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Wirtschaft: Bertelsmann prüft den Ausstieg bei Gruner + Jahr

Was muss der Gütersloher Konzern verkaufen, um den Börsengang abzuwenden? Zur Debatte stehen Europas größter Zeitschriftenverlag und das Musikgeschäft

Hamburg - Bertelsmann steht vor einschneidenden Veränderungen. Nach Tagesspiegel-Informationen erwägt der Medienkonzern, seinen Mehrheitsanteil am Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr zu verkaufen. Dies dementiert die Gütersloher Zentrale allerdings. „Da ist nichts dran. Das ist Quatsch“, sagte Konzernsprecher Andreas Grafemeyer am Montag. Auch Vorstandschef Gunter Thielen hatte jüngst erklärt, Bertelsmann sei ohne G + J schwer vorstellbar. Eine weitere Option ist der Rückzug aus dem Musikgeschäft. In Branchenkreisen hieß es, Investmentbanken sollen bereits mit dem Verkauf des 50-Prozent-Anteils am Musikkonzern Sony- BMG – weltweit die Nummer zwei – sowie des Musikverlagsgeschäfts beauftragt worden sein. Diese Spekulationen ließ Bertelsmann unkommentiert.

Hintergrund ist, dass der von der Familie Mohn geführte Konzern einen Börsengang verhindern will. Bertelsmann-Aktionär Groupe Bruxelles Lambert (GBL) hatte angekündigt, im Mai 2007 mit seiner 25-Prozent-Beteiligung an dem Unternehmen an die Börse zu gehen. Bertelsmann versucht, die schätzungsweise notwendigen vier bis fünf Milliarden Euro zusammenzubringen, um den Anteil zurückzukaufen.

Seit Herbst prüft die Unternehmensberatung Boston Consulting Group das Portfolio des europäischen Branchenprimus. Der Wert des Sony-BMG-Anteils wurde von der Investmentbank Goldman Sachs auf 1,6 Milliarden Euro geschätzt. Im Bertelsmann-Vorstand wird er auf deutlich über zwei Milliarden Euro taxiert. Doch auch das wäre nicht genug, um den Rückkauf des GBL-Anteils zu finanzieren.

Daher rückt möglicherweise auch G + J ins Blickfeld. Bei dem größten Zeitschriftenverlag Europas erscheinen unter anderem der „Stern“, „Brigitte“ und „Eltern“. Die Hamburger Verlegerfamilie Jahr, mit 25,1 Prozent beteiligt, rechnet bereits mit dem Ausstieg von Bertelsmann. Angelika Jahr-Stilcken, die im Vorstand von G + J die Familie vertritt, sagte dem Tagesspiegel, es gebe bei den Jahrs „noch keine Meinungsbildung“, wie man sich dann verhalten werde. „Das liegt in den Händen von Bertelsmann.“ Dessen Vorstandschef Thielen habe sich „noch nicht dazu geäußert“, fügte sie hinzu.

Die Jahr-Familie habe ein Vorkaufsrecht, falls Bertelsmann seinen Anteil von 74,9 Prozent veräußere, unterstrich Jahr-Stilcken. Vertraute der Familie sagten dem Tagesspiegel aber, die Jahrs könnten selbst die Gelegenheit zum Ausstieg nutzen. Dann stünde der gesamte Verlag zum Verkauf. Das Interesse internationaler Investoren wäre sicher. Allerdings dürften sie einen Gesamtpreis von vier bis sechs Milliarden Euro zu stemmen haben. Passend zu diesen Überlegungen legte G + J am Montag eine starke Bilanz für 2005 vor. Erstmals seit vier Jahren gelang es, den Umsatz zu steigern: von 2,44 auf 2,62 Milliarden Euro. „Das ist die Trendwende“, sagte Vorstandschef Bernd Kundrun. Zeitgleich stieg die Rendite von 8,7 auf 9,5 Prozent, das operative Ergebnis um 17 Prozent auf 250 Millionen Euro.

Kundrun bekräftigte sein Ziel, den Umsatz bis zum Jahr 2010 auf 3,5 Milliarden Euro zu steigern. „Der Verlag braucht Ziele, und er braucht ein strategisches Motto“, sagte Kundrun. Nach den Offensiven für geringere Kosten und neue Zeitschriftenkonzepte laute das Motto nun „Expand Your Brand“, also „Erweitere deine Marke“. An Produkten wie dem von Nutzern selbst erstellten Internet-Lexikon Wikipedia zeige sich: „Leser wollen nicht nur konsumieren, sie wollen mitmachen“, sagte der Verlagschef.

Die Auflagen klassischer Zeitschriften schrumpfen weiter. Wachstum sollen neue Magazine und Akquisitionen im In- und Ausland bringen. 2005 gründete G + J 16 neue Titel, in Deutschland unter anderem „Park Avenue“, kaufte die Motor-Presse Stuttgart und trennte sich vom Magazingeschäft in den USA. Aktuell hat G + J einen Auslandsanteil am Umsatz von 57 Prozent.mit HB

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