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Wirtschaft: „Berlin ist unverdorben“

Ausstellungsmacher Bachelin und Tillmann über die Attraktivität der Stadt für Modemacher und das Geschäft mit der Kreativität

Frau Bachelin, Herr Tillmann, sie präsentieren exklusive und teure Mode in Berlin. Ist das nicht der falsche Platz?

BACHELIN: Berlin ist eine sehr junge kreative Metropole, hier bewegt sich etwas. Wir kommen beide aus Düsseldorf, da ist alles sehr gesetzt und etabliert. In Berlin gibt es diese Strukturen nicht. Und die Berliner nehmen neue Projekte auch ganz anders auf als Düsseldorfer, Münchner oder Stuttgarter.

Mit welcher Konsequenz?

TILLMANN: Die jungen Leute aus ganz Europa kommen hierher, weil Berlin hip und innovativ ist – und die preiswerteste Großstadt Europas. Aus dem Grund kommen auch die Designer nach Berlin, weil sie sich hier das Kreativsein überhaupt leisten können.

Wenn kein Geld da ist, kann man auch keine Geschäfte machen.

TILLMANN: Kreativität heißt, aus Ideen Geld zu machen.

BACHELIN: Die Leute machen das Bestmögliche aus dem was sie haben. Das ist wie in New York vor zwölf Jahren. Die Berliner sind nicht verdorben durch Geld und Statussymbole.

Aber Ideenreichtum mangels Geld, das kann doch nicht alles sein.

BACHELIN: Es gibt auch weniger Hemmschwellen in Berlin als anderswo. Man kann hier nach dem Sport im Jogginganzug in ein feines Restaurant gehen – und keiner sieht einen komisch an. Versuchen Sie das mal in Hamburg oder München. Das ist es auch, was das internationale Publikum liebt: Berlin ist so frei.

Es kann Sie doch nicht freuen, dass man in Berlin schlecht angezogen überall hingehen kann?

BACHELIN: Es gibt viele Leute, die sich gut kleiden. Der Mix macht es. Es gibt keine Uniformierung und es gibt keine Regeln. Aber es gibt eben auch keine Strukturen, die fehlen ein bisschen.

Was vermissen Sie?

BACHELIN: In Berlin gibt es keine Anlaufstelle für die Kreativen. Es fehlt eine übergeordnete Organisation, die das Thema bündelt. Wir brauchen im Senat einen Ansprechpartner für alle kreativen Branchen – für Mode, Musik, Film. Jemand muss die Leute zusammenführen, damit nicht so viele Einzelveranstaltungen stattfinden.

Modemacher haben keine Unterstützung von der Stadt?

BACHELIN: Nein. Das soll kein Vorwurf sein. Berlin ist auf jeden Fall die Stadt in Deutschland, die am schnellsten auf Entwicklungen reagiert.

Gilt das auch für die Politik?

BACHELIN: Das gilt auch für die Politik. Das Thema Mode ist in Berlin ja nicht gewachsen. Bei Film und Musik gibt es da eine ganz andere Offenheit und Unterstützung.

Was muss geschehen?

BACHELIN: Es geht darum, für das kreative Potenzial von Berlin zu werben – so wie London oder Paris das machen. Im Moment gibt es im Ausland einen richtigen Hype um Berlin, diese Hysterie muss man nutzen.

Was macht London denn besser als Berlin?

TILLMANN: In London gibt es den „Fashion Council“. Die finanzieren zum Beispiel die Modemesse in London oder den Auftritt britischer Designer im Ausland. Da geht es um viel Geld. Aber wir bewegen hier in Berlin zurzeit wesentlich mehr als die in London. Wenn wir die gleiche Unterstützung hätten wie die Designer dort, dann würde hier alles viel schneller gehen. Das Komische ist ja, dass in Berlin die Musik unterstützt wird – auch wenn es nicht viel ist. Aber die Musikindustrie macht in Deutschland weniger Umsatz als die Marmeladenindustrie. Mit Mode dagegen wird hier zu Lande mehr Umsatz gemacht als zum Beispiel im Autohandel.

Deutschland gilt bisher nicht als das Land, das in Sachen Mode die Richtung angibt.

TILLMANN: Stimmt, aber das Verständnis für Mode in Deutschland wächst.

BACHELIN: Und aus Berlin kommt tatsächlich hochwertiges Design. In den deutschen Modezeitschriften wird aber viel zu wenig darüber berichtet. Im Ausland ist das anders. Das war auch ein Problem für die Premium. Als wir angefangen haben, sind die ausländischen Einkäufer sofort gekommen. Die Deutschen haben gefragt: „Was sollen wir bei euch? Wir kennen die Designer ja gar nicht, die ihr da habt.“ Deswegen sollen sie doch kommen, damit sie etwas Neues sehen.

Was bringen Modemessen der Stadt Berlin?

TILLMANN: Der erste Wirtschaftsfaktor sind die Besucher. Nimmt man alle Modemessen zusammen, sprechen wir hier von 200000 Übernachtungen im Jahr. Und je mehr sich die Messen etablieren, desto mehr Besucher werden kommen.

Bachelin: Es sind ja nicht nur die Hotels und Restaurants, die profitieren. Fragen Sie mal die Einzelhändler in Berlin, die hochwertige Mode verkaufen. Zu den Messen sind so viele modeaffine Menschen in der Stadt, einzelne Geschäfte machen an so einem Wochenende mehr Umsatz als sonst in vier Monaten.

Aber die Besucher fahren wieder ab.

TILLMANN: Die Messen ziehen die Designer an, die sich hier niederlassen. Es werden auch immer mehr Schauräume von Düsseldorf nach Berlin verlegt. Das Gros des Geschäfts, das auch wirklich den Wirtschaftsstandort stützt, sind die Büros der Modefirmen, die hier eröffnet werden.

Heißt das, Berlin wird der Modestadt Düsseldorf den Rang ablaufen?

BACHELIN: Nein, das würde ja voraussetzen, dass Düsseldorf den internationalen Status im Vergleich zu Paris, Mailand und London schon hat. Hat es aber nicht. In Düsseldorf gibt es die große Damenmodemesse und eine große Anzahl von Schauräumen – aber es fehlt an Glanz und Glamour, das hat Düsseldorf nie gehabt.

TILLMANN: In Düsseldorf ist das ganze hochwertige Segment in den vergangenen Jahren zusammengebrochen, es ging nur darum, Fläche zu verkaufen. Dabei wurde zu wenig Acht auf die Designer gegeben. Aber Düsseldorf wird nicht sterben durch uns. Es wird ein regionaler Standort bleiben. Das internationale Geschäft wird mit 99-prozentiger Sicherheit in Berlin passieren. Spätestens in den kommenden zwei, drei Jahren wird der Umzug vollzogen sein.

Das alles kommt aber nur, wenn die Konsumenten wieder mehr Geld für Mode ausgeben.

TILLMANN: Die Schicht, die wir bedienen, die oberen zehn Prozent, wird immer Geld für Mode ausgeben.

Bachelin: Das ist nicht immer eine Frage des Einkommens, es ist eine Frage des Lebensstils. Es wird immer Menschen geben, die bereit sind, für Qualität Geld auszugeben. Die anderen kaufen bei den Massenhändlern wie H & M, Zara oder Mango. Da kann man sich für kleines Geld Trendprodukte für eine Saison kaufen. Schwierigkeiten bekommen vor allem die Händler, die in der Mitte liegen.

Was sind Ihre Pläne für das kommende Jahr?

TILLMANN: Im kommenden Jahr wird es mit Sicherheit sechs Messen geben. Für die Damenmode werden wir einen sehr interessanten internationalen Termin finden.

Wie zum Beispiel die Berlinale?

TILLMANN: So etwas in der Art. Wir wollen dem internationalen Publikum zeigen, dass Berlin nicht nur eine Partystadt ist. Berlin feiert gern, aber in Berlin wird auch Geschäft gemacht – und zwar internationales Geschäft.

Das Gespräch führten Susanna Nieder und Corinna Visser.

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