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Wirtschaft: Bescheidenheit auf höchstem Niveau

Teure Uhren und edle Handtaschen verkaufen sich besser denn je. Vor allem Frauen sind erstaunlich krisenresistent

Von Henrik Mortsiefer

und Maren Peters

Paul McCartney kann sich nicht benehmen. Der reichste Musiker der Welt, dessen Vermögen auf 1,14 Milliarden Euro geschätzt wird, hat so etwas wie eine Luxus-Neurose: Er sei einfach nicht in der Lage, „wie ein typisch reicher Mensch“ aufzutreten, verriet er jüngst in einem „Brigitte“-Interview. Der Mann hat ein Problem.

Doch McCartney kann sich trösten. Er teilt sein Schicksal mit vielen Superreichen, die feststellen, dass in Zeiten von Konjunkturkrise, Krieg und Seuchen-Angst das Milliardärssein keinen Spaß mehr macht. Zumindest nicht öffentlich. Unbeobachtet von der Glamour-Presse allerdings haben die Reichen ihre Konsumgewohnheiten nicht verändert. McCartneys Kollegin Jennifer Lopez hat sich gerade für ein paar Millionen Dollar eine eigene Insel im Atlantik angeschafft. Insel-Makler Farhad Vladi (siehe Interview) stellt bei seinen Kunden einen neuen Hang zur Natürlichkeit fest. „Die Leute wollen raus aus dem Stress, wollen Energie tanken – und sei es bei Petroleumlicht auf der eigenen Insel.“ Flaute hin, Käuferstreik her: Das Geschäft mit dem Luxus floriert wie eh und je.

Der größte Luxuskonzern der Welt LVMH zeigt, wie krisenfest das Nobelgeschäft ist. Das Betriebsergebnis stieg 2002 um 29 Prozent auf zwei Milliarden Euro. Der Nettogewinn explodierte geradezu von zehn auf 556 Millionen Euro. Im ersten Quartal 2003 verkaufte die Edelmarke Louis Vuitton in den vom Abschwung gebeutelten USA 28 Prozent mehr, in Japan, wo die Börse auf den Stand von 1982 gefallen ist, legte sie um 20 Prozent zu. Die dem Luxus besonders zugetanen Japaner ließen sich offenbar von den neuen Handtaschen des Designers Takashi Murakami mehr beeindrucken als von der Lungenkrankheit Sars – vorerst.

In anderen Regionen der Welt reagierten die Luxus-Shopper sensibler auf Krisen. So trübte der Irak-Krieg nicht nur die Wachstumsaussichten, sondern auch das Konsumklima im oberen Preissegment. „Der Krieg war für das Geschäft nicht gerade förderlich – die Leute müssen in guter Stimmung sein, um einzukaufen“, sagt Philipp Wolff, Sprecher des Edelschneiders Hugo Boss. „Trotzdem gab es keinen Einbruch des Geschäfts.“ Das Modehaus kommt zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Männer reagieren in Krisen pragmatisch und üben Verzicht, Frauen sind beim Thema Luxus krisenresistent. Trendforscher Matthias Horx hat für die stabile Nachfrage nach „hochsymbolischen Luxusprodukten“ eine simple Erklärung: Das Segment wachse in der Krise „als eine Art Trotzkonsum gegen die miese Stimmung“.

Reichster Mann der Welt

Die ungebrochene Lust auf Nobles hat noch eine handfeste Ursache: Während einerseits die Zahl der Arbeitslosen steigt, gibt es eine weitgehend stabile Schicht von Superreichen. Die Spitze der insgesamt 497 Milliardäre verteidigt seit Jahren Microsoft- Gründer Bill Gates. Nach der Rangliste, die das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ in jedem Jahr veröffentlicht, hatte der Computer-Unternehmer im vergangenen Jahr ein Vermögen von 41 Milliarden Dollar (rund 45 Milliarden Euro). Während das Gesamtvermögen und auch die Zahl der Milliardäre weltweit etwas zurückgegangen ist, steigt die Zahl der Reichen in Deutschland leicht an. Die Unternehmensberatung Droege & Comp. zählt 3700 Deutsche, die über eine liquides Vermögen (ohne Immobilien) von mehr als 25 Millionen Euro verfügen. Jedes Jahr würden es fünf Prozent mehr.

Doch nicht nur der Reichtum auf dem Gipfel der Einkommenspyramide stimuliert den Luxus-Markt. Auch für den Normalverbraucher darf es immer häufiger etwas mehr sein. Der Luxus wandere „von oben nach unten in die breite Masse“, schreibt das Beratungsunternehmen Boston Consulting in der Studie „Der neue Luxus – und warum wir ihn brauchen“. Autor Michael Silverstein spricht von der „Demokratisierung des Luxus“, die vor allem von Konsumenten aus den Mittelschichten vorangetrieben werde.

Smart shoppen bei Aldi

Wie sich dies mit der „Geiz ist geil“-Mentalität verträgt, erklärt sich so: „Smart-Shopper kaufen morgens ihre Lebensmittel bei Aldi ein und gehen abends für 200 Euro essen“, sagt Wolfgang Twardawa von der Gesellschaft für Konsumforschung. Wer sich aber nur ab und zu Luxus leisten kann, wird schneller nervös, wenn die Krise nicht abklingt. Stimmungskäufer verschieben dann lieber den geplanten Kauf eines Zweitautos.

Nicht so die wirklich Reichen. Sie eröffnen mitten in der Flaute den Wettlauf der „happy few“: Was ist noch exklusiver, noch teurer, noch seltener? Dabei führen sie die Betriebswirtschaftslehre ad absurdum: Die Nachfrage steigt mit dem Preis. Zur Freude der Produzenten. „Da sind unglaubliche Gewinne möglich“, sagt Michael Jäckel, Inhaber des Lehrstuhls für Konsumforschung an der Universät Trier. Denn bezahlt wird nicht für Funktionalität, sondern für Exklusivität: Zum Beispiel 350000 Euro (Grundausstattung) für die Daimler-Chrysler-Karosse Maybach. „Wer da bei der Probefahrt nach dem Preis fragt, zeigt, dass er sich das Auto nicht leisten kann“, sagt Jäckel.

Der Soziologe macht aber noch einen anderen Trend aus: Die „neue Bescheidenheit auf höchstem Niveau“. Sei es der Zeitmesser von Hublot, der aussieht wie eine Tchibo-Uhr, aber 20000 Euro kostet. Oder der Sportwagen Yes der sächsischen Manufaktur Funke&Will für 64 500 Euro, der kein Dach, keine Türen und keine Heizung hat. „Es gibt eigentlich keinen vernünftigen Grund, dieses Auto zu kaufen“, bekennt Marketingleiter Arnd Sünner. „Außer das pure Fahrvergnügen.“ 50 vorwiegend ausländische Autofreaks haben den Wagen bisher gekauft.

Purismus statt Protz. Diese bei Luxus-Experten zurzeit sehr beliebte Losung hat Tradition. Schon der US-Ökonom und Sozialwissenschaftler Thorstein Bunde Veblen, fand in seiner „Theorie der feinen Leute“ von 1899: „Wenn das Erzeugnis schön sein soll, so muss es gleichzeitig auch teuer sein und darf sich für seinen angeblichen Zweck nicht eignen.“

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