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Größte Höhe, tiefste Kälte. Fahrten bis auf 5300 Metern können in Berlin simuliert werden, bei minus 30 Grad.

© promo

Autozulieferer in der Hauptstadt: Testfahrt ins Berliner Hochgebirge

Die Ingenieursfirma IAV bietet der Autoindustrie mit einer neuen Prüfanlage, was sie sonst nur im Himalaya findet: extreme Höhenlagen und Temperaturen.

Der höchste Berg Berlins misst 5300 Meter. Man findet ihn in einer ehemaligen Omnibushalle der BVG in Charlottenburg, hinter dicken Betonmauern und schweren Stahltüren. Die Auto-Ingenieursgesellschaft IAV spricht vom „Himalaya“: Auf einem neuen Prüfstand, der so genannten Höhenklimarolle, kann IAV simulieren, wie Autos in extremen Höhenlagen funktionieren – oder versagen.

Eine solche Anlage gibt es in dieser Form nur einmal weltweit: Innerhalb von 26 Minuten und bei Temperaturen zwischen minus 30 und plus 40 Grad können Fahrzeuge bis auf 5300 Meter klettern und dort getestet werden – unabhängig von Wetter, Jahreszeiten oder Straßenverhältnissen. Bei Bedarf sitzt nicht ein Mensch, sondern ein Roboter am Steuer. Am Donnerstag wird der Hochleistungsprüfstand, dessen Bau 2015 begonnen wurde, der Öffentlichkeit vorgestellt.

13 Millionen Euro hat IAV investiert. Das Unternehmen, an dem VW 50 Prozent hält, ist mit weltweit 7000 Beschäftigten einer der größten Entwicklungsdienstleister für die Autoindustrie. 1500 Menschen arbeiten für IAV in Berlin. „Insgesamt hat die Investition rund 40 Jobs geschaffen“, sagt Betriebsleiter Ulrich Holthaus dem Tagesspiegel bei einem ersten, exklusiven Besuch der Anlage.

Jeder Hersteller muss für jede Höhe und Temperatur testen

Doch wozu braucht man in Deutschland einen solchen Prüfstand? In Europa erreichen die höchsten Pässe rund 2800 Meter, auch in den USA sind es nur etwa 3700 Meter. IAV folgt den Trends der Autoindustrie: In China, Südamerika und Indien – also auf den größten, wachstumsstärksten Automärkten – müssen Fahrzeuge auf bis zu 5300 Metern Höhe zuverlässig funktionieren. Vor allem Autos mit Turbolader und kleinem Hubraum kann hier buchstäblich die Luft ausgehen. Auch kommt es vor, dass Fahrzeuge in der dünnen Luft nicht mehr anspringen. „Jeder Hersteller muss jeden Antrieb für alle Höhen und Temperaturen testen“, erklärt Gerhard Buschmann, Mitglied der IAV-Geschäftsführung. In der Realität sei das aber teuer. „Die Höhenklimarolle bietet realistische Rahmenbedingungen zu etwa einem Fünftel der Kosten.“ IAV will 80 und 90 Prozent der Versuchsfahrten in Zukunft überflüssig zu machen.

Schleusen zum Druckausgleich wie in der Raumfahrt

Ohne körperlichen Einsatz der Testfahrer geht es aber auch in der Berliner Anlage nicht. Wie in der Raumfahrt werden die Ingenieure, die ans Steuer der Testwagen wollen, bei extremen Druckunterschieden zunächst in einer Schleuse an die Verhältnisse auf dem Rollenprüfstand gewöhnt. Die „Zelle“ ist von 60 Zentimeter dicken Betonmauern umgeben, tonnenschwere, rote Tore aus Stahl sichern die Zugänge. Auch für den Notfall ist vorgesorgt: Ähnlich wie bei extremen Abstiegsszenarien von Alpinisten müssen Mitarbeiter bei Feuer oder sonstigen Pannen schnell aus der Kammer befreit werden. Der Druckabfall entspricht dann im Extrem dem freien Fall aus großer Höhe: 100 Meter pro Sekunde. Bei einem geregelten „Auf- und Abstieg“ sind es 200 Meter – pro Minute.

Die Nachfrage nach Testfahrten auf den Berliner Rollen ist größer als erwartet. IAV profitiert dabei auch von einer strengeren Gesetzgebung: Bei der Messung von Abgasen im Realbetrieb (Real Driving Emissions = RDE) werden jetzt auch Testfahrten in bis zu 1300 Metern Höhe verlangt. „Je schärfer die Gesetze, um so mehr Arbeit ergibt sich für uns“, sagt Gerhard Buschmann, der den Bereich Dieselmotoren bei IAV leitet.

Nach dem Dieselskandal im Visier der Justiz

Nach Bekanntwerden des VW-Abgasskandals war auch die Berliner VW-Tochter ins Visier der Justiz geraten. Das Unternehmen bestätigt, dass es Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft gab. Man kooperiere mit den Behörden und habe Zeugenstatuts, heißt es. Der Verdacht: Die IAV-Ingenieure, die das Innenleben von Dieselfahrzeugen bestens kennen, wissen mehr vom Einsatz verbotener Software als sie zugeben. Gerhard Buschmann erinnert sich nach Bekanntwerden der „Diesel-Problematik“ vor allem an „viel Arbeit und viele Fragen“: Können wir die schlechten Ergebnisse nachvollziehen? Sind auch unsere Projekte betroffen? Es gebe durchaus Momente, in denen man stärker hätte hinterfragen müssen: „Geht das nicht besser?“, räumt der Ingenieur ein. Aber der Zeit- und Kostendruck sei enorm. „Man macht Kompromisse und oft nicht alles, was technisch möglich wäre.“

Die dünne Luft, in der sich die Branche beim Thema Diesel bewegt, ist auf der Höhenklimarolle von IAV erwünscht und erlaubt. In Berlin unternehmen alle großen Autohersteller künftig Fahrten in die Alpen, die Rocky Mountains, die Anden oder den Himalaya.

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