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Wirtschaft: „Beitragssenkungen werden schwieriger“

Eckart Fiedler, Chef der Barmer Ersatzkasse, über die neuen Details zur Gesundheitsreform und die Versprechungen von Ministerin Schmidt

Herr Fiedler, Ärzte und Krankenkassen haben sich über die strittigen Details der Gesundheitsreform verständigt. Was bedeutet das für die Versicherten?

Die notwendige und erfreuliche Klarheit. Die meisten offenen Fragen können jetzt beantwortet werden. Offen bleibt die Frage nach den finanziellen Folgen, das heißt die Auswirkungen auf die Beitragssätze.

Wieso?

Wer als schwerwiegend chronisch krank gilt, ist nicht nur weit, sondern leider auch sehr interpretationsfähig gefasst. Ein Patient, dessen Lebensqualität sich ohne kontinuierliche Behandlung dauerhaft verschlechtert, fällt in diese Kategorie. Das bedeutet, der Arzt hat einen großen Spielraum bei der Beurteilung. Den wird er angesichts der starken Konkurrenz untereinander auch nutzen – wie die Arzneimittelausgabenentwicklung im Dezember gezeigt hat.

Die Gesundheitsreform wird also nicht so viele Einsparungen bringen, wie erhofft?

Mit der neuen Regelung werden wesentlich mehr Menschen als schwerwiegend chronisch krank gelten als geplant. Dies ist einerseits erfreulich, andererseits bedeutet es weniger Entlastung für die Beitragszahler.

Müssen Ärzte und Kassen nachbessern?

Die finanzielle Auflockerung, die dem Beschluss des Bundesausschusses zu Grunde liegt, ist politisch gewollt. Jetzt kommt es darauf an, Klarheit bei der Beurteilung zu schaffen, wer schwerwiegend chronisch krank ist. Dazu sollte eine Liste von Krankheiten aufgestellt werden, die dem Arzt die Entscheidung im Einzelfall erleichtert.

Was bedeutet der Beschluss für die Beiträge?

Der Einspareffekt durch die höheren Zuzahlungen war mit 3,2 Milliarden Euro angesetzt. Jetzt muss man davon ausgehen, dass diese Größenordnung nicht erreicht wird. Natürlich bleibt es bei unserer beschlossenen Beitragssatzsenkung zum 1. April, aber weitere Senkungen werden geringer ausfallen. Dennoch gehe ich davon aus, dass ihn unsere Selbstverwaltung Ende des Jahres durch die Umfinanzierung des Zahnersatzes um 0,3 Prozentpunkte senken kann.

Werden die Beiträge aller Kassen in diesem Jahr noch unter die Marke von 14 Prozent sinken, wie es die Ministerin verspricht?

Ich bin skeptischer geworden. Nicht nur die neuen Regeln bei Fahrtkosten und Zuzahlungen bringen weniger Einsparungen, sondern auch der jetzt für Dezember bekannt gewordene Ausgabenzuwachs von 26 Prozent für verordnete Arzneimittel belastet die Krankenkassen. Allein für die Barmer sind die Arzneiausgaben im Dezember um 70 Millionen Euro gegenüber Dezember 2002 gestiegen.

Der beginnende Konjunktur-Aufschwung löst Ihr Einnahmeproblem nicht?

Damit wir mehr Geld einnehmen, muss die Zahl der vollwertigen Arbeitsplätze spürbar steigen – Minijobs bringen uns nichts. Das Problem der Einnahmeschwäche wird uns auch in diesem Jahr noch begleiten. Spätestens 2006 wird sich dann neuer Druck auf die Beitragssätze entwickeln. Bis dahin muss entschieden sein, ob das System durch eine Bürgerversicherung oder durch Kopfpauschalen finanziert werden soll.

Und wie geht es dann mit den Beiträgen im kommenden Jahr weiter?

Die Marke von 13,6 Prozent, die die Ministerin aufgestellt hat, kann frühestens im Laufe von 2005 erreicht werden. Aber auch hierhinter muss man ein Fragezeichen setzen.

Haben die Menschen nach dem chaotischen Beginn der Gesundheitsreform überhaupt noch Vertrauen in das bestehende Medizinsystem?

Durch die vielen Unklarheiten und die höheren Belastungen sind die Leute aggressiv und unzufrieden. Das merken wir jeden Tag in unseren Kundencentern.

Wer ist Schuld an den Startproblemen?

Finanzielle Einbußen und Belastungen führen nie zu Begeisterung. Diesmal kommt hinzu, dass die Unsicherheit über wichtige Fragen der eigenen Betroffenheit Ängste und Verärgerung ausgelöst hat. Wir konnten bislang in wichtigen Fragen unseren Versicherten keine hinreichende Auskunft geben. Das ist unangenehm und ärgert unsere Kunden.

Ulla Schmidt sagt, die Selbstverwaltung ist für das Chaos verantwortlich.

Die gemeinsame Selbstverwaltung muss allgemeine Gesetzesvorgaben präzisieren. Dies galt etwa für den Begriff „schwerwiegend chronisch krank“. Dabei ist sie abhängig von der Zustimmung des Ministeriums. Wenn es also zum 1. Januar keine Klarheit gab, so könnte dies beiden Seiten vorgeworfen werden. Ein „Schwarzer-Peter-Spiel“ hilft uns aber nicht weiter. Was wir für unsere Basisarbeit brauchen, sind klare und eindeutige Auslegungen.

Rechnet sich die Reform denn für die Kassen? Oder frisst die zusätzliche Bürokratie die Einsparungen auf?

Die Umsetzung der Reform bedeutet für uns deutlich mehr Arbeit. Trotzdem sinken die Verwaltungskosten, weil durch einen aktuellen Tarifabschluss unsere Mitarbeitern nahezu sieben Prozent weniger verdienen.

Viele Versicherte verstehen das komplexe Medizinsystem nicht mehr. Muss man es nicht vereinfachen – ähnlich wie die Steuergesetze?

In der medizinischen Versorgung gibt es leider keine einfachen Lösungen. Die komplizierten Zuzahlungen zum Beispiel sollen bewirken, dass Leistungen verantwortlich in Anspruch genommen werden. Komplizierte Regeln sorgen für mehr Wirtschaftlichkeit.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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