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Sinnbus-Mitgründer Peter Gruse im Plattenlager des Labels.

©  Mike Wolff

Berliner Wirtschaft ganz nah (5): Ein Musiklabel in "astreiner Platte"

In einem Haus im Wedding verbinden sich kreative Geister beim Produzieren und Promoten von urbaner Musik.

Die Kommune lebt im Waschbeton. Ein Zweckbau aus den 60er Jahren mit Metallfenstern und einem Treppenhaus wie im Einwohnermeldeamt. „Das ist hier wie in Machu Picchu“, meint Anton Feist, Tonmeister und Mitspieler in der Band The/Das über den terrassenförmigen Aufbau des Hauses, das sich nach oben verjüngt. Im Erdgeschoss, wo früher bei Bolle Lebensmittel gekauft wurden, stehen jetzt Spielautomaten. In den oberen Stockwerken sitzen Handwerker und Künstler hinter Computern. Musikanten, Video-Macher, Fotografen und Filmschaffende, ein Musiklabel. Die Leute von Pictoplasma sind gerade in Mexiko bei einer Ausstellung von Charakterporträts.

Hier, in der Reinickendorfer Straße, Ecke Gerichtstraße, treffen sich Kreative in einer „astreinen Platte“, wie Peter Gruse sagt, zum Arbeiten. Der 36-Jährige stammt aus Hellersdorf. Vor zwei Jahren, als er mit ein paar Kumpels einzog, wunderte er sich über den alten Kasten zwischen stark befahrener Straße und einem Bahndamm. „Wow, im Westen war es ja nicht viel anders als bei uns“. Das muss ja auch nicht schlecht sein. „Wir sind frei“, sagt Gruse. Das ist nicht immer einfach. Aktuell überlegen sie, ob und wie der Fahrstuhl instand gesetzt werden kann. Komplizierte Materie für Musiker. „Man kommt in völlig ungewohnte Bereiche. Dabei wollten wir eigentlich nur Platten rausgeben.“

Gruse ist Mitgründer des Musiklabels Sinnbus, für fünf Jahre haben sie das Gebäude gemietet. „Wir haben eine gewisse Art von linkem Community-Zusammenhalt“, sagt Gruse. Das Haus bewirtschaften sie selbst – Müllentsorgung, Energieversorgung, Putzen –, die Arbeitsbedingungen sind vergleichsweise super. „In Paris oder London ist das ganz schrecklich, jeder Quadratmeter im Treppenhaus wird da genutzt“, hat Gruse vor Ort gesehen. Berlin dagegen hat Räume zum Ausprobieren und Entwickeln. Es gibt Clubs in jeder Größe und entsprechend Auftrittsmöglichkeiten für Musikanten. In London sind Auftritte eng getaktet: „Wenn eine Band fertig ist, muss alles raus, dann kommt die nächste“, sagt Gruse. „Für Musiker aus UK ist Berlin ein Paradies.“ Nicht nur für die. „Berlin ist und bleibt die Musikhaupstadt Deutschlands“, heißt es in einer Analyse der IHK. Die Statistiker zählen gut 1200 Unternehmen, die mit Musik Geld verdienen. Besonders viel kommt nicht dabei rum. Der Umsatz aller Firmen zusammen liegt bei knapp 700 Millionen Euro, von 12 500 Erwerbstätigen sind nur gut 4000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, der überwiegende Teil musiziert also auf eigenen Rechnung. „Man lebt nicht auf besonders hohem Level, aber man kann mit seinen Leuten in so einem Haus sitzen und arbeiten“, sagt Gruse.

Unter Freunden im eigenen Haus

Mit vier Freunden hat er vor zwölf Jahren Sinnbus gegründet. Martin ist Designer und fungiert als das Auge von Sinnbus, Records + Publishing GbR. Uwe, der Tonmeister, ist das Ohr, Daniel macht Texte und der Diplom-Kaufmann Peter Gruse kümmert sich ums Geschäft. „Ich bin die Zahl.“ Alle vier haben in den 90er Jahren in Bands gespielt, und da sie keine Vertriebsplattform für ihre Musik hatten, erfanden sie ihr eigenes Label, Sinnbus eben. Das Bedürfnis, Bands zu betreuen, kam hinzu; irgendwann brauchte das Quartett ein Büro und jetzt bewohnen sie mit artverwandten Freunden ein Haus. „Etwas wagen, aber bodenständig bleiben“, beschreibt Gruse den geschäftlichen Ansatz.

Gespielt und promoted wird „urbane Musik“ – Indie, Elektro, Techno. 53 Alben hat Sinnbus inzwischen verlegt, darunter die Bands Bodi Bill, Hundreds und Me And My Drummer. Ein Highlight ist das gerade erschienene Debütalbum von The/Das, weil es die erste Scheibe ist, die komplett im Haus produziert wurde, inklusive des Cover-Designs, Foto, Promotexte. „Das ist schön, das verbindet“, sagt Gruse über das Zusammenwirken der Hausbewohner. Den Sound von The/Das, einer Nachfolgeband von Bodi Bill, nennt er „Techno-Tenderness“. Alles in allem, inklusive Video-Dreh in Kroation, hat das Album 20 000 Euro gekostet. Zehn (digital) bis 15 Euro (CD) kostet die Scheibe, kommende Woche ist die Release-Party im Prince Charles in Kreuzberg. Die Handschrift von The/Das wird im Promotext als „lässiger Entwurf leicht unterkühlter und lebendiger elektronischer Musik mit Tiefgang und Liebe zum Detail“ beschrieben.

"Es gibt so viel Musik wie noch nie"

Einer Stärken-Schwächen-Analyse der Musikszene zufolge „wollen internationale Kreative nach wie vor in Berlin leben und arbeiten“. Und die „prosperierende IT- und Start-up-Branche kann Verknüpfungen mit der Musikbranche herstellen“. Zu den Schwächen zählt die IHK-Studie den „starken Wettbewerb“ und die mangelhafte Vernetzung der Akteure – was ein Charakteristikum vieler Kreativer ist. Für Sinnbus gilt das nicht. Nachwuchs zum Beispiel rekrutieren die Musikpromoter über Empfehlungen von Bekannten. „Es gibt so viel Musik wie noch nie“, sagt Gruse. „Der Hip-Hop-Hype ist noch nicht vorbei und Helene Fischer ist auch erfolgreich“, grinst er.

Zwar schaue immer noch alle Welt darauf, was aus den USA und Großbritannien kommt. Doch auch in den beiden Leitmärkten werde elektronische Musik aus Deutschland hochgeschätzt. Das ist aber nicht das Ding von Sinnbus, sondern der Indierock. Aber der ist, gespielt mit Schlagzeug, Gitarre und Bass, „total tot, da geht keiner hin“. Sinnbus versucht nun, zwischen Leben und Tod zu vermitteln, „Elektro in Richtung Band zu bringen“, wie Gruse formuliert.

Wie das eben auch The/Das macht, sozusagen die Hausband der Community aus der Reinickendorfer Straße. Das Album „Freezer“ sei eine „zärtliche Liebeserklärung an den Entdeckungsdrang und die Ferne, die Neugier und die Verwirrung, eine Ode an das unbedingte Dinge- Zusammen-Machen“, heißt es im Promotext, der auch als Beschreibung des Weddinger Künstlerhauses durchgeht.

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