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Kurt Blumenröder findet, Elektromobilität müsse in Berlin viel sichtbarer werden.

© Mike Wolff

Berliner Auto-Ingenieure: "Wir könnten auch auf dem Mond entwickeln"

Kurt Blumenröder ist Chef der Berliner Ingenieursgesellschaft IAV. Mit dem Tagesspiegel spricht er über geheime Pläne der Autoindustrie, Elektromobilität und falsche Hoffnungen des Senats.

Herr Blumenröder, wie viel IAV steckt in jedem Auto?

Es steckt nicht in jedem etwas von uns, aber in den meisten. Wie viel, das hängt jeweils von den Wünschen unserer Kunden ab. Es gibt auch Kunden, die ein ganzes Auto bestellen. Daran arbeiten dann mehrere Teams von bis zu 600 Mitarbeitern aus unterschiedlichen Bereichen mitunter ein paar Jahre lang.

Für wen haben Sie ein Auto gebaut?

Namen darf ich nicht nennen. Vor einigen Jahren haben wir für einen indischen Hersteller in nur 26 Monaten einen Geländewagen entwickelt. Oder für einen deutschen Hersteller die Hybridvariante eines bestehenden Modells.

Zu Ihren Kunden gehören alle großen Automobilhersteller und -zulieferer. IAV beschäftigt weltweit mehr als 5000 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von einer halben Milliarde Euro. Warum kennt eigentlich kaum jemand IAV?

Das gehört zu unserem Geschäftsmodell. Weil wir an sensiblen Projekten für konkurrierende Hersteller arbeiten, sind wir zur Geheimhaltung gezwungen. Wir wollen auch gar nicht das Endprodukt dominieren, sondern mit unserer Dienstleistung glänzen. Aber ich versichere Ihnen: Wenn die Berliner wüssten, welche Produkte wir hier mitentwickeln ...

Dann?

Dann würde deutlicher, welche Intelligenz, Cleverness und Komplexität hinter den Prozessen und Abläufen stecken, an deren Ende Autos und Technologien stehen, die jeder kennt. In unseren Hallen finden Sie Autos, die es erst in ein paar Jahren zu kaufen gibt. Aber diese Produkte sind heilig. Sie gehören allein dem Kunden. Deshalb dürfen wir nicht darüber sprechen.

Ist es nicht frustrierend für Sie, dass bei der Produktpräsentation die Automarke glänzen darf – aber nie der Entwicklungspartner im Hintergrund?

Zugegeben, den jungen Ingenieuren tut das manchmal in der Seele weh. Aber das Fachpublikum weiß natürlich, welche Leistung die Kollegen erbringen. Das würdigen auch die Hersteller.

Ein zentrales Thema für IAV sind alternative Antriebe und die Elektromobilität. Wie groß ist der Anteil am Geschäft?

Auf die Hybridisierung/Elektrifizierung entfällt mehr als die Hälfte unseres Geschäfts. Es ist auch der am schnellsten wachsende Bereich.

Ist es nicht riskant, sich so abhängig zu machen von einer Technologie, deren Markterfolg noch nicht erwiesen ist?

Es ist riskant, aber der Weg führt nicht mehr zurück. Mit konventionellen Motoren werden die Autohersteller die Klimavorschriften in Zukunft nicht einhalten können. 20 bis 25 Prozent Effizienzsteigerung sind bei Benzin- und Dieselmotoren noch drin. Insbesondere in der Kombination mit elektrischen Antrieben, also als Hybridantrieb, lassen sich Verbrennungsmotoren noch weiter optimieren.

Eine Technologie, auf die die deutschen Hersteller spät gesetzt haben und die lange Zeit von Toyota dominiert wurde.

Man hat Toyota anfangs unterschätzt. Als man dann – mit eigenen Prototypen – nacherleben konnte, wie sich mit der Kombination von Elektroantrieb und Verbrennungsmotor Kraftstoff sparen lässt, gab es ein großes gemeinsames Interesse der deutschen Autohersteller.

Eine kostspielige Technik. Werden Autos in Zukunft für den Verbraucher teurer?

Die Technik, die es erlaubt, annähernd ohne Schadstoffausstoß zu fahren, wird in der Tat immer teurer. Es wird künftig aber eine größere Spanne zwischen einfach ausgestatteten preiswerten und sehr gut ausgestatteten teuren Autos geben. Jedes Gramm Platin, das man etwa für die Abgasnachbehandlung verwendet, macht das Auto aber unter dem Strich teurer. Das ist mit den Kosten für die ersten Katalysatoren vor einigen Jahren nicht zu vergleichen. Heute werden kleine Chemielabors unter dem Auto verbaut, mit einer intelligenten Software, die für den gesamten Lebenszyklus von mehreren 100 000 Kilometer funktioniert.

Dem großen Hype um E-Autos ist eine ebenso große Ernüchterung gefolgt. Ist die Technologie überschätzt worden?

Es ist falsch eingeschätzt worden, wie weit man im ersten Schritt mit der Technologie kommen kann. Andererseits darf man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch nicht ausblenden. Das öffentliche Geld, das zur Bekämpfung der Finanzkrise ausgegeben werden musste, steht für die Förderung der Elektromobiliät nicht mehr zur Verfügung. Der Wille war da, aber die Mittel haben nicht ausgereicht. Deshalb ist der Durchbruch der Elektromobilität ausgeblieben – bislang.

Eine Million E-Autos, die sich die Regierung bis 2020 wünscht, wird es nicht geben?

Bleiben die Rahmenbedingungen so, wie sie sind, wird das nicht zu schaffen sein. Dafür müssten schon heute viel mehr Fahrzeuge unterwegs sein. Elektroautos werden aber nicht in großer Stückzahl gebaut, weil die Kosten zu hoch sind und die Kunden abgeschreckt werden. Die Hersteller werden mit einigen Fahrzeugen präsent sein, aber zugleich in konventionelle und hybride Antriebe investieren.

Passiert eigentlich genug im Berliner Schaufenster für Elektromobilität?

Berlin ist der ideale Testmarkt für Elektromobilität. Aber sie müsste viel sichtbarer werden. Es reicht nicht, ein paar Ladesäulen an ausgesuchten Punkten aufzustellen. Die Skepsis der Verbraucher bleibt: Für sie ist die Technologie viel zu teuer.

Könnten Sie effizientere Antriebe liefern, die die Hersteller aber nicht bereit sind, in ihren Fahrzeugen zu verbauen?

Nein. Unter dem derzeitigen wirtschaftlichen Druck nicht. Die Verbraucher würden es nicht bezahlen. Bei den Kosten sitzen wir mit den Autoherstellern in einem Boot. Was die Taktzahl der Innovationen angeht, die die Industrie von uns erwartet, haben wir schon einen Peak erreicht.

Deutschen Ingenieuren wird vorgeworfen, sie seien zu perfektionistisch, während asiatische Hersteller Marktanteile erobern.

Da ist was dran. Aber es findet ein Wandel statt. Unsere Kunden aus China, Japan oder Südkorea wissen unser Qualitätsbewusstsein immer mehr zu schätzen. Sie sehen, dass deutsche Hersteller gut durch die Krise in Europa kommen, weil ihre Produkte anderswo in der Welt gekauft werden. Auch, weil man sich hier nicht mit 60 oder 70 Prozent Qualität zufrieden gibt, sondern mit 100 Prozent. Letztlich sind halbfertige Konzepte am Ende teurer.

IAV wurde vor 30 Jahren in Berlin gegründet. Was macht die Stadt attraktiv für einen Entwicklungspartner der Autoindustrie, die es hier so gut wie gar nicht gibt?

Es tut uns nicht weh, wenn die deutschen Hersteller in München, Stuttgart oder Wolfsburg produzieren. Die Attraktivität des Standortes Berlin hat für uns mehr mit den Bildungseinrichtungen zu tun, und weniger mit den Autofabriken. Wir könnten auch auf dem Mond entwickeln. Aber Spaß beiseite: Wir finden in und für Berlin die besten Ingenieure – auf den hiesigen Universitäten oder von außerhalb. Wir müssen uns nur sehr früh, schon während des Studiums um sie bemühen. Das unterstützt auch die Anwendungsorientierung der Berliner Universitäten. Da hat Berlin eine deutliche Schwäche.

IAV hat keinen Mangel an Fachkräften?

Nein. Wir haben in den beiden vergangenen Jahren jeweils 500 Ingenieure weltweit eingestellt. Dieses Jahr werden es um die 400 sein.

Ein Wort zur Politik: Tut der Berliner Senat genug für den Industriestandort?

Die Wirtschaftsverantwortlichen haben das Thema Automotive nicht richtig gesetzt. Die Wirtschaftspolitik scheint zu sehr auf mögliche Produktion fixiert, die es aber in Berlin wohl nie in der Breite geben wird. 100 Jahre Autoproduktion lassen sich nicht mal eben verlagern. Ja, es gibt Mercedes in Marienfelde, BMW in Spandau – aber entwickelt wird maßgeblich in Stuttgart oder München.

War es dann ein Fehler, sich politisch so sehr der Industrie anzunehmen?

Die Erfolge lassen auf sich warten, oder? Sinnvoller wäre es, wenn man sich breiter aufstellen und über den Tellerrand hinausschauen würde. Einen konzertierten Vorstoß für den Ingenieursstandort Berlin wünsche ich mir. Die TSB macht zum Beispiel einen guten Job. Aber in Berlin könnte insgesamt viel mehr passieren.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

DAS UNTERNEHMEN

Die 1983 als Ausgründung der TU Berlin entstandene Ingenieursgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) ist mit weltweit 5200 Mitarbeitern (900 davon in Berlin) einer der wichtigsten Entwicklungsdienstleister der Autoindustrie weltweit. 2012 erwirtschaftete IAV einen Umsatz von 535 Millionen Euro. Größte Gesellschafter sind Volkswagen

(50 Prozent) und Continental (20 Prozent).

DER MANAGER

Kurt Blumenröder (56) ist seit 2005 Sprecher der Geschäftsführung der IAV. Von 1998 bis 2004 war er als Geschäftsführer für verschiedene Unternehmen der Daimler AG in Deutschland und Tschechien tätig. Zuvor arbeitete der gelernte Maschineschlosser und Diplom-Ingenieur unter anderem als Produktmanager für die E-Klasse bei Mercedes-Benz. mot

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