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Wirtschaft: Bei heißer Mode sind die kühlen Briten vorn

Mit schneller Anpassung an Trends und ungewöhnlichen Werbegags steigen die Verkaufszahlen. US-Kaufhäuser lassen sich inspirieren

Vor etwa vier Jahren stagnierte sowohl in den USA als auch in Großbritannien der Verkauf von Frauenbekleidung. Heute haben die amerikanischen Läden immer noch zu kämpfen – die britischen dagegen boomen. Das Geheimnis der Briten: Topmode, schnelles Aufgreifen von Trends und das Einkaufen zum Erlebnis machen. Während die Amerikaner durch ewig gleiche, nicht unterscheidbare Läden trotten, werden den Briten rosa Einkaufswagen, riesige Bänke in Form einer Raupe und manchmal sogar 500 nackte Menschen auf den Rolltreppen geboten.

George Jones, der in den USA einige regionale Kaufhausketten führt, die zu Saks gehören, flog mit seinen Leuten vergangenen Sommer nach Großbritannien, um sich Geschäfte anzusehen. Er sagt, wenn man ein amerikanisches Kaufhaus neben einen Londoner Selfridges-Laden stellte, „würden sich unsere Kunden zu Tode langweilen“. Jones drängt seine Leute, es den Briten gleichzutun.

Ganz klar: Die Frauenbekleidungsbranche in den USA braucht Aufwind. Die Verkaufszahlen fallen seit dem Jahr 2000. 2003 gingen sie laut der Werbeinformationsfirma NPD Group um 6,6 Prozent auf 88,9 Milliarden Dollar (75,1 Milliarden Euro) zurück. In Großbritannien dagegen sind sie der Beratergesellschaft Verdict Research zufolge seit dem Jahr 2000 um etwa 19 Prozent gewachsen und stiegen 2003 um 4,2 Prozent auf 16,4 Milliarden Pfund (24,5 Milliarden Euro).

Nun lassen sich auch große US-Kaufhausketten wie Saks, Wal-Mart und J.C. Penney von den Briten inspirieren. Allerdings lassen sich nicht alle Ideen auf den US-Markt übertragen. Manch riskanter Werbegag, der in Großbritannien ankommt, könnte sich im Mittleren Westen der USA als Flop erweisen. Und die amerikanischen Unternehmen sind durch Billiganbieter wie Wal-Mart größerem Preisdruck ausgesetzt. Sie werden es schwer haben, einen hohen Preis zu verlangen, mag der Spaß auch noch so groß sein.

Einer der Ersten, die sich vom amerikanischen Geschäftsmodell abwandten, war Derek Lovelock von der britischen Oasis Stores. Im Jahr 2000 flog Lovelock zu einer Konferenz in Chicago und spazierte die berühmte Einkaufsmeile Michigan Avenue entlang. Er war abgestoßen. „Sie sind inzwischen so groß und systematisiert, dass sie ihre Seele verloren haben“, sagt er über die dortigen Läden. Die Erfahrung in Chicago veranlasste ihn, die Läden von Oasis umzudekorieren. Ein neues Geschäft in der Oxford Street in London erhielt rosa Blumenillustrationen an den Wänden und unter den Rolltreppen. Über den Kassen hängen jetzt Kronleuchter, und im ganzen Laden sitzen bekleidete Schaufensterpuppen auf Chaiselongues.

Selfridges & Co., die 95-jährige britische Kaufhausgesellschaft, hat zur Unterhaltung Tattoo- und Bodypiercing-Salons in ihre Kaufhäuser integriert. In den Schaufenstern erfreuen Striptease-Tänzer und Fotos von Models in Unterwäsche, die Katzenmasken tragen, die Kunden. Im vergangenen Jahr inszenierte sie einen besonderen Werbegag: 500 Nackte säumten die Rolltreppen.

Jones von Saks war so begeistert von Selfridges, dass er von seinen Kollegen nur mühsam davon abgehalten werden konnte, Tattoo-Salons in seinen Kaufhäusern einzuführen. „Vielleicht war das übertrieben“, räumt er ein. Aber er überzeugte die Filialleiter wenigstens, einige der britischen Ideen aufzugreifen. Einige seiner Läden haben jetzt „Nagel-Studios“, wo man eine Maniküre erhalten kann und Golf-Läden mit Übungsgrün und bequemen Ledersesseln vor Fernsehern, die Golfturniere übertragen.

Auch im übrigen Europa gibt es ähnliche Veränderungen, aber der Blick der Amerikaner richtet sich auf Großbritannien – nicht nur wegen der gemeinsamen Sprache, sondern auch, weil die Einzelhandelsindustrie dort ähnliche Strukturen hat. Sie wird dominiert von spezialisierten Ketten und Kaufhäusern, während im übrigen Europa die Frauen Kleidung lieber in kleinen Boutiquen kaufen.

Die britischen Frauen kaufen dem Londoner Einzelhandelsberater Label zufolge drei- bis fünfmal im Monat Kleider ein, doppelt so oft wie Amerikanerinnen. Und: Britische Frauen verwendeten für jeden Einkaufstrip drei bis fünf Stunden. In den USA dagegen seien weniger als zwei Stunden die Norm, sagt das US-Marketingunternehmen Cotton. Kein Wunder also, dass die Amerikaner den Blick über den Atlantik richten.

Viele Ideen werden in den USA aber nicht funktionieren. Die britischen Schauspielerinnen und Fernsehmoderatorinnen sehen mehr wie normale Frauen aus – sie haben nicht ganz perfekte Figuren und tragen dennoch modische Kleidung mit tiefen Ausschnitten. Das scheint an die Britinnen die Botschaft gesandt zu haben, dass es akzeptabel ist, topmoderne Kleidung zu tragen, auch wenn man nicht über Hollywood-Maße verfügt. Viele Amerikanerinnen wagen sich an moderne Kleidung dagegen nicht heran.

Und gewagte Werbegags kommen in einem Land, in dem die Orignialversion von „Sex and the City“ im regulären Programm zu sehen ist und selbst Stars mit gut sitzender Garderobe mal einen Nippel oder zwei zeigen, besser an. „Die Londoner sind ein bisschen schamloser“, sagt Jaqui Lividini von Saks. „Aber in allen Dingen steckt ein Ansatz, den man übertragen kann.“

Übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Shell), Svenja Weidenfeld (Mode), Matthias Petermann (Einkaufen, Arbeitsplatzverlagerung) und Christian Frobenius (EU).

Erin White

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