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© ddp

Berthold Huber, IG Metall: "Das geht nicht gut mit der FDP"

IG Metall-Chef Berthold Huber spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Hilfe für die Industrie, schwarz-gelbe Sozialpolitik, Opel und die Tarifrunde 2010.

Herr Huber, was sagt Ihnen der Industriepolitiker Rainer Brüderle?



Bisher nichts. Ich kenne keine Vorstellungen zur Industriepolitik der FDP oder von Herrn Brüderle. Dabei geht es ja hier um die Frage, welche industriellen Kerne wir brauchen und erhalten wollen. Mit der Philosophie, alles dem Markt zu überlassen, die Herr Brüderle bislang immer propagierte, kommen wir jedenfalls nicht weiter. Maschinenbau und Autoindustrie sind Wertschöpfungsbringer für die Wirtschaft insgesamt, die müssen wir pflegen. Auch die Politik muss das tun.

Wie viel Industrie geht jetzt in der Krise verloren?

Neben der Finanzkrise haben wir eine Nachfrage- und eine Strukturkrise in Teilen des Maschinenbaus und in der Autoindustrie. Das Thema Ökologie und Nachhaltigkeit ist vernachlässigt worden, die Entwicklung kleinerer Fahrzeuge und alternativer Antriebe kam bisher zu kurz. Das muss nun in den kommenden Jahren bewältigt werden.

Mit staatlicher Hilfe?


Es wird ohne staatliche Hilfe nicht gehen, weil wir auch eine Finanzierungskrise haben. Auch in Unternehmen und Betrieben übrigens, die zukunftsfähige Produkte herstellen. Wenn denen aber Liquidität und Eigenkapital fehlen, wird es trotzdem eng. Heute sind die Firmen konfrontiert mit absurden Zinsforderungen, die teilweise im zweistelligen Bereich liegen. Das nimmt solchen Unternehmen die Luft. Dort, wo Eigenkapital fehlt, muss man helfen, zum Beispiel durch den öffentlichen Beteiligungsfonds, den wir vorschlagen.

Dazu wollen Sie eine Zwangsanleihe erheben auf Vermögen über 750 000 Euro.

Das ist eine Möglichkeit der Finanzierung. Abgewickelt werden könnte es über die bundeseigene KfW, aber da ist die Hausbank immer mit im Geschäft, und KfW-Kredite sind auch nicht billig.

Ist die Krisenbewältigung nicht alles in allem gut gelaufen?

Bislang haben wir keine Massenentlassungen in den Firmen. Doch wir dürfen die 200 000 Leiharbeiter nicht vergessen, die in der Krise in der Versenkung verschwunden sind. Das ist ein politischer und moralischer Skandal.

Im nächsten Aufschwung bekommen sie wieder Arbeit.

Entschuldigung, wir sprechen über Menschen, die gute Arbeit abgeliefert haben. Als die Auftragnehmer sie nicht mehr gebraucht haben, wurden sie einfach rausgeworfen. Das ist doch der Skandal. Menschen werden in der Krise rausgeworfen, danach wieder eingestellt und bei der nächsten Krise wieder rausgeworfen. Das verändert die gesamte Arbeitskultur und die Rechtssituation der Arbeitnehmer. In der Koalitionsvereinbarung findet man dazu kein Wort. Schwarz-Gelb ignoriert das Thema. Sozialpolitische Verantwortung sieht anders aus.

Überhöhen Sie nicht das Thema?

Keineswegs. Die Leiharbeitsbranche sieht sich als Gewinner der Krise und erwartet in den nächsten Jahren ein Beschäftigungsvolumen in der Leiharbeit von zwei Millionen Menschen. Die zu schützen, die heute rechtlos sind, muss ein Anliegen jeder Regierung sein.

Das Anliegen der Regierung ist Wachstum, das Beschäftigung schafft, davon profitieren dann auch die Zeitarbeitnehmer.


Das sind doch alte, längst widerlegte Ideen. Es gibt dazu genügend empirische Belege, aber für manche ist Ideologie eben wichtiger als Empirie. Mit Steuererleichterungen Wachstum zu generieren - das funktioniert nur in der neoliberalen Gedankenwelt. Die FDP hat sich an diesem Punkt leider durchgesetzt. Aber das geht nicht gut.

Sie setzen weiter auf Angela Merkel, die Ihnen in diesem Jahr bei Kurzarbeit und Abwrackprämie geholfen hat?

Tatsächlich haben die alte Regierung und auch Frau Merkel da ein Verdienst. Denn ohne die Prämie wäre die Automobilindustrie ins Bodenlose gefallen. Und wir haben auch einen positiven Umwelteffekt, denn die Autos, die abgewrackt wurden, waren im Schnitt älter als 14 Jahre.

Wegen der Prämie werden in diesem Jahr in Deutschland 3,7 Millionen neue Autos verkauft, 2010 sind es ohne Prämie rund eine Million weniger. Kann die Kurzarbeit diesen Absturz auffangen?


Die Kurzarbeit trägt noch, aber wir brauchen eine Verlängerung über 2010 hinaus. Wenn also ein Unternehmen erst noch Kurzarbeit beantragt, dann sollten wie bislang 24 Monate möglich sein. Ich erwarte, dass die neue Regierung und der neue Arbeitsminister Jung, der ja als Arbeitsminister ein unbeschriebenes Blatt ist, in diesem Sinne handeln.

Es gibt 2010 leichtes Wachstum, vielleicht wird die Kurzarbeit dann überflüssig.

Die Wachstumsprognosen sind doch irreführend. In diesem Jahr wird die Wirtschaft um rund fünf Prozent schrumpfen, in der Metallwirtschaft fällt das Minus sogar deutlich höher aus. Auf diese geschrumpfte Basis wird ein bisschen aufgebaut. Hoffentlich. Aber das Niveau von 2007 erreichen wir frühestens 2011, wahrscheinlich erst 2012. Deshalb brauchen wir Kurzarbeit und auch weiterhin eine geförderte Altersteilzeit als Einstieg für junge Menschen.

Sie haben eine moderate Tarifrunde 2010 angekündigt. Ihr Verdi-Kollege Bsirske dagegen argumentiert, die Löhne müssten steigen, um die Binnennachfrage in Schwung zu bringen.

Die alte Formel „Inflation plus Produktivitätswachstum gleich Tariferhöhung“ stößt in der größten Weltwirtschaftskrise an Grenzen. Wir haben eine Inflationsrate in diesem Jahr von 0,3 Prozent. Für das nächste Jahr bewegen sich die Prognosen zwischen 0,4 und einem Prozent. Und Produktivitätssteigerungen gibt es zur Zeit bei Metall nicht. Ein Beispiel dazu: Bei MAN haben wir in diesem Jahr über 100 Kurzarbeitstage und für das kommende Jahr sieht es nur wenig besser aus. Woher soll da die Produktivität kommen? Alles in allem ist das Thema Beschäftigungssicherung mit Kurzarbeit, Altersteilzeit und Ausbildung für uns vorherrschend in 2010.

Das freut die Arbeitgeber.

Ach was. Ich sehe auf der Arbeitgeberseite heute wenige, die jetzt Massenentlassungen vornehmen. Sie haben offenbar aus der Krise 1993-95 gelernt. Man kann auch nicht vor der Krise über Fachkräftemangel reden und dann in der Krise die Fachkräfte entlassen. Der Sozialstaat stellt übrigens mit dem Instrument der Kurzarbeit eindrücklich seine Kompetenz unter Beweis. Aber es ist klar: Wenn es zu Massenentlassungen kommt, sieht alles ganz anders aus. Wir werden uns dann zu wehren wissen.

Halten sich Konzerne und Politik mit wirklich schmerzhaften Maßnahmen womöglich bis zur NRW-Wahl im Mai zurück?

Es gibt ja jede Menge Vertagungen im Koalitionspapier, alles mögliche wird an Arbeitsgruppen überwiesen. Offenbar will man über die Landtagswahl kommen und holt danach den Knüppel raus. Mit einer Ausnahme: Im Gesundheitssystem ist jetzt schon klar, dass Schwarz-Gelb die paritätische Finanzierung aushebeln will. Zusätzliche Kosten der Gesundheitsversorgung gehen einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer. Das zielt auf einen anderen Sozialstaat.

Zieht die neue Regierung den Opel-Verkauf an Magna durch?

Magna war im Frühjahr der erste Interessent und hat am Ende mit seinen russischen Partnern auch das überzeugendste Konzept vorgelegt. Die russische Regierung hat natürlich das Interesse, dass Produkte für den russischen Markt auch in Russland gebaut werden. Das kann für Opel eine Perspektive sein.

Bei Opel sollen die Mitarbeiter auf Geld verzichten und dafür an New Opel beteiligt werden. Gibt das einen Schub für das Thema Mitarbeiterbeteiligung?

Nein. Im Koalitionsvertrag gibt es zu dem Thema auch nur Andeutungen. Für uns ist Verzicht immer in Verbindung zu sehen mit der Frage: Beiträge der Arbeitnehmer für was? Da es bei Opel keine absolute Beschäftigungssicherung geben wird, ist die Idee der Mitarbeiterbeteiligung entwickelt worden. Das ist eine pragmatische Lösung in einer Krisensituation, weil Arbeitnehmer Opfer für nichts nicht akzeptieren.

Herr Huber, Sie sind jetzt zwei Jahre erster Vorsitzender der IG Metall. Wie steht die Organisation heute da?

In den letzten Jahren hat die IG Metall versucht, nicht nur die Antworten von gestern zu geben, sondern sich auf neue Situationen einzustellen. Dazu gehört die Angleichung von Arbeitern und Angestellten im Entgeltrahmenabkommen, der Qualifizierungstarifvertrag und zeitgemäße Tarifverträge sowie die Regelung von Altersteilzeit. Auch in der Frage von Initiativen zur Krisenbewältigung sind wir ein akzeptierter Akteur.

Wie sieht die Bilanz der IG Metall für Ostdeutschland aus?

Selbstkritisch muss ich sagen, dass wir uns mit Transfer- und Beschäftigungsgesellschaften stark um die Fälle gekümmert haben, bei denen am Ende wenig bis sogar nichts mehr übrig blieb. Gleichzeitig haben wir versäumt, da, wo etwas bleibt oder neu aufgebaut wird, mit der gleichen Verve und Initiative reinzugehen. Da haben wir Defizite, die wir jetzt mühsam aufarbeiten müssen. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen haben sich auch bis an die Grenzen engagiert. Ein Jahr Osten war wie zwei Jahre Westen. Es ist ein schwieriges Feld.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

Berthold Huber (59) lernte nach dem Abitur Werkzeugmacher. Beim Bushersteller Kässbohrer wurde er in jungen Jahren Betriebsratsvorsitzender. Franz Steinkühler holte Huber, der ein paar Jahre Geschichte, Philosophie und Politik studierte, 1990 in die Gewerkschaftszentrale. Vor zwei Jahren wählte ihn die IG Metall zu ihrem ersten Vorsitzenden. Mit knapp 2,3 Millionen Mitgliedern ist die IG Metall die größte deutsche Gewerkschaft. Huber bemüht sich um eine Stärkung der Gewerkschaft in den Betrieben. Doch in der aktuellen Krise drohen der Industrie und damit auch der IG Metall erhebliche Einbußen.

Interview: Alfons Frese

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