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Bahn Güter Streiks

© dpa

Bahn-Streik: Züge eines Kampfes

Die Lokführer arbeiten nicht mehr – an den Rampen und auf den Rangierbahnhöfen geben sich die Menschen entspannt. Wer genau hinsieht, bemerkt indes ihre Aufregung. Denn wenn das so weitergeht, wird es nicht so ruhig bleiben im Land.

Im Norden, im Hamburger Hafen, sitzt am Freitagmittag ein Mann in einem Pausenraum, mit den Fingern klopft er einen Takt auf der Fensterbank, tack, tacktack, tack, tacktack, tack. Zeigefinger, Mittelfinger, Zeigefinger, Mittelfinger. Im Süden, auf dem Güterbahnhof in Weil am Rhein, nahe der Schweizer Grenze, sehen zwei Bahnarbeiter in leuchtenden, orangefarbenen Anzügen nach den Weichen, einer ist mit dem Rasentrimmer auf dem schmalen Grünstreifen zugange. Und in Leipzig, in der Mitte des Landes, im Porsche-Werk, steht einen Moment lang alles auf der Kippe.

Die ersten 24 Stunden des Lokführerstreiks sind vorbei. Bei der Bahn sagen sie gerade, sie seien einigermaßen folgenlos verlaufen. 700 Züge seien liegengeblieben, 700 von 5000. Die Lokführergewerkschaft sagt, der Streik zeige Wirkung, er sei ein Erfolg. 1000 Züge stünden still. Und wer sich an den Gleisen im Land umsieht, der merkt, dass beide Recht haben, irgendwie.

Hamburg, Hafen, Burchard-Kai, der Pausenraum. Warten, mal sehen wann es weitergeht. Schwaden von Zigarettenrauch wabern durch die Luft, der Boden des Raums ist so grau wie der Himmel vor dem Fenster. Draußen spielt das Wetter Weltuntergang, Regentropfen hämmern an die Scheibe wie von einem Maschinengewehr abgeschossen. Dazu das Geräusch der trommelnden Finger. Der Mann – Wie heißt er? Was genau ist seine Aufgabe? Er winkt ab, er hat Gerüchte gehört, nachdem es verboten sei, mit der Presse zu reden – zieht den Reißverschluss seiner Schutzweste zu. „Nenn mich Karim, wenn du willst. Wir machen unseren Kram, die Bahn macht ihren.“

Er sieht aus dem Fenster und schüttelt sich. Lkws, beladen mit Containern, fahren vorbei. über das riesige Gelände. Weiter hinten, an der Kaimauer, stehen die Entladekräne, die aussehen wie gigantische Kampfroboter. Und dann kommt das Signal.

Karim streckt sich. Seine Kollegen im Hintergrund packen das Skatspiel zusammen und setzen ihre Helme auf. Es geht los, die „Beijing“ hat gerade angelegt und muss entladen werden, möglichst schnell, denn jede Stunde, die ein Schiff im Hafen liegt, kostet Geld. Karim geht raus.

Er läuft an endlosen Reihen von Containern vorbei. Sie stehen auf Waggons, bereit zum Abtransport. „China Shipping“ steht auf vielen oder „Transamericana“, der Hamburger Hafen ist das Nadelöhr, durch das in Deutschland fast der gesamte Überseeexport abgewickelt wird, der zweitgrößte Warenumschlagplatz Europas. Zehn Millionen Container, so genannte TEUs, werden hier pro Jahr umgeschlagen. Und der Burchardkai, der Containerterminal, spielt dabei eine besondere Rolle, hier wird jeder dritte Container verladen. Knapp 1000 Eisenbahnwaggons werden täglich be- und entladen. Karim sagt: „Es ist etwas ruhiger als sonst, aber unwesentlich.“ Er macht eine Pause, sein Blick wandert über die grüne Außenwand der „Beijing“. „Aber nicht, weil nichts reinkommt.“

Entscheidend ist, was im Hinterland passiert. Weil bei einem Streik auch die Container für den Export nicht zu den Terminals gelangen, gibt es zunächst kein Platzproblem, nur weniger zu tun, weil weniger Schiffe beladen werden. „Wir haben kein Problem hier“, hatte auch Claus Klöckner am Vormittag gesagt, Betriebsleiter des Eurokombi-Terminals am Burchardkai. Wenn der Streik weitergeht? „Nach fünf Tagen vielleicht“, er hatte mit den Schultern gezuckt und war zum Fenster gegangen. Er hatte nach draußen gedeutet, das Gelände ist schon ziemlich groß, sollte das wohl heißen, und dann hatte er gesagt: „Nach zehn Tagen wird der Streik zum Platzproblem. Bis dahin sind wir gelassen.“

Insgesamt kämen etwa 30 Prozent der Züge nicht im Hafen an, darunter vor allem solche, die Massengüter wie Kohle in den Hafen bringen. Viele Kunden, wie etwa BASF, hätten einfach rechtzeitig umdisponiert, indem sie Züge abbestellt und Binnenschiffe bestellt hätten. Außerdem würden ja nicht alle Züge stehen. In der Tat ist die Bahntochter Railion auf dem Hafengelände nur ein Anbieter unter 50 anderen – allerdings der bei weitem Größte.

Ein Zug rangiert, ein erster Container der „Beijing“ wird auf einen Waggon geladen, der Zug ist so lang, dass man sein Ende nicht sehen kann. Männer mit roten Sicherheitswesten stehen herum, sie vertäuen die Container. Sobald sie fertig sind, fährt der Zug wieder ein kleines Stück nach vorne. Richtung Abstellgleis.

Ein Sicherheitsmann steht in der Nähe, ob ihm irgendetwas besonderes aufgefallen sei, jetzt wo gestreikt wird? Eigentlich darf auch er nichts sagen, sagt er, er sieht sich um, er kommt näher, ganz nahe. Er sagt: „Es sieht aus wie immer.“

Der Hamburger Hafen war am Donnerstag von der Lokführergewerkschaft als Streikschwerpunkt genannt worden.

In Weil am Rhein, dort wo ein Bahnarbeiter mit dem Rasenmäher unterwegs ist und zwei andere die Weichen kontrollieren – „Wir erledigen Arbeiten, die sonst oft liegen bleiben“ – scheint es, als würde der Betrieb nur im Schongang laufen. Ruhiger, gelassener, einen Tick langsamer. Der Begriff gemütlich verbietet sich nur, weil ein eisig kalter Wind über die Gleise des Rangierbahnhofes fegt. Im Süden zeigen die wolkenverhangenen Berge des Schweizer Jura erste weiße Spitzen.

An diesem Morgen haben die Mitarbeiter oben im Führerhaus der drei riesigen Kräne auch einmal Zeit für eine Zigarette, auch ihre Namen müssen hier verschwiegen werden, denn die Bahnmitarbeiter dürfen nicht mit der Presse reden, derzeit erst recht nicht. Die Unternehmensspitze will sich nicht in die Karten schauen lassen. Vor allem nicht, was die Auswirkungen des Streiks angeht.

Normalerweise sind die Gleise jetzt voll belegt, sagt einer der Mitarbeiter des Umschlagbahnhofes. Stattdessen sind jetzt vier der sechs Gleise leer, auf einem der 400 Meter langen Züge stehen gerade einmal zwei Container. Die Lastwagen der Straßentransporteure fahren ohne Wartezeit vor und lassen sich beladen. Dann tritt wieder eine Pause ein. Heute ist nur die Hälfte der Züge gekommen, sagt ein Bahnmitarbeiter. Kommen Sie nächste Woche nochmal, das müssen wir das dann alles nacharbeiten.

Der Güterumschlagbahnhof in Weil am Rhein liegt an einer der wichtigsten Nord-Süd-Achsen der Deutschen Bahn. Rund 150 000 Container werden hier pro Jahr umgeladen, der Bahnhof ist ein Bindeglied zwischen den Häfen im Norden – Hamburg, Rostock, Lübeck – und Norditalien. Direkt daneben liegt ein Rangierbahnhof, in dem die Güterzüge des alpenquerenden Verkehrs neu zusammengestellt werden. Auch dort ist die Hälfte der 16 Gleise leer. „Uns fehlen die Züge“, sagt ein Eisenbahner und zuckt mit der Schulter. Dass im Bahnhof selbst keine Züge stehen blieben liegt auch daran, dass die Bahn einen Teil der Transporte an die Schweizer Bahn abgetreten hat und andere Transporte ohnehin in Kooperation mit der schweizerischen Bern-Lötschberg-Bahn abwickelt. „Außerdem haben wir hier noch viele Beamte, die heute im Einsatz sind“, sagt ein Rangierarbeiter.

In Ostdeutschland dagegen ist die Zahl der verbeamteten Lokführer gering, überproportional viele sind in der Lokführergewerkschaft organisiert. Ein paar Minuten lang wusste also niemand im Leipziger Porsche-Werk, ob es ein Tag wie jeder andere werden würde oder ein Tag, an dem etliche Millionen Euro verloren gehen, weil die Monteure keine Schrauben sondern Däumchen drehen. Gegen 5 Uhr 30 sollte der Zug mit den 180 Porsche-Cayenne-Karosserien aus dem slowakischen Volkswagenwerk in Bratislava ankommen. Zu diesem Zeitpunkt standen aber nach Angaben der Lokführergewerkschaft 95 Prozent der Züge auf dem ostdeutschen Schienennetz still. Würde auch der Lokführer des Güterzugs aus Bratislava in den Streik getreten sein, würden 180 Autos nicht produziert werden können. 180 Autos zu einem Durchschnittspreis von 75 000 Euro pro Stück, insgesamter, verlorengegangener Tagesumsatz also 13,5 Millionen Euro.

Doch der Zug kommt. Mit etwas Verspätung, aber das ist schon alles. Die über 100 Monteure, die am Freitagmorgen zur Schicht angetreten waren, können ihre Arbeit fortsetzen.

Der Streik der Lokführer berührt das Leipziger Porsche-Werk an seiner empfindlichsten Stelle: Ohne die tägliche Lieferung aus Bratislava stehen alle Fließbänder still, verlässt kein Neuwagen, auf den ein Kunde bis zu sechs Monate lang warten muss, das Werk. Es gibt kaum noch Lagerhaltung in modernen Industriebetrieben. „Unsere Produktion ist abhängig von der Bahn“, sagt Porsche-Sprecher Albrecht Bamler. Und natürlich stehe man in engem Kontakt mit ihr. Was auch heißen könnte, dass man ihr die finanziellen Konsequenzen eines Zugausfalls klarmacht.

Bei einem Großkunden wie Porsche zeigt sich die Bahn daher besonders bemüht. „Unternehmen der Automobilbranche haben natürlich Priorität“, sagt ein Bahnsprecher. „Wir versuchen, Lokführer zu finden, damit die Produktion nicht stillstehen muss.“ Man sei froh, dass dies bei Porsche geglückt ist.

Wer den Güterzug mit den Cayenne-Karosserien gestern letztlich nach Leipzig gefahren hat – das wissen nach eigenen Angaben weder Porsche noch Bahn. Peter Korleck, stellvertretender Vorsitzender des Lokführergewerkschafts-Bezirks Mitteldeutschland, ist sich jedenfalls sicher: „Meine Jungs waren das nicht.“ Es war einer der anderen.

Im Lauf des Tages wird immer deutlicher, dass diese Anderen nicht genug sind. Der Bahn gibt ihre gelassen Haltung vom Mittag auf. In Ostdeutschland sei der Güterverkehr fast zum Erliegen gekommen, sagt Bahnvorstand Norbert Bensel am Nachmittag. Und im Westen zu zwei Dritteln.

Und der Porsche-Sprecher Albrecht Bamler sagt: „Nun ist Gott sei Dank Wochenende. Und am Montag sehen wir weiter.“

Philipp Kohlhöfer[Weil am Rhein], Hamburg[Weil am Rhein], Franz Schmider[Weil am Rhein], Friederike Slansky[Leipzig]

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