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Berliner Gemeinde: Der Kirchenbanker

Frank Esch war 30 Jahre bei der Sparkasse. Dann kam die Finanzkrise und er wurde der erste Geschäftsführer einer Berliner Gemeinde.

Was für ein Geräusch. Scheppernd und klackernd. Eine Eiswürfelmaschine? Wer das Büro der evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord betritt, hört weder Glöckchen klingen noch Blechbläser schmettern. Die akustische Begleitung zum Fest ist vielmehr ein Geräusch, das man so nur aus Schalterhallen von Banken kennt oder aus dem Postamt in früheren Zeiten. Ein Blick ins Sekretariat bringt Aufklärung: Es ist eine elektronische Münzzählmaschine. „Wir sind froh, dass wir die haben“, sagt ein Mitarbeiter. Da bleibe Zeit für andere Dinge. Leider müsse man die ausländischen Münzen, die mache Leute auch gern in den Klingelbeutel werfen, per Hand aussortieren.

Spenden, Kollekten und Kirchgeld, das Nicht-Kirchensteuerpflichtige freiwillig spenden, machen zwar nur knapp acht Prozent der Einnahmen dieser Gemeinde aus. In der Summe sind es dann aber doch rund 68 000 Euro, die Unterstützer in bar oder als Überweisung in diesem Jahr gespendet haben dürften. Genau weiß man das erst nach Silvester. Jeder Euro, jeder Cent will aber vermerkt werden. Am Ende taucht die Summe als kleine Ecke in einem bunten Kreisdiagramm auf der Habenseite der Bilanz auf.

Gewinn-und-Verlust-Rechnung, Zuschüsse, Fragen der Mehrwertsteuerbefreiung, Schuldentilgung mit Zinseszins: Um solche Dinge muss sich in fast jeder Kirchengemeinde hierzulande ein studierter Theologe kümmern – sofern er nicht einen Steuerberater oder Betriebswirt unter den Schäfchen gefunden hat, der damit seine Freizeit verbringen mag. Nicht so in der Berliner Gemeinde Prenzlauer Berg Nord, die 2001 aus der Fusion der Gemeinden Elias, Gethsemane, Paul Gerhardt und Segen hervorging. Die Gemeinde beschäftigt seit gut zwei Jahren einen Geschäftsführer: Frank Esch, 47 Jahre alt. Fast 30 Jahre davon hat der als Bankkaufmann gearbeitet.

Er nimmt der einen Pfarrerin, den drei Pfarrern und den zwölf weiteren Mitgliedern im Gemeindekirchenrat die eher ungeliebten Teile der Arbeit ab – die Finanzen und die formale Dienstaufsicht von 17 Mitarbeitern vom Jugenddiakon bis zur Kantorin. „Die verteilen sich auf 11,35 Planstellen“, sagt Esch. Inklusive der vier Pfarrer, denen gegenüber er allerdings nicht weisungsbefugt ist. „Aha“, murmelt Dieter Wendland vom Kirchengemeinderat, der zum Gespräch mit im Büro sitzt, erstaunt über die krumme Stellenzahl. „Ja, das habe ich neulich ausgerechnet“, erwidert Esch. „Gut, dass wir ihn haben“, sagt Wendland.

Wendland (60), ein Mann wie ein Baum, war schon in den bewegten Tagen der Wende 1989 in der Gethsemanekirche aktiv, wo die DDR-Bürgerrechtler sich trafen. Er erklärt, dass die Berufung eines Geschäftsführers zunächst sehr kontrovers diskutiert wurde, auch weil die Gemeinde bis heute eine ausgesprochen basisdemokratische Kultur pflege. „Es gab die Sorge, dass wir uns einen Geschäftsführer finanziell nicht leisten können, zumal die Pfarrer das doch die ganze Zeit schon machen“. Zugleich habe man aber festgestellt, dass die Pfarrer mit den Finanzen zunehmend überfordert waren. Am Ende gab sich das Führungsgremium einen Ruck und schrieb eine halbe Planstelle aus.

Per Zeitungsanzeige wurde jemand gesucht, der das Zusammenleben von knapp 12 000 Gliedern, wie es in der Kirchensprache heißt, finanziell ordnet, inklusive einem Haushalt von weit über einer Dreiviertelmillion pro Jahr. „Exakt sind es 826 000 Euro“, sagt Esch.

Mit dem Beschluss kamen neue Vokabeln ins Haus. Eine externe Agentur lud Bewerber zum „Assessment-Center“ ein, um diese zu „casten“, wie es in der Sprache der Personalagenten heißt. Das Interesse war groß, auch knallharte Sanierer bewarben sich, die bestimmt gewusst hätten, wo sich zwischen Kinderchor und Friedhofsgärtnerei noch ein paar Euro zusammenfegen lassen. Am Ende entschied sich das Gremium für einen eher besonnenen Typen, einen Mann des Ausgleichs, der aber nichts Pastorales an sich hat.

Frank Esch wuchs in einem kleinen Dorf in Rheinhessen auf und hatte mit der Kirche nicht viel am Hut, bis ein junges Pastorenehepaar dort frische Jugendarbeit organisierte. Er engagierte sich, fuhr mit auf Sommerzeltlager, und machte nach seiner Banklehre den Zivildienst bei der Gemeinde. Sein Beruf führte ihn später zur Mittelbrandenburgischen Sparkasse nach Potsdam. „Das war lange spannend, doch am Ende wurde der Zieldruck dort immens“, sagt er. „Wie in jedem Unternehmen müssen die vorgegeben Verkaufsziele erreicht werden. Und wenn dies nicht der Fall war, kamen die Anrufe in immer kürzeren Abständen und in immer deutlicherem Tenor: Machen Sie was!“ Anstrengende Zeiten. Es war das Jahr 2008, kurz bevor die Lehman-Pleite in den USA den weltgrößten Finanzkollaps seit 1929 auslöste. Esch, der keine Familie zu versorgen hat, konnte und wollte sich beruflich neu orientieren. So kam er zur Kirche.

Die Vergütung und Altersversorgung bei der Kirche lehnt sich eng an die im öffentlichen Dienst. Auf der halben Stelle verdient Esch heute rund 1700 Euro brutto und arbeitet zusätzlich freiberuflich – was nicht ganz leicht ist, da er am Vormittag meist im Büro sein muss, die wichtigsten Sitzungen der Gremien aber bis in dem späten Abend gehen. Zurück will er trotzdem nicht. „Meine Arbeit ist heute sehr viel vielfältiger, menschlich bereichernder“, sagt er.

Nicht nur die Organisations-, auch die Mitgliederstruktur in Prenzlauer Berg Nord ist untypisch für Gemeinden der Landeskirche. Seit den 90er Jahren erlebte der Stadtteil bekanntermaßen einen fast vollständigen Austausch der Bevölkerung. Viele Gläubige aus Westdeutschland zogen zu, wodurch die Gliederzahl zwischen 1998 und 2008 von knapp 9200 auf 12 000 stieg. Das Gros der Glieder ist heute im starken Steuerzahleralter zwischen 20 und 50 Jahren.

Gute Voraussetzung eigentlich für stabile Einnahmen, allerdings stagniert die Zahl seit 2008. Und Esch ringt auch mit ganz typischen Kirchengeldsorgen: 70 Prozent der Ausgaben sind durch Personalkosten und Altersversorgung festgeschrieben. „Arbeit in einer Gemeinde mit Menschen und für Menschen ist personalintensiv“, sagt er. Zudem müssten große Kirchengebäude, die stadtbildprägend sind, unterhalten werden. Jetzt aber dringt Wasser durch die Dachtraufe der großen Gethsemanekirche: 1,6 Millionen Euro soll die Sanierung kosten. „Wie wir das hinbekommen sollen, weiß ich noch nicht“, sagt Esch. Dass die Lösung allein in der Münzzählmaschine liegt, ist eher unwahrscheinlich.

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