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Volkswagen kommt nicht aus den Schlagzeilen: Der Abgasskandal hätte viel früher eingestanden werden müssen, sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

© AFP

Baustelle Volkswagen: Was Sie zum VW-Abgasskandal wissen müssen

Der Konzern steckt in der schwersten Krise seiner Geschichte – der Dieselskandal hinterlässt viele offene Fragen.

Der Abgasskandal reißt nahezu täglich neue Baustellen im Volkswagen- Konzern auf. Am Dienstag erklärte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) VW hätte die millionenfache Manipulation der Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen viel früher eingestehen müssen. Das Unternehmen mit seinen weltweit 600.000 Beschäftigten in 119 Werken steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Ein Überblick:

Führung und Familie

Mit dem Rücktritt von Volkswagen-Chef Martin Winterkorn und der Neubesetzung der Vorstands- (Matthias Müller) und Aufsichtsratsspitze (Hans Dieter Pötsch) ist die Führungskrise nicht beendet. Am Montag deutete sich an, dass Winterkorn nun doch – auf Drängen des Landes Niedersachsen und der Arbeitnehmer – alle seine verbliebenen Ämter aufgeben wird. Eigentlich wollte er Vorstandsvorsitzender beim VW-Ankeraktionär Porsche SE bleiben sowie an der Spitze der Aufsichtsräte von Audi und der Holding für die schweren Nutzfahrzeuge mit Scania und MAN. Auch die Suspendierung einiger Chef-Entwickler, vor allem des Winterkorn-Vertrauten Ulrich Hackenberg, hat die Suche nach den Verantwortlichen der Software-Manipulationen nicht beendet. Der Kreis der Mitwisser könnte größer als gedacht sein.

Hinderlich bei der Aufklärung und Kontrolle des Konzerns ist die Dominanz der untereinander tief zerstrittenen Eigentümerfamilien Piëch und Porsche, die über die Porsche-Holding 52,2 Prozent des VW-Konzerns halten. Zusammen mit den Arbeitnehmern und dem Land Niedersachsen verhindern sie gemeinsam, dass in den VW-Aufsichtsrat externe, tatsächlich unabhängige Kontrolleure einziehen.

Rückruf und Reparaturen

Mindestens bei elf Millionen Fahrzeugen in aller Welt wurde die Software zur Diesel-Abgasregulierung manipuliert. 6,5 Milliarden Euro hat der Konzern für Rückrufe und Reparaturen zurückgestellt. Niemand weiß, ob diese Summe ausreicht. Sie dürfte die Marke VW aber in die Verlustzone drücken. Spekuliert wird zudem, dass Volkswagen neben der bereits bekannten noch eine zweite Software nutzte, um Diesel-Emissionen zu schönen. Dieser Verdacht kam in einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg auf. Auch der US-Chef von VW, Michael Horn, hatte bei der Anhörung vor dem Kongress in der vergangenen Woche erklärt, Volkswagen habe den Antrag auf die Zulassung von Diesel-Wagen des Modelljahres 2016 zurückgezogen, weil die Umweltbehörden ein spezielles Hilfsgerät („Auxiliary Emissions Control Device“) zunächst prüfen müssten. Volkswagen stellte klar, dass es keine neuen Vorwürfe der Behörden gebe. Die zweite Software kom--me beim Warmlaufen der Abgasanlage zum Einsatz und liege zur Genehmigung vor. Unterdessen erreicht die Diesel-Krise Volkswagen auch in China. Auf dem stärksten Markt für den Hersteller müssen aber nur 2000 Autos in die Werkstatt. Diesel-Motoren spielen in China kaum eine Rolle.

Klagen und Schaden

Sammelklagen in den USA und Australien, Schadenersatzforderungen von Autofahrern und Anlegern, strafrechtliche Ermittlungen wegen Betrugs: Die juristischen Konsequenzen des VW-Skandals sind noch unabsehbar. Täglich melden sich Anwälte und Kläger. Auf der Schadensrechnung stehen zudem mögliche Steuernachzahlungen und die Rückforderung von Subventionen. Auch die Europäische Investitionsbank (EIB) prüft die Rückforderung von Milliarden-Krediten. Die EIB hat Volkswagen seit 1990 rund 4,6 Milliarden Euro an günstigen Krediten gewährt, mit denen unter anderem die Entwicklung sauberer Motoren vorangetrieben werden sollte. 1,8 Milliarden Euro davon sind offenbar noch nicht zurückgezahlt. Weil noch völlig unklar ist, welche Strafen und wem und warum der VW-Konzern Schadenersatz zahlen muss, schießen die Schätzungen ins Kraut. Auf bis zu 100 Milliarden Euro werden die Gesamtkosten der Affäre bisweilen taxiert. Aber: Auch General Motors (GM) war im Zündschloss-Skandal mit 124 Toten relativ glimpflich davongekommen. Der US-Autobauer zahlte 900 Millionen Dollar, im Gegenzug wurden die Ermittlungen eingestellt. Der Unterschied: GM hatte die Technik nicht wie Volkswagen vorsätzlich manipuliert.

Steht die Existenz des gesamten Zwölf- Marken-Imperiums auf dem Spiel? Bei einem Umsatz von 200 Milliarden Euro, einem Jahresüberschuss (2014) von elf Milliarden Euro und liquiden Mitteln von fast 18 Milliarden Euro in der Kasse ist dies noch kein Thema. Aber der VW-Konzern könnte kleiner werden.

Image und Modelle

Das Image der Marke VW hat schwer gelitten. Einen ähnlichen Einbruch haben Audi (ebenfalls von Manipulationen betroffen) und Porsche (nicht betroffen) nicht erlitten. Beide liefern die größten Beiträge zum Konzerngewinn, Porsche ist der profitabelste Autohersteller der Welt. Doch es wird lange dauern, bis VW den Vertrauensverlust am Markt wettgemacht hat. Zunächst dürften die Preise in den Autohäusern sinken – insbesondere für Diesel-Modelle. Und der Konzern wird Investitionen überprüfen, wie VW- Chef Müller angekündigt hat. Das wird auch die Modellpolitik treffen. So wird schon länger über das Ende des VW- Oberklassemodells Phaeton spekuliert – ein Lieblingsprojekt des im Frühjahr zurückgetretenen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch, ebenso wie das Engagement bei Bugatti, Bentley, Lamborghini und Ducati.

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