich 120 stehen? Real ist bei 105 Stundenkilometern Schluss. Immerhin würde das sogar für die Berliner Stadtautobahn oder die Avus reichen. Egal, in Mumbai ist selbst auf der Schnellstraße offiziell maximal nur Tempo 60 erlaubt. Wenn überhaupt mal freie Bahn ist. Versuchen wir es auf dem Sea Link, der ausladenden Brücke nach Bandra. 75 Rupien (1,15 Euro) sind für Hin- und Rückweg fällig, Dafür gibt es neugierige Blicke der beiden Männer an der Mautstation – und endlich mal einigermaßen freie Spur. Natürlich hält sich kein Mensch an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Der Nano ist im vierten Gang allerdings doch eher gemächlich unterwegs. Nun, er ist kein Sportwagen. Zu lange stehen sollte er auch nicht. Um die Batterie bei Laune zu halten, muss der Motor pro Woche mindestens eine Viertelstunde laufen, mahnt ein Hinweis auf der Windschutzscheibe.

Bei dem Preis – auch wenn inzwischen mehr als 2000 Euro für den Nano fällig sind – darf man keine deutsche Hochwertverarbeitung erwarten. Beim Nano liegen die Kabel zwar hinter den Pedalen recht frei, die Batterie ist unverschalt unter dem Fahrersitz angeklemmt, und der Motor deutlich hörbar. Aber alles in allem ist der Nano schon in der indischen Version ein richtiges Auto zu einem verdammt günstigen Preis. Für den europäischen Markt müsste man wohl noch allerlei Sicherheitstechnik nachrüsten. So ein Modell würde rund 5000 Euro kosten, hieß es im vergangenen Jahr. Dafür sollen 68 PS und drei Zylinder im Angebot sein.

Der kleine Flitzer fährt aber auch in Indien noch längst nicht so oft herum, wie Ratan Tata es sich erhofft hatte. Erst musste Tata wegen heftiger Proteste sein fast fertiges Werk aus Westbengalen nach Gujarat verlegen, dann brannten ein paar Nanos ab. Die Stahlpreise stiegen, der Nano wurde teurer. Auch die Kosten für Sprit und Lebensmittel sprangen in die Höhe. Da überlegen sich junge Familien, ob sie die Investition fürs Auto (plus Kreditzinsen) überhaupt wagen. Und Konkurrent Bajaj hat gerade noch eine Billigvariante vorgestellt: Der RE 60 hat nur 20 PS, fährt maximal 75, hat eine Folie als Heckscheibe, Kostenpunkt: rund 2125 Euro. Gerade machen auch wieder Nachrichten die Runde, VW arbeitete an einem Billigauto für den indischen und chinesischen Markt, das noch unterhalb des Up angesiedelt sein soll.

Doch inzwischen hat eine andere Klientel den Nano entdeckt. Vor den Golfclubs sind sie zu finden, erzählt ein Geschäftsmann in Mumbai. Gutverdiener kaufen den Nano als wendiges Zweit- oder Drittauto für die überfüllte City. Die jungen Leute in Mumbai versammeln sich jedenfalls ziemlich interessiert um den weißen Nano. „Den würde ich auch gern kaufen“, sagt ein Angestellter träumend in der Nachmittagssonne. „Der hat viel mehr Platz als die anderen kleinen Autos.“ Warum kauft er ihn nicht? „Mam, ich wohne in Mumbai. Hier gibt es doch nirgendwo Parkplätze!“ Und wie aufs Stichwort ist der Parkgebührenkassierer auch schon wieder zur Stelle.

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