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Wirtschaft: Berlin unbesorgt über Kürzung aus Brüssel

BERLIN/BRÜSSEL (jhw/tog/wff/HB).Der Europa-Beauftragte des Landes Berlin, Gerd Wartenberg (SPD), hält die Förderung von Ost-Berlin durch EU-Strukturfonds für falsch.

BERLIN/BRÜSSEL (jhw/tog/wff/HB).Der Europa-Beauftragte des Landes Berlin, Gerd Wartenberg (SPD), hält die Förderung von Ost-Berlin durch EU-Strukturfonds für falsch.Die Diskussion um die Reform der EU-Strukturfonds innerhalb der "Agenda 2000" und den Wegfall der Gelder für die Hauptstadt gingen deshalb an Berlin vorbei.Die EU-Kommission in Brüssel bleibt vorerst bei ihrem Vorschlag: Eine Entscheidung über das tatsächliche Ausmaß der Reform wird erst im kommenden Jahr fallen - nach den Bundestagswahlen und voraussichtlich unter deutscher EU-Präsidentschaft.

Wartenberg sagte, europapolitisch sei es bedenklich, wenn Ost-Berlin Mittel aus den Strukturfonds erhalte.Es müsse weiterhin gelten, was festgeschrieben sei: Nur Gebiete, deren Wirtschaftsleistung unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts lägen, dürften die Förderung erhalten.Ost-Berlin liegt derzeit bei 78 Prozent - Tendenz steigend.Allerdings schränkte der Staatssekretär ein: "Was für Berlin gilt, muß auch für Dublin und Lissabon gelten." Diese Städte bekommen trotz ihrer hohen Wirtschaftsleistung Fördergelder.Wartenberg: "Entweder fallen alle weg oder keiner."

Am Dienstag erläuterte Wettbewerbskommissar Karel Van Miert gemeinsam mit der für Regionalpolitik zuständigen Kommissarin Monika Wulf-Mathies vor dem regionalpolitischen Ausschuß des Europa-Parlaments die von der EU-Behörde Mitte Dezember vergangenen Jahres eingeleitete Reform der Politik regionaler Beihilfen.Brüssel will - nicht zuletzt wegen der EU-Erweiterung gen Osten - die Förderung aus den Strukturfonds auf die bedürftigsten Gebiete konzentrieren.

Das erklärte Ziel der Reform der EU-Strukturfonds ist die Konzentration der Hilfe auf die europäischen Regionen, die sie am nötigsten brauchen.Brüssel will weg vom Gießkannenprinzip und stattdessen die Mittel zukünftig gezielter einsetzen.Außerdem sollen die Gelder, die in der nächsten siebenjährigen Laufzeit vom Jahr 2000 bis 2006 von Brüssel bereitgestellt werden, von knapp 400 Mrd.DM auf rund 550 Mrd.DM aufgestockt werden.

Bisher sind 51 Prozent der Deutschen direkt oder indirekt in den Genuß der EU-Strukturhilfen gekommen.Nach der Reform sollen in Deutschland jedoch höchstens 40 Prozent der Bevölkerung in Fördergebieten leben.Ost-Berlin wird nach den Plänen der "Agenda 2000" das einzige Gebiet der neuen Bundesländer sein, das nicht mehr zum Kreis der sogenannten Ziel-1-Gebiete gehören wird, die in den Genuß der höchsten Förderstufe der Europäischen Union kommen.Doch der Verlust der höchsten EU-Förderung bedeutet nicht, daß Berlin auf die Brüsseler Strukturhilfen verzichten muß.Kleine und mittlere Unternehmen, die weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen, können weiter EU-Mittel beantragen.Auch für Umweltschutz und Forschung stehen dann EU-Mittel bereit.Die Rückstufung auf die niedrigere Förderstufe (Ziel-2) wird zudem durch eine fünfjährige Übergangszeit abgefedert.

Experten gehen die Vorschläge indes nicht weit genug.Erst kürzlich stellte der Kronberger Kreis - ein Gremium liberaler Ökonomen - fest, die angekündigten Reformen reichten nicht aus.Sie fordern eine Reform größeren Ausmaßes.Denn: "Die Strukturpolitik der EU ist das Ergebnis eines wenig transparenten politischen Entscheidungsprozesses, bei dem Erteilungsansprüche und das Nutzen starker Verhandlungspositionen eine wichtige Rolle spielen."

Schon seit dem Frühjahr reist die zuständige EU-Kommissarin Monika Wulf-Matthies durch die Lande und versucht immer wieder, die Ziele und Grundlinien der Agenda 2000 zu erklären.Daß zu Beginn dieser Woche ihr Interview, in dem sie wieder einmal über die angenehmen Folgen der Agenda 2000 für die Ostdeutschen gesprochen hat, dennoch Schlagzeilen gemacht hat, liegt weniger an der Aussage selbst - denn die ist nicht neu - als am schlechten Gedächtnis der Redakteure und am Beginn der nachrichtenarmen Sommerpause.

In den neuen Bundesländern liegt das Bruttoinlandprodukt pro Kopf nach wie vor unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts.Der Osten Deutschlands gehört also weiter zu den strukturschwächsten Regionen der Gemeinschaft und bleibt damit unverändert Höchstfördergebiet der EU.Da sich aber bei der Einstufung im Osten nichts ändert, muß folglich in den alten Bundesländern die Zahl der Regionen, die nach den EU-Förderkriterien für Ziel-2-Regionalbeihilfen aus Brüssel anfordern können, verringert werden.Die Bundesländer müssen untereinander einig werden, welche Gebiete EU-Beihilfen erhalten sollen und welche nicht.

Die Entscheidung muß nicht strikt auf der Grundlage von Wirtschaftsdaten fallen.Ein relativ besser gestellter Kreis in der Oberpfalz könnte zum Beispiel von den Bundesländern unter Ziel-2 eingestuft werden, damit er nicht zu sehr unter dem zu starken Fördergefälle gegenüber einem benachbarten Ziel-1-Gebiet in Sachsen zu leiden hat.Weil hier erhebliche Spielräume bestehen, dürfte es im kommenden Jahr zu einem innerdeutschen Streit kommen, bis alle Fördergebiete festliegen.

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