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Wirtschaft: „Big Becky“ und der Monstertunnel

Der österreichische Konzern Strabag baut die Röhre, mit der Kanada an den Niagarafällen Energie gewinnen will.

Niagara Falls - Der Tunnel ist gewaltig: Zehn Kilometer lang mit einem Durchmesser von 12,7 Metern. Es ist warm in hundert Metern Tiefe im Felsgestein an den Niagarafällen. „ In einem Jahr wird durch diesen Tunnel Wasser zur Stromerzeugung fließen“, sagt Bernhard Mitis, Ingenieur des österreichischen Baukonzerns Strabag. Er ist Bauleiter des Milliardenvorhabens, im Auftrag der Provinz Ontario und des Stromerzeugers Ontario Power Generation (OPG) einen Tunnel zu bauen, der oberhalb der Niagarafälle Wasser aufnimmt und zum Sir-Adam- Beck-Kraftwerk leitet, wo es die Turbinen antreiben und dann zurückfließen wird. Pro Jahr soll damit der Strombedarf von 160 000 Haushalten gedeckt werden.

Für die bevölkerungsstärkste kanadische Provinz Ontario, die aus der Stromversorgung aus Kohle aussteigen will, ist der Monstertunnel ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur „grünen, sauberen Energieversorgung“, heißt es bei OPG. Die gewaltigen Niagarafälle gehören zu den größten Touristenattraktionen Nordamerikas. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird der Fluss, der die Grenze zwischen den USA und Kanada bildet, für Stromerzeugung genutzt. 1950 regelten beide Staaten im Niagara-Vertrag die Wasserentnahme. Etwa zwei Drittel der Wassermenge dürfen abgeleitet werden, nachts mehr als am Tag. Bis zu 6000 Kubikmeter pro Sekunde stehen für Stromerzeugung in Ontario und New York bereit.

Bisher zweigt Kanada durch zwei Tunnel, die unter Niagara Falls verlaufen, etwa 1800 Kubikmeter pro Sekunde ab. Nun kommen 500 Kubikmeter hinzu. Mitis steht im Einlaufschacht des Tunnels. Steil ragen Betonwände in die Höhe, darüber wölbt sich der blaue Himmel. Über diese Rampe wird Wasser in den Tunnel strömen. Sein tiefster Punkt liegt bei 150 Metern unter der Erdoberfläche. „Der gesamte Wasserfluss erfolgt durch Schwerkraft und Höhenunterschied“, erläutert der Ingenieur. Zehn Kilometer flussabwärts wird das Wasser den Tunnel verlassen und Energie erzeugen.

Vor acht Jahren schrieb die OPG das Projekt aus, 2005 erhielt die Strabag den Zuschlag. Als Kostenziel sind 985 Millionen Dollar – etwa 790 Millionen Euro – festgelegt, mit dem Umbau des Kraftwerks sind es 1,6 Milliarden Dollar. Im Juni 2013 soll alles fertig sein. „Der Tunnel kann dann 90 Jahre wartungsfrei betrieben werden“, erklärt Mitis. Ununterbrochen soll Wasser fließen. Der Stromverkauf bringt täglich einen Umsatz von 440 000 Dollar.

Neben dem Einlaufschacht liegt der langsam verrostende Kopf einer riesigen Bohrmaschine. Es sind die Reste von „Big Becky“, der laut OPG weltweit größten Hartgestein-Tunnelbohrmaschine. Der Tunnel ist gebohrt, am 13. Mai 2011 bejubelten Kanadier und Österreicher den Durchbruch. Die Strabag-Experten um Projektleiter Ernst Gschnitzer hatten die Maschinenteile nach Niagara Falls gebracht und „Big Becky“ zusammengebaut. 150 Meter lang war die Maschine, sie wog mehr als 4000 Tonnen und hatte einen Durchmesser von 14,4 Metern.

„Direkt hinter der Bohrmaschine erfolgte die Stabilisierung des Gesteins mit Stahlmaschendraht, Stahlrippen, Bolzen und Spritzbeton“, schildert Mitis den Ablauf. Jetzt wird der Tunnel weiter ausgebaut. 450 Menschen arbeiten auf der Baustelle. Das Führungspersonal kommt vorwiegend aus Österreich oder anderen europäischen Staaten, der Großteil der Belegschaft aber sind Ortskräfte.

Bernhard Mitis richtet den Blick schon nach vorne. „Es ist eine interessante Erfahrung, aber meine Frau und ich wollen zurück in die Heimat“, sagt der gebürtige Salzburger. Einige Strabag-Ingenieure bleiben. Der Konzern hat einen Anschlussauftrag: Für 290 Millionen Dollar baut er einen 15 Kilometer langen Abwasserstollen im Raum Toronto. Gerd Braune

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