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Wirtschaft: Behindertengesetz: Schwerbehinderten sollen 50.000 neue Arbeitsplätze geboten werden

Viele Behinderte tun sich immer noch sehr schwer, einen Job zu finden. Nach dem bisherigen Behindertengesetz müssen zwar mindestens sechs Prozent der Beschäftigten in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst Behinderte sein.

Viele Behinderte tun sich immer noch sehr schwer, einen Job zu finden. Nach dem bisherigen Behindertengesetz müssen zwar mindestens sechs Prozent der Beschäftigten in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst Behinderte sein. Laut Arbeitsminister Walter Riester (SPD) haben sich im letzten Jahr jedoch mehr als drei Viertel der Arbeitgeber mit einer Ausgleichsabgabe von der Beschäftigungspflicht freigekauft. Zur Zeit beträgt sie für alle Unternehmen 200 Mark. Das Geld aus diesem Augleichsfond fließt bisher hauptsächlich in die Behindertenwerkstätten.

Das Behindertengesetz hat bisher wenig bewirkt. Die Beschäftigungssituation von Behinderten hat sich in den letzten Jahren eher verschlechert als verbessert. Allein in Berlin stieg der Anteil der schwerbehinderten Arbeitslosen verglichen mit März 1994 um 33 Prozent auf 10 374. Bundesweit waren im April 2000 vier Prozent mehr Schwerbehinderte ohne Arbeit als 1994. Das soll sich jetzt ändern. Bis zum Herbst 2002 sollen 50 000 der insgesamt 190 000 arbeitslosen Schwerbehinderten einen Job bekommen. Darauf einigten sich vor kurzem Vertreter der Behindertenorganisationen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll im Oktober in Kraft treten.

Wie sollen die 50.000 Arbeitsplätze geschaffen werden: Zum einen soll die Höhe der Ausgleichsabgabe zukünftig von der Anzahl der beschäftigten Behinderten im Betrieb abhängen. Je mehr Schwerbehinderte der Betrieb beschäftigt, um so geringer ist die Abgabe. Arbeiten in dem Unternehmen weniger als zwei Prozent Behinderte, so muss der Arbeitgeber ab Oktober sogar 500 Mark zahlen. Laut Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände könne das System der gestaffelten Abgabe Anreiz für Betriebe sein, verstärkt Schwerbehinderte zu beschäftigen. Da ist Bernhard Zajac vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg pessimistischer. "Durch die gestaffelte Quote werden auch die Verwaltungskosten steigen. Unterm Strich werden keine Kosten gespart."

Die neuen Arbeitsplätze sollen hauptsächlich in rechtlich selbstständigen Unternehmen entstehen, die im Durchschnitt 60 Prozent Schwerbehinderte beschäftigen, sagt Bernhard Zajac vom Landesarbeitsamt Berlin Brandenburg. "Bisher gibt es in Deutschland 300 solcher Integrationsfirmen mit rund 3000 Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte", sagt Gerold Schwarz, Berater der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Integrationsfirmen. Den Behinderten werden hier tarifliche und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse angeboten. "In den Behindertenwerkstätten haben sie nur ein Taschengeld bekommen."

In drei Jahren 50 000 neue Stellen für Behinderte zu schaffen, hält Schwarz jedoch für unrealistisch. Die erste Integrationsfirma in Berlin war die "Backstein Bäckerei im Jahr 1981." "Seit dem sind leider nur 38 Integrationsfirmen in der Hauptstadt hinzugekommen", bedauert der Berater. Integrationsfirmen sind häufig Gastronomie- und Handwerksbetriebe. Die verstärkte Arbeit am Computer und das Internet bieten neue Arbeitsmöglichkeiten für Behinderte. "Grundsätzlich gibt es überall Arbeiten, die auch Behinderte machen können", meint Schwarz. Das sieht Wolfgang Loehr vom Berliner Arbeitsamt West anders: "Es werden immer mehr Fachkräfte gefragt, Hilfsarbeiterjob fallen weg."

Den Gesetzentwurf des Bundeskabinetts sieht Loehr trotzdem positiv: Bisher waren Integrationsfirmen nicht im Gesetz definiert. Dadurch dass diese Unternehmen jetzt ofiziell werden, können sie auf noch mehr Fördermittel hoffen. Der Nachteil, der aus der Beschäftigung von Schwerbehinderten entsteht, soll ausgeglichen werden. Diese zusätzliche finanzielle Unterstützung soll aus dem Ausgleichsfond kommen. Bisher erhalten Integrationsfirmen die gleiche finanzielle Unterstützung wie Unternehmen, die nur ihre Pflicht erfüllen und sechs Prozent Behinderte beschäftigen. Wie hoch die zusätzliche Förderung von Integrationsfirmen tatsächlich sein wird, steht aber noch nicht fest. Nach dem neuen Gesetz soll die Beschäftigungsquote von sechs auf fünf Prozent gesenkt werden - eine Entlastung für die Arbeitgeber. Laut Arbeitsminister Riester gilt die Reform des Gesetzes zunächst nur für drei Jahre. Riester kündigte an, die Beschäftigungsquote wieder auf sechs Prozent zu erhöhen, falls die Integration von 50 000 arbeitslosen Schwerbehinderten verfehlt werde.

Großes Vorbild ist Italien. Hier sind seit Anfang der 70er Jahre in Integrationsfirmen 20 000 Arbeitsplätze für Schwerbehinderte geschaffen worden. "20 000 sind auch in Deutschland möglich", meint Schwarz.

Renate Hirsch

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