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Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) hier bei der Eröffnung der 8. Berlin Web Week.

© Stephanie Pilick/dpa

Berlin: Digitale Zukunft: „Masterpläne passen nicht in die digitale Welt“

Cornelia Yzer, Berlins Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung, über anstehende Projekte und Fördermittel für den Digitalstandort Berlin.

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Cornelia Yzer, geboren 1961 in Lüdenscheid, war bis 1998 Bundestagsabgeordnete und Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Dann konzentrierte sie sich auf ihre Funktion als Hauptgeschäftsführerin des Pharma-Verbandes VFA. Im September 2012 löste sie Sybille von Obernitz als Wirtschaftssenatorin in Berlin ab.

Frau Yzer, wer ist in Berlin eigentlich zuständig für die Digitalwirtschaft: Sie oder Michael Müller?

Für die Digitalwirtschaft ist die Wirtschaftsverwaltung zuständig. Aber ich freue mich natürlich immer, wenn sich auch der Regierende Bürgermeister einbringt. Denn am Digitalstandort Berlin gibt es so viel zu tun.

Müllers Senatskanzlei möchte eine Denkfabrik, genannt „Berlin Digital Institute“ oder „City Lab“, einrichten. Sie wollen ein Kompetenzzentrum 4.0. Haben Sie sich da abgestimmt?

Es gab eine Runde mit rund 50 Köpfen an der TU. Daran haben auch Michael Müller, Bildungssenatorin Scheeres und ich teilgenommen. Das war wichtig, um den Schulterschuss der Wirtschaft mit den universitären Einrichtungen zu vollziehen. Wenn der Regierende Bürgermeister jetzt sagt: Ich steuere auch aus meinem Etat etwas bei, damit die Anforderungen, die dort formuliert worden sind, realisiert werden können, dann kann ich das nur begrüßen. Wir brauchen viele Maßnahmen, ich sehe da keinen Widerspruch.

Wenn man in Berlin über Digitalwirtschaft spricht, ging es bisher fast immer nur um Förderungen für Start-ups. Ändert sich das gerade?

Start-ups bleiben ein großes Thema, weil die Gründerszene in Berlin boomt. Die Digitalwirtschaft zählt derzeit rund 5800 Unternehmen, 500 wurden allein im vergangenen Jahr neu gegründet. Das heißt, alle 20 Stunden entsteht in Berlin ein neues digitales Start-up. Diese jungen Firmen mit Frühphasenfinanzierung, aber auch mit Risikokapital für Wachstum auszustatten, etwa über unsere Förderbank IBB, ist wichtig. Aber wir müssen jetzt auch weitergehen. Wir haben Unternehmen, die reifer werden. Und wir sehen den Megatrend Digitalisierung der Industrie. Und darauf wollen wir aus Berlin heraus Antworten geben. Deshalb planen wir jetzt eine Reihe von Maßnahmen.

Unter anderem das besagte Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0. Was steckt dahinter?

Es geht um die innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen und Handwerksbetriebe – in der Metropolregion Berlin sehen wir rund 1000 Firmen als Zielgruppe. Laut Umfragen sagen 85 Prozent dieser Unternehmen, Digitalisierung sei wichtig. Aber viele wissen nicht, wie sie sie anpacken sollen. Um diese beim nötigen Wandlungsprozess zu unterstützen, will das Bundeswirtschaftsministerium bundesweit den Aufbau von fünf Kompetenzzentren fördern.

Und Berlin soll eines davon bekommen.

Das hoffe ich. Wir sind in der Sache schon seit Monaten mit dem Ministerium im Gespräch. Vor wenigen Tagen haben wir das Grundkonzept eingereicht. Im September müssen wir, sofern unser Antrag für gut befunden wird, konkrete Projekte nachreichen. Darauf sind wir vorbereitet. Wir hoffen, dass das Bundeswirtschaftsministerium zum Jahreswechsel seine Entscheidung fällt. Wir als Digitalstandort Nummer eins in Deutschland wollen mit dabei sein.

Wer beteiligt sich an diesem Zentrum?

Wir haben ein breites Konsortium gebildet. Unsere Agentur Berlin Partner übernimmt die Führung. Mit dabei sind die Fraunhofer-Institute, darunter das Fraunhofer FOKUS für IT und Vernetzung oder das IPK als weltweit führendes Institut der Produktionstechnik. Aus Brandenburg mit dabei sind zum Beispiel die Uni Potsdam und die TU Wildau. Dazu gibt es ein breites Unterstützernetzwerk, getragen von Institutionen wie den Kammern, der Technologiestiftung, Verbänden und der IG Metall.

"Wir müssen unsere Pläne permanent an den Bedarf anpassen"

Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) hier bei der Eröffnung der 8. Berlin Web Week.
Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) hier bei der Eröffnung der 8. Berlin Web Week.

© Stephanie Pilick/dpa

Und die produzieren dann dicke Dokumente, die man sich downloaden kann?

Nein. Es soll konkrete Beratung geben. In dem Informationszentrum sollen kleine und mittelständische Firmen sich von Mitarbeitern der genannten Institutionen beraten lassen und erfahren können, dass Digitalisierung mehr ist als einfach nur der nächste Automatisierungsschritt. Dort können Unternehmer individuell klären, wie der Prozess ihre Wertschöpfungskette verändert, wo die für sie relevanten neuen Geschäftsmodelle entstehen und welche neuen Technologien sie einsetzen können. Es soll auch Beratung für die Qualifizierung der Mitarbeiter geben.

Wie viel Geld stünde zur Verfügung?

Zunächst bis zu zwei Millionen Euro jährlich für die nächsten drei Jahre, etwa fünf bis sechs Millionen pro Kompetenzzentrum insgesamt. Das Land flankiert durch seine Förderpolitik. Das Geld kann aber auch nur einen Prozess anstoßen. Auch die Unternehmen selbst, die einen Mehrwert für sich sehen, sollen Projekte mitfinanzieren können.

Müllers Digital Lab, das Kompetenzzentrum 4.0. Was kommt noch?

Im Herbst veranstalten wir erstmals einen Mittelstandskongress, zu dem wir zunächst bis zu 150 Unternehmen dieser Zielgruppe einladen wollen, um ihnen Best-Practice-Beispiele rund um die Digitalisierung vorzustellen. Und wir möchten gern ein Leistungszentrum für digitale Vernetzung der Fraunhofer-Gesellschaft in Berlin. Wir fördern aus dem Landeshaushalt die vier Berliner Fraunhofer-Institute. Jetzt wollen wir gemeinsam mit der Wirtschaft diese Kompetenz in einem Leistungszentrum bündeln und stellen dafür auch Landes- und EFRE-Mittel bereit. Dieses Zentrum soll auch der Nukleus sein für weitere Bewerbungen auf Bundesebene.

Unter dem rot-roten Senat gab mal es einen Masterplan Industrie. Die Bundesregierung hat eine Digitale Agenda. Heute hat der Senat nichts dergleichen.

Streng genommen hat auch das Land Berlin eine Digitale Agenda. Wir könnten alle Initiativen, die es hier gibt, untereinanderschreiben. Wahrscheinlich haben wir im Haus sogar so einen Sammelband, auf dem Digitale Agenda steht. Aber die Zeiten der Masterpläne, in denen steht, was in den nächsten 15 Jahren alles passieren soll, passen nicht mehr in eine digitale Welt, in der Entwicklungs- und Produktzyklen immer kürzer werden. Wir müssen unsere Pläne permanent an den Bedarf anpassen. Und das tun wir.

Viele Unternehmen wünschen sich zumindest einen zentralen Ansprechpartner für Fragen zum Digitalen.

Dafür gibt es doch die Start-up-Unit. Das ist deren Aufgabe. Wenn Digitales die ganze Wirtschaft und Gesellschaft durchzieht, muss das eine Querschnittsaufgabe für den ganzen Senat sein. Das heißt: Bei jeder Entscheidung, die der Senat trifft, müsste eigentlich gefragt werden: Haben wir die digitalen Anforderungen einer wachsenden Stadt dabei ausreichend berücksichtigt?

Das geschieht offenkundig zu selten. Beispiel Justizverwaltung. Die hat das Projekt „Modesta“ zur Einführung der elektronischen Akte wieder aufgegeben.

Oder nehmen Sie die Digitalisierung der Schulen. Auch da geht es kaum voran. Die Begründung heißt immer: Dafür haben wir keine finanziellen Ressourcen, wir werden von der Haushaltskonsolidierung nicht abweichen. Ich bin sehr für Haushaltsdisziplin, man kann aber auch an der falschen Stelle sparen.

Seit drei Jahren Pläne für freies City-W-Lan

Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) hier bei der Eröffnung der 8. Berlin Web Week.
Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) hier bei der Eröffnung der 8. Berlin Web Week.

© Stephanie Pilick/dpa

Wichtiger Teil der Digitalen Agenda des Bundes ist die Verwendung der sogenannten Digitalen Dividende, also die Nutzung frei werdender Rundfunkfrequenzen für das Internet. Was genau hat Berlin davon?

Der Bund plant ein Breitband-Förderprogramm. Das Ziel lautet: schnelles Internet mit 50 Megabit pro Sekunde in jedem Dorf. Das ist ein berechtigtes Anliegen der Flächenländer. Der Bedarf eines Digitalstandortes wie Berlin braucht etwas anderes: Glasfaser oder perspektivisch den 5G-Standard (in Entwicklung, soll etwa 20 Mal so schnell sein wie aktueller 4G- beziehungsweise LTE-Standard für mobiles Internet, Anm.). Uns Stadtstaaten, also Berlin, Hamburg und Bremen, geht es nicht nur um schnelle Downloads für das Surfvergnügen, sondern auch um schnelle Uploads von vernetzten Geräten und Maschinen, auch bei Unternehmen. Entsprechend positionieren wir uns gemeinsam bei aktuellen Gesprächen mit dem Bund.

Und was macht das Land?

Berlin erhält aus der Digitalen Dividende insgesamt 31 Millionen Euro. Bundesverkehrsminister Dobrindt hat mir jetzt mitgeteilt, dass die erste Tranche von 16 Millionen Euro überwiesen wird.

Was genau macht der Senat mit dem Geld?

Das geht zunächst in den Landeshaushalt. Da bin ich mit Finanzsenator Kollatz-Ahnen im Gespräch. Ich wünsche mir, dass wir das zweckgebunden ausgeben für dringend notwendige Digitalprojekte der öffentlichen Hand. Denken Sie an die Digitalisierung von Verwaltung und Bürgerämtern, Schulen und vieles mehr.

Oder Sie schieben endlich das für jedermann freie City-W-Lan an, das in vielen Städten Europas selbstverständlich ist.

Seit 2012 arbeitet die Senatskanzlei daran. Ich gehe davon aus, dass man mittlerweile auch dort weiß, dass ein Digitalstandort wie Berlin endlich kostenlosen mobilen Internetzugang innerhalb und außerhalb des S-Bahn-Rings braucht.

Der digitale Wandel geht einher mit einem Wandel der Arbeitsbedingungen: Speziell in der Start-up-Szene gibt es Endlospraktika und Honorarverträge statt Festeinstellungen. Eine Zukunftsbranche mit Zuständen aus dem vorletzten Jahrhundert?

Diesen Vorwurf halte ich in seiner Pauschalität für falsch. Es gibt sehr unterschiedliche Arbeitsverhältnisse. Es wird viel mit Freiberuflern gearbeitet, gar keine Frage. Viele Unternehmen können sich Festanstellungen gar nicht leisten, die probieren ja noch viel aus. Es gibt aber auch Mitarbeiter der Digitalwirtschaft, die zu den bestbezahlten Arbeitnehmern dieser Stadt gehören.

Genießen junge Unternehmen einen Welpenschutz, was Arbeitnehmerrechte angeht?

Nein, wir haben bei einigen unserer Projekte auch die IG Metall beratend mit an Bord, weil sich Arbeitsprozesse verändern und andere Anforderungen an Mitarbeiter gestellt werden. Es geht nicht um einen Abbau von Arbeitnehmerrechten, sondern eine Adjustierung. Das hat Deutschland mit seiner gepflegten Tarifpartnerschaft immer wieder geschafft: technologischen Wandel zu untermauern mit einer Anpassung arbeitsrechtlicher Bedingungen. Die digitale Arbeitswelt von heute sieht eben völlig anders aus als die analoge von gestern.

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