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Wirtschaft: Berlin schwört auf die Biotechnologie

Berlin kann sich sehen lassen, zumindest was die medizinische und biotechnologische Forschung anbelangt.Begonnen wurde die Tradition von Rudolph Virchow, Robert Koch und Max Delbrück, die maßgebliche Grundlagen schufen.

Berlin kann sich sehen lassen, zumindest was die medizinische und biotechnologische Forschung anbelangt.Begonnen wurde die Tradition von Rudolph Virchow, Robert Koch und Max Delbrück, die maßgebliche Grundlagen schufen.Fortgeführt wird sie heute von den Universitäten, Max-Planck-Instituten, Kliniken und vielen anderen Einrichtungen.Allein im medizinischen Bereich sind 3000 Wissenschaftler tätig.Wissen ist reichlich vorhanden, die Voraussetzungen für die Unternehmen sind denkbar gut.Kein Wunder, daß Wirtschaftssenator Elmar Pieroth vor zwei Jahren die Biotechnologie als einen von vier hervorausragenden Wirtschaftsbereichen Berlins ausmachte, die besonders gefördert werden sollen.

114 Unternehmen mit rund 3700 Mitarbeitern sind nach Angaben der Senatsverwaltung für Wirtschaft derzeit in Berlin-Brandenburg in der Biotechnologie-Branche tätig.Für den Nichtfachmann: Biotechnologie ist der Einsatz biologischer Methoden, insbesondere der Gentechnik, für medizinische Zwecke und für die Herstellung von Nahrungsmitteln.Größtes Unternehmen der Branche in Berlin ist die Schering AG: Im vergangenen Jahr investierte das Unternehmen knapp 60 Mill.DM in die biotechnologische und gentechnische Forschung.

Die biotechnologische Unternehmenslandschaft ist äußerst dynamisch.Von den 114 Biotechnologieunternehmen in Berlin-Brandenburg sind mehr als 70 Prozent 1990 und später gegründet worden.Ein entscheidender Grund dafür: die Umstrukturierung der Akademien der Wissenschaften und der Landwirtschaftswissenschaften nach der Wende.Dabei sind ein Großteil der Mitarbeiter arbeitslos geworden.So wurden beim Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), früher ein Teil der Akademie der Wissenschaften, von 1200 Arbeitsplätzen 70 Prozent abgebaut.

Ein Zentrum für biotechnologische Unternehmen und gleichzeitig ein Paradebeispiel für die Unternehmensgründung aus wissenschaftlichen Einrichtungen heraus ist der Biomedizinische Forschungscampus Berlin-Buch (BBB).Auf dem 35 Hektar großen Gelände im Nordosten von Berlin sind 15 Unternehmen mit 170 Arbeitsplätzen in unmittelbarer Nachbarschaft des Max-Delbrück-Centrums und zweier Kliniken angesiedelt."Bei allen Unternehmen handelt es sich um Ausgründungen", erklärt Gudrun Erzgräber, BBB-Geschäftsführerin.Zudem beginnen in der nächsten Woche die Ausschachtarbeiten für das neue Gebäude des Forschungsinstituts für molekulare Pharmakologie (FMP), das bisher in Friedrichshain untergebracht ist.

Eine Forschungsstätte war Berlin-Buch schon seit 1928, ein Medizinstandort bereits seit der Jahrhundertwende - heute befinden sich dort zwei zur Humboldt-Universität (HU) gehörende Kliniken.Daß als dritte Säule Anfang der 90er Jahre die Wirtschaft hinzugekommen ist, geht auf eine Empfehlung des Wissenschaftsrates von 1990/91 zurück.Schräg gegenüber des MDC steht ein neuerbautes Gründerzentrum, das noch dieses Jahr von einigen Firmen bezogen werden soll.Bei den 15 Firmen auf dem Gelände von Berlin-Buch wird es nicht bleiben."Jede Woche kommen neue Anfragen", sagt BBB-Geschäftsführerin Erzgräber.Auch bereits bestehende Unternehmen aus anderen Städten, etwa die Firma Lion aus Heidelberg, haben Interesse angemeldet, in Berlin-Buch eine Filiale zu eröffnen.Das Ganze wird von öffentlicher Seite unterstützt: Von den Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Finanzen und von der EU für spezielle Projekte, wie etwa ein Programm für arbeitslose Wissenschaftler oder die Anbindung an ein Hochgeschwindigkeits-Datennetz.

Auch die Unternehmen sind allein noch nicht überlebensfähig: "Fast alle Firmen erhalten Fördermittel aus dem Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMBF)", so Erzgräber.Im Durchschnitt würden diese die Hälfte der Ausgaben decken.Dies ist nicht nur für den Forschungscampus typisch, sondern auch für einen Großteil der biotechnologischen Unternehmen in Berlin-Brandenburg, so Professor Voß von der Technischen Fachhochschule Wildau.Insbesondere die kleinen Unternehmen werden öffentlich bezuschußt."Es gibt aber auch etliche Firmen, die allein über die Runden kommen", so Voß.Doch dem Bucher Ensemble droht Ungemach: Denn die beiden HU-Kliniken drohen mit Schließung, falls die neue, geplante Interventionsklinik nicht ebenfalls auf dem Campus angesiedelt wird.Der Streit schwelt.

Ungeachtet dessen hat das Bundesministerium für Forschung große Ziele: Bis zum Jahr 2000 will es Deutschland im Biotechnologiebereich an die Spitze der EU zu bringen, sagt Rudolf Kunze, Geschäftsführer eines privaten Forschungsinstitutes.Federführend in der EU ist bislang noch Großbritannien und weltweit sind es die USA.Das liegt auch an der deutschen Gesetzgebung, die vor der Novellierung des Gentechnologiegesetzes den Unternehmen enge Schranken setzte, meint Peter Bendzko, Geschäftsführender Gesellschafter der Firma InViTek auf dem Forschungscampus Berlin-Buch.Daher seien viele Unternehmen in die USA gegangen, Bayer und Hoechst etwa hätten dort riesige Werke aufgebaut.Inzwischen habe sich das Klima für die Biotechnologie verbessert.Gegenüber dem Einsatz der Gentechnologie in der Medizin ist die Skepsis der Bevölkerung stark zurückgegangen, sagt Wolfgang Faust, Sprecher der AgrEvo, einer gemeinsamen Tochter von Hoechst und Schering, die biotechnologische Forschung im Bereich Pflanzenschutz und gentechnisch veränderte Sorten betreibt.Das Unternehmen hat zwar den rechtlichen Sitz in Berlin, doch findet innerhalb Deutschlands die Forschung im Frankfurter Werk statt."Aus der medizinischen Diagnostik und Forschung ist die Gentechnologie nicht mehr wegzudenken", sagt Faust.

KAREN WIENTGEN

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