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Wirtschaft: Berliner Wirtschaftspolitik: "Betriebsbedingte Kündigungen sind falsch"

Frank Steffel (35) und Dieter Scholz (54) sind sich einig: Berlin muss sparen, aber gespart werden soll nicht zu Lasten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Soviel Harmonie zwischen einem CDU-Politiker und einem Gewerkschafter ist nicht selbstverständlich.

Frank Steffel (35) und Dieter Scholz (54) sind sich einig: Berlin muss sparen, aber gespart werden soll nicht zu Lasten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Soviel Harmonie zwischen einem CDU-Politiker und einem Gewerkschafter ist nicht selbstverständlich. Aber in Berlin ist Wahlkampf. Steffel ist die große Hoffnung der notleidenden Berliner CDU. Der promovierte Kaufmann will Ende Oktober Regierender Bürgermeister werden. Scholz, gelernter Elektromechaniker, steht seit 1998 an der Spitze des DGB im Land Berlin. Zuvor war er Spitzenfunktionär bei der IG Metall.

Herr Steffel, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit meint, die CDU habe sich in der großen Koalition sozialdemokratischer gebärdet als die SPD. Vor allem der Stellenabbau im öffentlichen Dienst sei deshalb nicht radikal genug angepackt worden.

Steffel: Das ist Quatsch. Richtig ist aber, dass die CDU immer auf soziale Gerechtigkeit achtet. Der Regierende Bürgemeister soll sich mal beim Bundeskanzler erkundigen, für den gibt es keine sozialdemokratische, sondern nur eine gute oder eine schlechte Wirtschaftspolitik.

Wenn die Steuereinnahmen eines Landes komplett ins öffentliche Personal fließen, dann stimmt doch etwas nicht.

Steffel: Über das Thema muss verantwortungsvoll geredet werden. In den letzten Jahren sind 60 000 Stellen sozialverträglich abgebaut werden, mehr als in einer anderen Stadt oder einem anderen Land in Deutschland. Man merkt Herrn Wowereit an, dass er noch nie Verantwortung für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen getragen hat. Glauben Sie, ein mittelständischer Unternehmer würde sagen, dass er "radikal" mit seinen Mitarbeitern umspringen will? Mit den Beschimpfungen des öffentlichen Dienstes erhöhen wir jedenfalls nicht die Attraktivität für Existenzgründer und Unternehmer, die sich in der Stadt ansiedeln wollen.

Scholz: Natürlich müssen wir auch nach Sparpotenzialen gucken. Aber es ist Unsinn zu glauben, wenn wir die Probleme des öffentlichen Dienstes in den Griff kriegen, kriegen wir die Probleme der Stadt in den Griff. Was wir brauchen, ist eine Gesamtstrategie - die hat die Politik in den vergangenen zehn Jahren nicht vorgelegt.

Steffel: Ich halte die Zahl von einer Milliarde Mark Einsparpotenzial, die Herr Wowereit für den öffentlichen Dienst genannt hat, für vollkommen verfehlt. Wenn die Bundesregierung so weiter macht, dann verlangen die Beschäftigten zurecht einen Ausgleich für die hohe Inflationsrate. Und wenn wir einen Tarifabschluss von 2,5 bis drei Pozent bekommen, dann bedeutet das 400 Millionen Mark mehr Personalkosten für das Land Berlin. Pro Jahr. Eine Milliarde Einsparungen bei den Personalkosten ist also eine völlig illusorische Größenordnung.

Würden Sie einen neuen Beschäftigungssicherungsvertrag abschließen, der wie heute Kündigungen bis 2004 ausschließt?

Steffel: Ja, weil betriebsbedingte Kündigungen falsch sind; sie betreffen vor allem die Jungen, Leistungsstarken und die Angestellten aus dem Osten Berlins. Stellen wir uns mal vor, wir hätten die 60 000 Stellen in den vergangenen Jahren über Kündigungen abgebaut. Das hätte viel mehr gekostet und enorme soziale Spannungen gebracht. In den nächsten zehn Jahren werden 35 000 Mitarbeiter altersbedingt ausscheiden. Deshalb brauchen wir uns jetzt gar nicht so aufgeregt mit dem Thema zu befassen. Ich sehe vielmehr die Gefahr, dass wir in wenigen Jahren kaum noch qualifizierte Mitarbeiter für den öffentlichen Dienst bekommen, wenn wir weiter so auf den Mitarbeitern rumtrampeln. Denn es gibt verdammt viele gute Mitarbeiter im öffentlichen Dienst.

Es gibt Gutachten von Unternehmensberatern, die im Berliner öffentlichen Dienst 50 000 überflüssige Stellen ausmachen.

Steffel: Aber doch nicht bei gleichen Aufgaben, das glaubt doch kein Mensch.

Scholz: Es wird überhaupt nicht darüber geredet, ob dieser öffentliche Dienst Leistungen bringt. Wir tun alle so, als ob die Stadt pleite ist, weil es diesen öffentlichen Dienst gibt. Das ist doch absurd. Wir haben ein Sozialstaatsmodell, in dem der öffentliche Dienst mit seinen Leistungen eine wichtige Rolle spielt.

Wundert es Sie nicht, Herr Scholz, dass der CDU-Kandidat Steffel wie ein Gewerkschafter und der SPD-Mann Wowereit wie ein Arbeitgeber argumentiert?

Scholz: Herr Wowereit hat in unserem letzten Gespräch ausdrücklich gesagt, dass Verträge eingehalten werden. Es gibt also in jedem Fall bis 2004 keine betriebsbedingten Kündigungen. Im Übrigen: Wenn ich jemanden frage, wo er 15 000 Stellen streichen will, dann gibt es keine Antwort.

Steffel: Ich habe nicht die Absicht, hauptsächlich darüber nachzudenken, wen wir alles im öffentlichen Dienst ärgern können. Da machen wir eine riesiges Fass auf und drücken die Kosten von 14 Milliarden auf vielleicht 13,9 Milliarden Mark. Das bringt überhaupt nichts.

Geht es nicht vor allem darum, dass Berlin das Image einer Stadt des öffentlichen Dienstes ablegt?

Scholz: Gerade eben hat in einer Bertelsmann-Studie die Berliner Wirtschaftsverwaltung in Bezug auf Ansiedlungen die beste Note bundesweit gekriegt.

Warum gibt es dann so wenig Ansiedlungen?

Scholz: Das entscheidende Kriterium für ein Unternehmen ist die Frage, welche Fühlungsvorteile habe ich für Innvotionen und wie ist mein Markt. Und wie ist die Qualifikation der Beschäftigten.

Steffel: Der dritte Punkt ist der wichtigste.

Scholz: Was den Absatz, also den Markt anbelangt, da leben wir in einer Region, die leider nicht viel zu bieten hat. Das hängt mit der falschen Sparpolitik zusammen, die Waigel begonnen hat und die von Eichel fortgesetzt wird. Woran wir in der Region drehen können, ist die Qualifizierung der Arbeitskräfte. Leider ist das Ausbildungsniveau hier mit das schlechteste in ganz Deutschland. Da ist vor allem die Klientel von Herrn Steffel gefordert.

Steffel: Welche Klientel meinen Sie, die Arbeitnehmer?

Scholz: Nein, die Unternehmer, oder ist das nicht ihre Klientel?

Steffel (lacht): Ich habe den Eindruck, einige Unternehmer sind ganz woanders, die gucken lieber, wer ihre neoliberalen Vorstellungen durchsetzt. Die CDU ist eine moderne Volkspartei und keine Klientelpartei.

Scholz: Finde ich gut, wenn wir das gemeinsam bekämpfen. Aber zurück zu meinem zweiten Punkt, der Innovation. Berlin hat hervorragende wissenschaftliche Einrichtungen. Trotzdem haben wir eine massive Innovations- und eine Produktentwicklungsschwäche. Die Unternehmen sind offenbar nicht in der Lage, die Fühlungsvorteile zu den Forschungseinrichtungen zu nutzen. Wir müssen also mehr Kooperationen von kleinen und mittleren Unternehmen fördern und eine flächendeckende Beratungsinfrastruktur schaffen.

Steffel: Wie steigern wir die Wirtschaftskraft und wie geben wir den Menschen eine Perspektive. Betroffen machen mich insbesondere die älteren Mitarbeiter, die mit 50 Jahren keine berufliche Perspektive mehr haben. Das ist fürchterlich, und da muss mit Qualifizierung und Weiterbildung angepackt werden. Zum Zweiten die gering Qualifizierten: Mehr als 80 Prozent der türkischen Schulabgänger in Berlin haben bestenfalls einen Hauptschulabschluss. Für diese jungen Menschen wird das ganz schwer auf dem Arbeitsmarkt. Und dann komme ich zu den Innovationen. Was in Adlershof oder Buch entsteht, sind kleine Unternehmen, Spezialisten, die aber nur teilweise unsere Arbeitsmarktprobleme lösen.

Lässt sich eine Unternehmerkultur fördern, die Selbstständigkeit und Existenzgründungen forciert?

Steffel: Das Unternehmerbild in der Gesellschaft stimmt nicht. Warum findet denn der Mord im Krimi immer in der Unternehmer-Villa statt und nicht in einer Intendanten- oder Chefredakteurs-Villa? Warum werden in Schulbüchern Unternehmer noch als dickbäuchige Kapitalisten mit Zylinder und Zigarre dargestellt? Da hat sich im Verlauf von Jahrzehnten ein Image aufgebaut, das erstens nicht mehr stimmt und zweitens die wirtschaftliche Dynamik bremst.

Welchen Einfluss hat Politik auf die Stimmung in der Wirtschaft?

Scholz: Von Psychologie in der Ökonomie halte ich nur begrenzt etwas. Mich interessiert vielmehr, wie dieses Land mit seiner Hauptstadt umgeht. Alleine werden wir aus der Krise nicht herauskommen.

Steffel: Wir brauchen mehr Unterstützung von Bund und Ländern. In den nächsten fünf Jahren muss es ein Berliner Wirtschaftswunder geben.

Und wie kriegen wir dieses Wirtschaftswunder?

Scholz: Ich glaube nicht an ein Wirtschaftswunder. Das wird vielmehr ein mühevoller Sanierungspfad.

Herr Steffel, welches Signal wollen Sie nach einem Wahlsieg setzen?

Das Signal ist ganz einfach am 21. Oktober um 18.00 Uhr. Wenn in Berlin ein mittelständischer Unternehmer, der bis vor wenigen Wochen hauptberuflich nicht in der Politik war, die Wahl gewinnt, dann ist das das Signal: Ein sich zur sozialen Gerechtigkeit bekennender Mittelständler wird Regierender Bürgermeister von Berlin.

Herr Steffel[der Regierende Bürgermeister Kl]

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