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Wirtschaft: Bernd D. W. Unger

(Geb. 1936)||Bärenbelege. Bärenstandorte. Muss sich doch jemand drum kümmern.

Bärenbelege. Bärenstandorte. Muss sich doch jemand drum kümmern. Mit jewissem Unbehagen/greif ick jetzt zum Telefon. / Doch ick muss et Ella sagen, / denn se weeß noch nischt davon, / det aus unserm Ausjehn morjen / nischt jenauet werden kann. / Morjen hab ick andre Sorjen: / Morjen kom’ de Bären an.“

Einen Tag nach Beendigung der 700-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1937 wurde in der „BZ am Mittag“ ein offener Brief abgedruckt mit der Forderung, dem Berliner Wappentier nun endlich in einem würdigen Rahmen auch leibhaftig begegnen zu dürfen: „Wir Berliner wollen was Lebendiges, wir, die Einwohner der lebendigsten Stadt.“

Am 16. August 1939 erschien das Bärengedicht in der „B.Z.“, und am nächsten Tag um 15 Uhr war es endlich so weit. Vier Bären bezogen den eigens für sie erbauten Zwinger neben dem Märkischen Museum: Urs und Vreni aus der Bärenstadt Bern, ein Geschenk zum Stadtjubiläum, und Jule und Lotte, ihrerseits echte Berliner Zoobären.

Wie durch ein Wunder überlebten die Bären alle Luftangriffe – und fanden dann doch den Tod. Deutsche Soldaten erschossen sie, um im Fall einer Beschädigung des Zwingers ein Ausbrechen zu verhindern. Nur Lotte kam davon – sie fand Unterschlupf im Zoo, wo sie am 6. Februar 1971 verstarb.

1949 bezogen erneut Bären den Zwinger am Museum. Die Berliner Kinder wurden aufgefordert, Namen für die beiden Neubewohner zu finden. 20 000 Vorschläge gingen ein, und nach einer feierlichen Taufe begründeten Nante und Jette die neue Berliner Bärendynastie, die Jahr für Jahr über 100 000 Besucher in den Köllnischen Park lockt.

Das alles, und noch viel mehr über den Berliner Bär in der Wirtschaft, in der Kunst, in der Geschichte ist nachzulesen in dem Standardwerk der neueren urbanen Bärenforschung von Bernd D. W. Unger „Der Berliner Bär. Ein Streifzug durch Geschichte und Gegenwart“.

Auf der von ihm initiierten Internetseite „www.berliner-baer.de“ finden sich darüber hinaus Aktuelles – und viele begeisterte Leserbriefe von Wahlberlinern aus aller Welt.

Und dann ist da noch der „Verein der Berliner Bärenfreunde“, den Bernd Unger mit Gleichgesinnten im November 1994 ins Leben gerufen hat.

Ihm war aufgefallen, dass erstaunlich wenig über die Geschichte des Berliner Wappentiers bekannt ist und „von den zwei Möglichkeiten, entweder sich über diesen Umstand zu ärgern oder ein würdiges Geschichtsbuch über unser treues Wappentier zu beginnen, habe ich die letztere gewählt und es nie bereut“.

Zehntausend Publikationen hat Bernd Unger ausgewertet, über 600 Bärenbelege gesammelt. Auf seine Anregung hin hat sich der stellvertretende Vorsitzende des Vereins im Stadtgebiet auf den Weg gemacht und über 320 Bärenstandorte entdeckt und verzeichnet.

Dank eines Siegelfundes der Kürschnerinnung konnte auch der genaue Geburtstag des Berliner Bären auf den 22. März 1280 festgelegt werden. Er wird nun Jahr für Jahr mit entsprechenden Veranstaltungen und einer kulinarischen Sonderration für die Nachfahren begangen.

Hatte der Mann nichts Besseres zu tun? Sagen wir: Er hatte auch anderes zu tun. Bernd Unger war gelernter Außenhandelskaufmann, tätig in der Sparte Handel, Nahrung und Genuss: Er kaufte in der Türkei Rosinen für die volkseigenen Bäckereien.

Als die Mauer fiel, musste er mit ansehen, wie die ostdeutschen Handelsbeziehungen verödeten. Nicht Berlin, sondern Wien wurde zur Drehscheibe des Ost-West-Handels. Und die alten Absatzmärkte der DDR in Indien, China und Vietnam blieben ungenutzt. Also trat er nach seiner Pensionierung einem kleinen Unternehmen bei und half, die Marktchancen für mittelständische Unternehmen in Indien und Fernost auszuloten.

Das tat er mit dem ihm eigenen strategischen Instinkt und einer penibel anmutenden Beharrlichkeit. Wenn er zur Arbeit fuhr, tat er das stets mit der S-Bahn, und zwar immer in der zweiten Reihe des achten Wagens. Weiter ging es mit der Elektrischen. Nie mit der Tram! Tram würde kein Berliner sagen.

Und die Sache mit dem Bär? Für ihn war es Liebe zur Stadt – aber auch ein nicht ohne Augenzwinkern betriebenes psychologisches Experiment: kommunale Selbstbesinnung auf zoologischem Umweg.

Dafür kam ihm der Berliner Bär gerade recht. Er sollte den Berlinern noch mal richtig Beine machen, und für Bernd Unger selbst diente diese ungemein erfolgreiche Stadtgeschichtsforschung als Probe aufs Exempel eines ganz privaten kategorischen Imperativs: Nie einen freundlichen alten Herrn unterschätzen!

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