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Wirtschaft: „Beitrag zur Volksernährung“

Kleine Hochsee- und Küstenfischer müssen keine Gewerbesteuer zahlen / Ökonom fordert Abschaffung des Privilegs

Berlin. Die Nordsee ohne Krabbenkutter – einfach unvorstellbar. Oder die Ostsee ohne Boddenfischer – nicht auszudenken. Die Fischer pflegen aber nicht nur die Idylle der Küstenlandschaft. Mit ihrer harten Arbeit wollen sie vor allem Gewinn erwirtschaften. Da dies nicht so leicht ist, greift ihnen der Staat dabei unter die Arme: Kleine Hochsee- und Küstenfischer müssen keine Gewerbesteuer zahlen. Als klein gelten Betriebe, wenn sie bis zu sieben Arbeitnehmer beschäftigen, oder wenn ihr Schiff mit weniger als 100 PS fährt. Eine Million Euro geht den Gemeinden jedes Jahr durch die Vergünstigung verloren.

Eingeführt wurde die Steuerbefreiung 1936. Die Begründung damals: Kleine Hochsee- und Küstenfischer sollten den Binnenfischern gleichgestellt werden. Die gelten steuerrechtlich nämlich schon seit langem als Landwirte und müssen deshalb keine Gewerbesteuer zahlen. „Wir leisten schließlich auch einen Beitrag zur Volksernährung“, sagt Peter Breckling vom Deutschen Fischereiverband (DFV). So sind die kleinen Hochsee- und Küstenfischer genauso wie die Binnenfischer in der Landwirtschaftskammer organisiert, große Fischereikonzerne hingegen in der Industrie- und Handelskammer.

Heutzutage ist noch ein weiterer Grund für die Subvention hinzugekommen: „Es geht darum, traditionelle Familienbetriebe zu erhalten“, erklärt Breckling. Über 900 Haupterwerbsfischer gibt es an Nord- und Ostsee, hinzu kommen noch knapp 700 Nebenerwerbsbetriebe. Für den Fall, dass die Steuerbefreiung abgeschafft würde, sieht Breckling schwarz: „Für diejenigen, die sowieso schon schwach auf der Brust sind, wäre das der Todesstoß“, sagt er. „Die Betriebe, die noch übrig blieben, müssten ihre höheren Kosten über die Fischpreise an die Verbraucher weiter geben.“ Außerdem bedeutete eine Abschaffung der Gewerbesteuerbefreiung, dass große Kapitalgesellschaften gestärkt würden, die mit ihren Fangflotten die Meeresressourcen weit stärker ausbeuteten als die Kleinfischer.

Victor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) lässt dieses Argument jedoch nicht gelten. „Mir leuchtet nicht ein, warum die Kleinheit eines Betriebs wünschenswert sein soll. Ökonomisch lässt sich das nicht begründen.“ Außerdem hätten Sieben-Mann-Betriebe keinen Anreiz, weitere Mitarbeiter einzustellen, weil dann das Privileg wegfiele. Steiner hält die Subvention daher für „außerordentlich kurios“.

Seiner Auffassung nach hat sich die Gewerbesteuerbefreiung „irgendein Politiker einfallen lassen, und dann wurde versäumt, sie wieder aufzuheben.“ Ob die Hochsee- und Küstenfischerei ohne die Subvention nicht mehr überlebensfähig ist, hält Steiner für fraglich: „Man müsste sie abschaffen – dann sieht man’s ja.“

Subventionsland Deutschland – in dieser Serie berichtet der Tagesspiegel über die milliardenschweren Wohltaten des Staates für Bürger und Wirtschaft. In der nächsten Folge: Warum Goldanleger keine Umsatzsteuer zahlen müssen.

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