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Wirtschaft: Bei den Arbeitgebern haben sie keine Chance

Für viele Jugendliche sind staatlich geförderte Ausbildungsplätze die letzte Rettung vor der Dauer-ArbeitslosigkeitVON JOACHIM HOFERIn der riesigen Werkhalle stapeln sich Fernseher, alte Monitore, verschlissene Waschmaschinen.Der Elektroschrott der westfälischen 200 000 Einwohner-Stadt Hagen bedeckt den Boden der alten Fabrikhalle dennoch nicht einmal zur Hälfte.

Für viele Jugendliche sind staatlich geförderte Ausbildungsplätze die letzte Rettung vor der Dauer-ArbeitslosigkeitVON JOACHIM HOFER

In der riesigen Werkhalle stapeln sich Fernseher, alte Monitore, verschlissene Waschmaschinen.Der Elektroschrott der westfälischen 200 000 Einwohner-Stadt Hagen bedeckt den Boden der alten Fabrikhalle dennoch nicht einmal zur Hälfte.Zweieinhalb Tausend Arbeiter haben in den weitläufigen Backsteinbauten in Hagen früher Bleche für Krupp gewalzt.Vor fünf Jahren hat der Stahlkonzern das Werk geschlossen.Heute schieben Jugendliche hier die ausgedienten Apparate hin und her, zerlegen sie und sortieren die Einzelteile."Ich habe die Hälfte der 200 Heizungsfirmen in Hagen abgeklappert - ohne Erfolg", erzählt Christian.Jetzt arbeitet der 22jährige im Recyclingprojekt des Werkhofs Hohenlimburg e.V., einer gemeinnützigen Einrichtung, die jungen Menschen Arbeit gibt.Christian gehört zu den wenigen der 45 Jugendlichen, die überhaupt eine Ausbildung haben.Doch auch für ihn war das Recyclingprojekt in den alten Krupp-Hallen die letzte Rettung vor der Arbeitslosigkeit. "Die Väter, die ihre Kinder bei Krupp oder Hoesch unterbringen, die gibt es nicht mehr", sagt die Sozialarbeitern Marion Stahl und zeigt auf die maroden Gebäude rund um den Recyclinghof.Die Jugendlichen, die früher in einfachen Positionen bei den Stahlriesen untergekommen wären, stehen heute meist auf der Straße.Fast jeder sechste Jugendliche unter 25 ist in Hagen arbeitslos.Eine Situation, "so schwierig wie seit 30 Jahren nicht mehr", wie der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Heinz Dieter Mahlberg nüchtern bilanziert.Gemeinnützige Einrichtungen wie der Werkhof Hohenlimburg mit seinem Recyclingprojekt versuchen wenigstens einem Teil der arbeitslosen Jugendlichen eine Perspektive zu bieten. "Die viereinhalb Millionen Arbeitslosen in Deutschland werden wir so aber nicht wegkriegen", sagt Pit Krause, der sich seit mehr als zehn Jahren in Hagen um Jugendliche ohne Jobs kümmert.Daß es vor allem Haupt- und Sonderschulabgängern heute nicht mehr gelingt, eine Stelle zu finden, liegt für ihn daran, daß die anspruchslosen Jobs schlicht gestrichen wurden.Und da stimmen ihm die meisten der 45 in der alten Krupp-Halle zu: "Die Firmen stellen viel zu hohe Anforderungen", erzählt Jan.Beim Einstellungstest eines Großunternehmens war er blendend, doch mit seinem Zeugnis konnten die Personalchefs nichts anfangen."Mein Vater hat damals eine Freundin gesucht, und ich mußte den Haushalt machen.Tja, da war ich eben nicht so toll in der Schule", sagt er mit einem Achselzucken.Seine weiteren Berufschancen? "Weiß nicht", nuschelt er fast teilnahmslos, "eher pessimistisch"."Den Jugendlichen", erklärt Heinz Bischoff, "fehlt meist das Selbstvertrauen". Bischoff kümmert sich seit Jahren in Unna, einer Kreisstadt einige Kilometer vor den Toren Dortmunds, um die Beschäftigungsförderung."Über den Markt", betont Bischoff, "ist das nicht zu regeln, da bekommen diese Jugendlichen keine Stelle." In der Werkstatt Unna hingegen dürfen auch zwei behinderte 20jährige Geschwister eine Ausbildung machen - als Floristen."Ein Blumenladen würde die nie einstellen", weiß Bischoff aus Erfahrung, "die kommen überhaupt nur in einer sozialen Einrichtung wie der Werkstatt Unna unter." Dort binden die Mädchen die schönsten Sträuße.Verkaufen dürfen sie die Gebinde freilich nicht.So hängen die Preisschilder nur zu Übungszwecken an den Blumenkübeln: "Die anderen Betriebe würden sturmlaufen, wenn wir die Blumen öffentlich anbieten", erzählt Bischoff. Schon öfters seien Beschäftigungsmaßnahmen gescheitert, weil die Kammer oder Betriebe sich dagegen ausgesprochen hätten - aus Angst, von staatlich subventionierten Betrieben verdrängt zu werden.Finanziert werden die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nämlich fast ausschließlich aus Steuergeldern.Von der Privatwirtschaft sehen sich die gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaften noch von ganz anderer Seite bedroht: "Bei sechs Ausschreibungen sind wir bereits leer ausgegangen", sagt Dedor Nassowitz, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Dortmund.Seit diesem Frühjahr dürfen auch Private Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auflegen."Die sind meist billiger, weil sie Lehrern und Sozialpädagogen nicht den Tarif zahlen", betont Nassowitz."Wenn die Arbeitsämter als Vergabeorganisation dann nur auf den Preis schauen, haben wir verloren." Jahrelange Erfahrung und ausgewiesene Qualität blieben auf der Strecke.Dabei sind die Vermittlungsquoten der AWO im krisengeschüttelten Dortmund durchaus beachtlich.Fast zwei Drittel aller Jugendlichen in berufsbildenden Kursen konnten die Ausbilder in den normalen Arbeitsmarkt vermitteln.Die Jugendlichen, die anderswo vermutlich nie eine Lehrstelle gefunden hätten, fühlen sich bei der AWO gut aufgehoben, keinesfalls als Azubis zweiter Klasse: "Ob ich bei Hoesch oder bei der AWO in die Lehre gehe, ist doch egal", sagt der 20jährige Mustafa.Der junge Türke hofft, mit dem Gesellenbrief in der Tasche später bei einem Betrieb in Dortmund unterzukommen.Sich von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in die nächste zu retten, das will er nicht. "Maßnahmenkarrieren", wie Unnas Beschäftigungsförderer Bischoff das nennt, seien in den vergangenen Jahren üblich gewesen.Heute scheitern sie an den knappen öffentlichen Kassen.Das haben nicht zuletzt die erkennen müssen, die bislang die meisten dieser Maßnahmen angeboten haben - die Wohlfahrtsverbände."Ich glaube, daß wir an die Grenzen unserer Möglichkeiten stoßen", so Manfred Ragati, Bundesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt.Unterstützung bekommt der AWO-Chef von der Politik.Bei annähernd 20 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Dortmund wird es nämlich selbst dem Arbeitsminister bange.Das könne die Kriminalität schon fördern, findet Nordrhein-Westfalens zuständiger Minister Axel Horstmann, und verspricht, 1998 allen 10 000 langzeitarbeitslosen Jugendlichen in NRW ein Jobangebot zu machen.Viele anderen müssen vermutlich warten, bis auch sie lange genug arbeitslos sind, um vom Staat eine Ausbildung zu bekommen.

JOACHIM HOFER

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