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Alles für den guten Fang. Qualifizierte Bewerber sind in vielen Branchen Gold wert. Darum werden sie mit hohen Geld- und Sachprämien belohnt.

© dpa

Berufsanfänger in Berlin: Betriebe gehen auf Lehrlingsfang

Reisen, Laptops, Autos: Mit immer teureren Prämien werben Firmen um Schulabgänger. Die Wende auf dem Arbeitsmarkt macht sich auch in Berlin bemerkbar.

Von Maris Hubschmid

Nachwuchs ist kostbar. Heute mehr denn je, angesichts sinkender Geburtenraten und eines immer größer werdenden Fachkräftemangels. 2011 haben in Berlin 42 500 junge Menschen einen Ausbildungsplatz gesucht, das waren 15 000 weniger als noch 2008. Die Machtverhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt haben sich umgekehrt. Seine Abteilung wandele sich „von einer Rationalisierungs- zu einer Rekrutierungsorganisation“, fasste Deutsche-Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber diese Entwicklung zusammen. Unter kleinen wie großen Unternehmen ist ein erbitterter Wettbewerb um die besten Schulabgänger entbrannt. „Immer mehr Firmen sind einfallsreich bei ihrer Azubi-Akquise und versuchen, durch attraktive Zusatzangebote ihren Fachkräftenachwuchs zu sichern“, sagte Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), dem Tagesspiegel.

Cool sein reicht nicht mehr: Der Konzern Bertelsmann ließ auf einer Recruiting-Veranstaltung einst die „Fantastischen Vier“ auftreten. Heute stecken Großunternehmen im Bemühen um eine zielgruppengerechte Ansprache Millionenetats in Anzeigen und Internetauftritte. Präsenzen in sozialen Netzwerken sind Standard, zeigt eine Umfrage des DIHK. Wer da noch hervorstechen will, schafft immer häufiger materielle Anreize.

„Geld und Geschenke sollen den Arbeitgeber attraktiver machen“, sagt Markus Kiss, Ausbildungsexperte beim DIHK. „Wir belohnen dich mit dem Azubi Smart!“, wirbt etwa die zum Mövenpick-Konzern gehörende Gastronomiekette Marché auf ihrer Internetseite. Wer dort durch sehr gute Leistung auffällt, darf im dritten Ausbildungsjahr kostenlos einen Kleinwagen fahren. „Das kann für super Schulnoten, genialen Teamgeist oder sonst außergewöhnlich guten Einsatz sein“, erklärt Manager Manfred Schmid: „Wir hoffen, so besser qualifizierte Bewerber auf uns aufmerksam zu machen.“

Das Textilunternehmen Palmers lockt seine Auszubildenen mit iPhones inklusive Flatrate. Die Helios-Kliniken stellen Laptops bereit, die nach der Ausbildung privat weitergenutzt werden dürfen. „Andere Firmen legen die Jahreskarte für das örtliche Schwimmbad auf den Ausbildungsvertrag obendrauf“, sagt DIHK-Experte Kiss. Auch Mitgliedschaften in Fitnesscentern seien eine gern genommene Prämie. „Bei uns gibt es ein System leistungsbezogener Zusatzprämien“, sagt eine Pesonalerin des Druckunternehmens Laserline, das in Berlin 25 Auszubildende beschäftigt. Dort belohnt man es auch, wenn die Azubis auf sich achtgeben: Geld gibt es auch fürs Nichtrauchen.

Einige Unternehmen schicken ihre Auszubildenden auch ins Ausland.

Mittelständische Betriebe leiden besonders unter rückläufigen Bewerberzahlen, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). „Notgedrungen schnappen größere Unternehmen ihnen neuerdings auch die besseren Hauptschüler weg“, sagt Wolfgang Weber, Leiter der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks Berlin-Brandenburg. „Dass Ausbildungsbetriebe deshalb mit Mopeds oder Autos locken, ist keine Seltenheit mehr.“ Immer mehr Unternehmen ermöglichten es ihren Lehrlingen auch, den Führerschein zu machen. Selbst bei den Arbeitszeiten kommen die Betriebe der neuen Generation Lehrlinge entgegen. „Die Bewerber werden gefragt, welche Schicht ihrem Biorhythmus entspricht“, sagt Weber. „Früher gab es so was nicht.“

Gerd Woweries, Bereichsleiter Ausbildung für Gewerblich-technische Berufe bei der Industrie- und Handelskammer zu Berlin (IHK), bestätigt: „Flexible Arbeitszeiten und mehr Freizeit sind ganz klar auch ein Anreiz.“ Grundsätzlich müssten Auszubildende nach der Berufsschule noch in den Betrieb. Immer mehr Firmen entbänden sie von dieser Pflicht. Dazu gehört auch, dass immer mehr Unternehmen ihren Auszubildenden die Möglichkeit bieten, Teile der Ausbildung im Ausland zu absolvieren. Bei Daimler ist das schon lange Praxis, es locken Stationen wie China und Singapur. „Kleinere Betriebe, die keine eigenen Mittel haben, schicken ihre Lehrlinge mithilfe von Programmen wie ,Mobilitätscoach’ auf die Reise“, sagt Akademieleiter Weber, ein Netzwerk der Handwerks- und Industrie- und Handelskammern. Rewe verspricht allen Azubis eine große Abschlussfahrt.

Bei den Kammern betrachtet man diese Entwicklung durchaus kritisch. „Für die Jugendlichen darf nicht zu sehr in den Vordergrund rücken, was sie bekommen, wichtiger muss sein, was da passiert“, sagt IHK- Experte Gerd Woweries. Empfehlenswert seien dagegen Anreize wie Zusatzqualifikationen, Sprachkurse und andere Fortbildungen, die auf Kosten des Arbeitgebers erworben werden können. „Auch ein akademischer Titel ist für ambitionierte Jugendliche interessant“, sagt Markus Kiss. Duale Ausbildungen seien nach wie vor beliebt. „Ein Azubi, der sich des inhaltlichen Angebots wegen für einen Arbeitgeber entscheidet, ist im Zweifel der größere Gewinn“, rät man bei der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit.

Die Berufsanfänger jedenfalls können sich über die neuen Zeiten am Ausbildungsmarkt freuen. Nicht selten fließt auch direkt Geld: Für eine bestandene Zwischenprüfung schütten manche Betriebe Prämien in Höhe von bis zu 500 Euro aus. „Etliche Firmen zahlen inzwischen übertariflich“, sagt Markus Kiss vom DIHK. Einer Studie des Bonner Bundesinstituts für Berufsbildung zufolge verdienten Azubis 2012 bereits vier Prozent mehr als 2011, nämlich 730 Euro pro Monat. Und nicht nur vor und während, auch nach der Ausbildung sind ihre Aussichten bestens: Einer jüngst veröffentlichten Umfrage der IHK Berlin zufolge fanden zuletzt mehr als 80 Prozent der Lehrlinge noch vor Ausbildungsende eine Anschlussbeschäftigung.

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