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Wirtschaft: Bescheiden im Auftritt, hart in der Sache

SAP-Chef Henning Kagermann im Bieterkampf mit Oracle um den kleinen Konkurrenten Retek

Von Cassell BryanLow, Walldorf Monatelang hatte der deutsche Softwarekonzern SAP den kleinen US-Konkurrenten Retek umworben. Retek ist auf Unternehmenssoftware für große Einzelhandelsunternehmen spezialisiert, ein Segment, in dem SAP schwach ist. Ende Februar schließlich legte SAP ein Übernahmeangebot vor – das nur kurze Zeit später vom schärfsten Konkurrenten Oracle überboten wurde. Seither liefern sich die Bieter einen heißen Wettstreit. Erst am Donnerstag hat SAP seine Offerte von 8,50 Dollar auf elf Dollar je Aktie erhöht. SAP bezeichnete die Offerte über rund 617 Millionen Dollar (rund 461 Millionen Euro) als letztes Wort. Oracle zog in der Nacht zum Freitag nach und erhöhte sein Gebot für Retek von neun auf 11,25 Dollar je Aktie – und hat SAP damit erneut übertrumpft.

Weltmarktführer SAP und Oracle, die Nummer zwei der Branche, kämpfen um die Vorherrschaft auf dem 25 Milliarden Euro großen Markt für branchenübergreifende Unternehmenssoftware wie Finanzbuchhaltung und Personalabrechnung. Seit Oracle seinen Marktanteil durch die Übernahme des kleineren US-Rivalen Peoplesoft verdoppelt hat, ist der Wettbewerb rauer geworden.

Den Übernahmekampf führt auf SAP- Seite ein bescheidener früherer Professor mit einem Doktortitel in theoretischer Physik. Doch die zurückhaltende Art des 57-jährigen Henning Kagermann täuscht. Als die Übernahmeschlacht zwischen Oracle und Peoplesoft tobte, entfesselte er eine kompromisslose Werbekampagne, um den Konkurrenten ihre Kunden abzujagen.

Entscheidender als die Frage, ob Retek an SAP oder Oracle geht, ist die Schlacht um die nächste Generation von Unternehmenssoftware. Beide Konzerne arbeiten emsig daran, als erste mit ihren neuen Produkten auf den Markt zu kommen. SAP hat einen leichten Vorsprung, weil die Walldorfer mit der Entwicklung früher begonnen haben.

Doch Oracle ist nicht der einzige Rivale von Kagermann. Er muss immer stärker auch mit Microsoft und IBM konkurrieren. Die Konzerne produzieren eine Software, die dem Kernstück von SAPs nächster Software-Generation ähnelt. Kagermann wird hier seine ganzen diplomatischen Fähigkeiten aufbieten müssen, weil sein Unternehmen mit IBM und Microsoft zugleich konkurriert und kooperiert: SAP ist stark angewiesen auf die wertvollen Kooperationen mit beiden Konzernen zur Entwicklung und dem Vertrieb von Software. Auf die Frage, wie er die schwierige Gratwanderung bewältigen will, lächelt Kagermann. „Wir wissen, wo wir konkurrieren und wo wir kooperieren“, sagt er. „Wenn das klar ist, funktioniert es.“

Von den vier Unternehmen ist SAP das kleinste, was den Gesamtumsatz und die Marktkapitalisierung betrifft. Doch hat SAP bereits eine weite Wegstrecke zurückgelegt, seit das Unternehmen 1972 von fünf IBM-Softwareentwicklern gegründet wurde. Das hohe technische Know-how hat das Unternehmen in den 80er und 90er Jahren rasant wachsen lassen. 2004 haben die rund 32000 SAP-Mitarbeiter einen Jahresumsatz von 7,5 Milliarden Euro und einen Gewinn von 1,3 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Kagermann kam 1982 zu SAP – nachdem er seine Hoffnungen auf einen Nobelpreis begraben und sich der Software zugewandt habe, wie er sagt. Der Physiker arbeitete sich durch die SAP-Hierarchien nach oben. 1998 wurde er zweiter Vorstandssprecher neben SAP-Mitbegründer Hasso Plattner. Anders als der brillante, aber impulsive Plattner, der grelle Hemden trägt, teure Sportwagen sammelt und zwischen seinen vielen Wohnsitzen im Privatjet hin und her jettet, zieht Kagermann Anzug und Krawatte vor. Er liest zur Entspannung Mathematik- und Physikbücher. Und hat eine Vorliebe für harte Rockmusik.

Als Kagermann im Jahr 2003 die SAP- Spitze übernahm, war er der erste Vorstandschef, der nicht aus dem kleinen Kreis der Firmengründer kam. Er stand vor großen Herausforderungen: Der Markt näherte sich rasch der Sättigung. Wie sollte SAP wachsen, wenn fast alle großen Unternehmen schon SAP-Software besaßen?

Kagermann zog neue Kunden an Land, um SAPs globalen Marktanteil zu steigern. Ende 2004 lag er bei 55 Prozent; zwei Jahre zuvor waren es noch 47 Prozent gewesen. Im gleichen Zeitraum sank der Marktanteil von Oracle und Peoplesoft von 29 Prozent auf 23 Prozent. Das lag nicht zuletzt daran, dass Kagermann die Übernahmeschlacht von Oracle und Peoplesoft geschickt ausnutzte. Während die US-Rivalen miteinander rangen, pries er den Kunden SAP als sicheren Hafen an. „Wenn sich der Boden unter Ihren Füßen dieser Tage etwas unsicher anfühlt, dann mit gutem Grund“, stand in einer SAP-Anzeige nur wenige Tage, nachdem Oracle im Juni 2003 zum ersten Mal ein Angebot für Peoplesoft vorgelegt hatte. Als Oracle die Übernahme im Dezember endlich gelang, startete Kagermann eine Charmeoffensive, um die Peoplesoft-Kunden zu einem kompletten Wechsel zu SAP zu bewegen.

Die Schlacht um Retek ist also nur das jüngste Scharmützel in dem Wettstreit zwischen SAP und Oracle.

Übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Uran), Karen Wientgen (SAP), Matthias Petermann (Wolfowitz, Meads) und Svenja Weidenfeld (Castro).

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