zum Hauptinhalt
Romuald Schaber (54) stammt aus einer alten Bauernfamilie im Allgäu. Seinen Hof in der Nähe von Kempten bewirtschaftet heute jedoch überwiegend der 23-Jährige Sohn. Vater Romuald ist nämlich meist für den Verband Deutscher Milchviehhalter unterwegs und versucht, für die Bauern höhere Preise durchzusetzen. Notfalls schütten sie dafür – wie 2008 und 2009 geschehen – als Protest auch die Milch ihrer Kühe weg.

© Kai-Uwe Heinrich

Bauern warnen vor Milchschwemme: „Es wird produziert auf Teufel komm raus“

Romuald Schaber, Chef des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, über Billigmilch im Laden, Hochleistungskühe im Stall und Landwirte, die aufgeben müssen.

Herr Schaber, vor vier Jahren haben Sie Ihre Milch weggekippt, um gegen die niedrigen Milchpreise zu protestieren. Heute gibt es den Liter Vollmilch im Laden für 55 Cent. Wie viel bekommt der Milchbauer davon?

33 Cent. An der 55-Cent-Milch verdient niemand etwas. Das ist Dumping von der Produktion bis zum Ladenregal.

Warum macht der Handel das?

Der Handel nutzt seine billigen Eigenmarken, um die Leute in den Laden zu locken. Milch, Joghurt und Butter braucht man jeden Tag, die stehen hinten im Laden. Und auf dem Hin- und Rückweg kaufen die Leute eben noch andere Sachen.

Haben Sie damals, als Sie Ihre Milch auf die Straße geschüttet haben, noch weniger bekommen?

Nein, das war in etwa dasselbe. Ein Jahr zuvor hatten wir noch über 40 Cent für den Liter erhalten. Doch dann hat die Politik reagiert und die Milchquote, also die erlaubte Produktionsmenge, heraufgesetzt. Das war der Anfang vom Ende. 2009 haben wir teilweise nur noch 15 Cent für die Milch bekommen. Trotzdem hat die Politik weitergemacht. Die Milchquote wird Jahr für Jahr um ein Prozent angehoben, 2015 soll sie ganz auslaufen.

Wie viel Geld bräuchten Sie, um über die Runden zu kommen und Rücklagen zu bilden?

42 bis 43 Cent wären nötig. Viele Bauern verdienen zu wenig, um für ihr Alter vorzusorgen. Das ist ein Riesenproblem.

Wie viele Bauern geben ihre Höfe auf?

2010 hatten wir noch 93 000 Betriebe, jetzt sind es zwischen 80 000 und 85 000. Die, die jetzt aussteigen, haben oft nur eine Minirente von weniger als 500 Euro.

Sie haben auf Ihrem Hof 43 Kühe. Kann man davon leben?

Es gibt Betriebe mit 30 oder 35 Kühen, die davon leben können. Weil sie gut wirtschaften und weil ihr Betrieb ausläuft. Wenn man nicht mehr groß investiert, ist man zehn, 15 Jahre lang relativ wettbewerbsfähig. Für meine Familie trifft das aber nicht zu. Wir wollen unseren Betrieb weiterentwickeln. Das geht nicht mit 43 Kühen. Wir haben daher noch eine kleine Biogasanlage, wir bringen gegen Entgelt für andere Bauern die Silage ein, und wir haben unsere Dächer mit Fotovoltaik ausgestattet.

Die Tiere geben Milch. Jeden Tag. Egal, wie viel der Bauer dafür bekommt. Wie gut kann man da verhandeln?

Schlecht. Der Einzelne hat überhaupt keinen Einfluss. Aber auch die Genossenschaften, zu denen sich viele Bauern zusammengeschlossen haben, haben wenig Macht. Die größte Genossenschaft ist das Deutsche Milchkontor, ein Zusammenschluss von Humana und Nordmilch. Die produzieren und verarbeiten sieben Milliarden Liter im Jahr. Aber selbst wenn das Deutsche Milchkontor beschließen würde, weniger zu produzieren, stoßen einfach andere nach. Das verpufft.

Die Molkereien geben den Bauern die Preise vor?

Ja. Das soll sich jetzt aber durch das neue Milch-Paket der Europäischen Union ändern, das wahrscheinlich im April in Kraft tritt. Zumindest für die Privatmolkereien.

Inwiefern?

Es sind vier Dinge beschlossen worden: Die Mitgliedsländer können künftig Verträge zwischen Bauern und Molkereien vorschreiben. Darin müssen Preise, Mengen und Lieferzeiten festgelegt werden. Außerdem können sich die Bauern leichter zu Erzeugergemeinschaften zusammenschließen, auch grenzüberschreitend. Man darf – drittens – Branchenorganisationen bilden, in denen sich Bauern, Molkereien und der Handel austauschen. Außerdem soll künftig besser gekennzeichnet werden, woher die Milch kommt. Und auch unsere Forderung nach einer Monitoring-Stelle ist zumindest zum Teil berücksichtigt worden. Wir wollen eine europäische Stelle, die Mengenvorgaben macht und darauf achtet, dass diese eingehalten werden.

Das haben Sie aber in Brüssel nicht durchsetzen können.

Die Monitoring-Stelle wird zunächst nur den Markt beobachten und untersuchen, wer wie viel an der Milch verdient. Aber das ist schon mal ein erster Schritt.

Was passiert, wenn die Milchquote ausläuft?

Dann bekommen wir amerikanische Verhältnisse, mit gewaltigen Preisschwankungen und Spekulationen. Davor haben wir natürlich Angst. Wir wollen nicht Spielball der Märkte sein. Wir brauchen Stabilität. Davon profitieren letztlich alle – auch die Verbraucher. Als unsere Erzeugerpreise 2009 um 30 Prozent in den Keller gegangen sind, ist die Milch im Laden gerade mal um drei Prozent billiger geworden. Den Rest haben die Großmolkereien eingestrichen. Wir haben geblutet, und beim Verbraucher kam nichts an.

In Asien steigt die Nachfrage nach Milch. Ist das ein Ausweg, wenn die Preise in Europa zu niedrig sind?

Wir steuern auf eine Rekordproduktion bei der Milch zu. In Deutschland werden wir dieses Jahr erstmals die 30-Milliarden-Kilo-Marke knacken, bis 2008 waren es gut 28 Milliarden. Das liegt an der Ausdehnung der Milchquote, es wird produziert auf Teufel komm raus. Die Preise gehen schon wieder bergab. In den letzten Monaten ist massiv exportiert worden – vor allem Käse nach Russland. Das ging aber nur, weil die Preise niedrig sind und wir unsere Milch nicht kostendeckend verkaufen können.

Was bedeutet die Milchschwemme für den Preis?

Schwer zu sagen. In Frankreich haben die Molkereien angekündigt, für die neuen Verträge nur noch 26 Cent statt 32 Cent zahlen zu wollen. Das ist eine Katastrophe, denn in den letzten Jahren sind unsere Kosten – Saatgut, Düngemittel, Kraftfutter, Energie – enorm gestiegen, seit 2006 um 40 Prozent.

Werden Sie in diesem Jahr also wieder Milch wegschütten?

Das kann immer nur das letzte Mittel sein. Aber wir werden öffentlichkeitswirksam protestieren.

Eine Hochleistungskuh gibt bis zu 12 000 Liter Milch im Jahr. Geht das nur mit Doping?

Nein, aber die Leute, die schaffen, dass ihre Kühe so viel Milch geben, sind absolute Profis. Das geht nur mit Spezialfutter und einem ausgeklügelten Stallmanagement.

Wie viel Milch geben Ihre Tiere?

7500 Liter, Tendenz steigend. Wir finden, eine Kuh sollte vor allem Gras fressen. Und bei uns liegt die Grundfutterleistung – also das, was die Kühe liefern, wenn sie nur Gras und ein bisschen Mais bekommen – bei mehr als 5000 Litern, darauf sind wir stolz. Üblich sind 3500 Liter.

Wie lange lebt eine Kuh?

Eine Kuh kann 15 bis 20 Jahre alt werden. Aber das erlebt kaum ein Tier. Die deutschen Milchkühe geben zwei Jahre lang Milch, dann sind sie viereinhalb und werden geschlachtet.

Warum so früh?

Weil die Jungtiere leistungsfähiger und fitter sind und die älteren Kühe verdrängen. Die könnten aber sicherlich länger Milch geben, wenn sie sich nicht so verausgaben würden.

Was wird aus den Kühen, die geschlachtet werden?

Aus dem Fleisch wird Wurst gemacht. Die Vorderteile werden in Deutschland fast komplett von McDonald’s aufgekauft und zu Hamburgern verarbeitet.

Als Alternative zur Billig- und Ökomilch haben Sie die „faire Milch“ erfunden. Die Kühe bekommen vor allem Gras, Gentechnik ist verboten und die Bauern erhalten höhere Preise. Wann gibt es diese Milch in Berlin?

Wir sind im Süden gestartet, inzwischen sind wir in sechs Bundesländern vertreten. Wir wollen die Milch in den nächsten Monaten aber in ganz Deutschland verkaufen.

Hand aufs Herz: Schmeckt Ihre „faire Milch“ anders als die Milch für 55 Cent?

Ja. Sie ist süßer, weil mehr Gras drin ist. Je mehr Mais gefüttert wird, desto saurer schmeckt die Milch.

Das Interview führte Heike Jahberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false