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Wirtschaft: Axel Hörner

Geb. 1959

Ein Frühstück mit Zeitung, Stullenbrett und Messer ohne Säge! Es war nicht Nachlässigkeit, dass er sein T-Shirt verkehrt herum trug. Die wulstigen Nähte störten ihn. Der Komfort war ihm wichtiger als die Konvention. Für die Archivierung der Fotos hätte ein Schuhkarton durchaus genügt, er aber baute sich seinen Kasten für die Bilder selbst, in stundenlanger Feinarbeit.

Axel hat nichts überstürzt in seinem Leben. Für alles nahm er sich die nötige Zeit, damit er am Ende sagen konnte: Nun ist es gut! Die selbst gefertigten Möbel in seiner Wohnung eignen sich als Erbstücke für die Kinder und Kindeskinder. Die Fotografien in der Kiste sind kleine Kunstwerke.

Axel arbeitete in einem kleinen Büro für Innenarchitektur und begeisterte seine Auftraggeber, jedenfalls diejenigen, die perfekte Planung und Stimmigkeit bis ins Detail zu schätzen wussten. Wenn es ihnen nur darum ging, die Rendite zu maximieren, war er der falsche Mann – zu gründlich, zu nachdenklich, zu langsam.

Seine Bewerbungsmappe für eine Professur an der Technischen Universität kann nun zurückgefordert werden. Axel hatte sich keine großen Hoffnungen auf die Stelle gemacht, er konnte und wollte sich nicht selbst anpreisen, und konnte sich kaum vorstellen, dass man ohne diese Fähigkeit noch etwas werden kann im akademischen Showbetrieb. Alle aber, die seine Präsentation kannten, waren sicher, dass Konkurrenten um die Stelle es nicht leicht haben würden.

In der WG in Rosenheim lebte Axel eine ganze Weile neben Susanne her. Da schien nichts zu laufen zwischen den beiden. Die zwei jedenfalls waren sich da einigermaßen sicher. Bis die Stunde gekommen war beim Klönen am Abendbrottisch, da lagen sie sich plötzlich in den Armen, und eine große Nähe blieb, achtzehn Jahre lang. Bis sie innerhalb von nicht einmal 24 Stunden auseinander gerissen wurden.

Nur so kurz brauchte ein seltener Bakterienstamm, um den großen, starken Mann zu töten.

Mit zwölf Jahren hatte Axel einen heftigen Fahrradunfall überlebt, die Milz musste damals entfernt werden. Jetzt war das wohl der Grund, dass eine für andere Menschen harmlose Infektion zum Kollaps führte. Ein Organ nach dem anderen versagte seinen Dienst. Die Angehörigen hatten es noch gar nicht fassen können, da ging die vorschnelle Nachricht schon durch die Medien: „In der vergangenen Nacht ist in Neukölln ein 45-Jähriger Mann an Meningitis gestorben.“

Axel und Susanne hatte wohl die Verschiedenheit ihrer Temperamente verbunden. Susanne ist spontan, geht auf die Menschen zu, liebt die Veränderung. Axel war von anderer Gangart. Am Morgen war er meist muffelig. Da saß er gern hinter seiner Zeitung und freute sich über nichts mehr als über eine leere Küche. Sein Brettchen lag vor ihm, das aus der Studentenbude, und ein Messer ohne Säge: Denn das gute Holz vertrug keine scharfe Bearbeitung. Und die Teeschale mittlerer Größe gehörte auf den Tisch, bei der Oberfläche und Tiefe ein gutes Verhältnis bilden.

Axel las gern Fachzeitschriften, Susanne liebt Gedichte. Nur wenige Tage vor Axels Tod las sie ihm ein Gedicht von Ingeborg Bachmann vor. Nach der schrecklichen Nachricht war es plötzlich wieder da:

Hinter der Welt wird ein Baum stehen,

eine Frucht in den Wipfeln,

mit einer Schale aus Gold.

Lass uns hinübersehen,

wenn sie im Herbst der Zeit

in Gottes Hände rollt!

Mit den zarten Worten dieser Zeilen fällt für Susanne der Schimmer eines Lichts in die so erbarmungslos um sich greifende Dunkelheit. Lilly, die dreijährige Tochter, erfasst die Situation noch nicht, Sohn Jakob will den Vater wieder haben. Trotzig fordert es der Sechsjährige immer wieder ein. „Wo ist Papa jetzt? Ich will wissen, wo Papa jetzt ist!“ Er wiederholt den Satz oft und schnell; so schnell, dass vorerst noch gar keine Lücke bleibt, um mit ihm über eine Antwort nachzudenken.

Jörg Machel

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