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Viel im Kopf. Unternehmen nutzen die Masse an Daten, die wir produzieren, für ihre Geschäfte.

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Big Data: Schöne neue Datenwelt

Sag’ mir, wie du fährst und ich sag’ dir, was du zahlst: Versicherungen sind nicht die Einzigen, die Kundendaten systematisch vernetzen. Was mit Big Data auf uns Verbraucher zukommt, wie wir profitieren – und worauf wir achten sollten.

Big Data ist der Rohstoff, aus dem Unternehmen neue Dienste und Produkte entwickeln. Der implizite Deal: Das Unternehmen sammelt Daten über seine Kunden und vernetzt sie. Was daraus erwächst, bekommen die Kunden als Leistung zur Verfügung gestellt – vermeintlich kostenlos; denn in Wirklichkeit bezahlen sie mit ihren Daten. Und davon liefern sie eine Menge. 400 Millionen Tweets setzen die Nutzer zum Beispiel täglich über Twitter ab. Im gleichen Zeitraum verarbeitet Facebook ein Petabyte Daten. Bis 2020 wird sich das weltweite Datenaufkommen verfünffachen. Was kommt da auf die Verbraucher zu?

WAS HEUTE GEHT

Stefan Rüping leitet das Geschäftsfeld Big Data Analytics beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) in Sankt Augustin bei Bonn. Er sieht das größte Potenzial in der Marktforschung, bei Versicherungen und Banken, Autoherstellern und in der Gesundheitswirtschaft. Tatsächlich ist das Thema derzeit vor allem bei Autoversicherungen angesagt. Seit Januar fahren 1000 Kunden der Sparkassen-Direktversicherung mit einer Blackbox im Auto umher. Sie zeichnet nicht nur auf, welche Strecken das Fahrzeug wann zurücklegt: Hält sich der Fahrer an die vorgeschriebene Geschwindigkeit? Tritt er zu heftig auf die Bremse? Fährt er häufig nachts? Aus diesen und anderen Daten berechnet sich der Score – eine Punktzahl, mit der der Versicherungsnehmer Rabatt auf seinen Tarif herausfahren kann. Die Assekuranz sieht sich gerne als Vorreiter, weil sie die erste Versicherung in Deutschland sei, die einen solchen Telematik-Tarif extern, also mit echten Kunden, teste. Aber: „In unseren Augen ist das keine Big-Data-Anwendung“, betont Vorstand Jürgen Cramer. „Der Einzige, der detailliert Zugriff auf die Daten hat, bleibt der Kunde.“ Die Versicherung erhalte nur den aus den Daten aggregierten Score. Das Unternehmen weiß also, wenn der Kunde die volle Punktzahl verpasst, nicht aber warum. Das Konzept ist mit der Landesdatenschutzbehörde in Nordrhein-Westfalen abgestimmt.

Für die Kunden lägen die Vorteile im zusätzlichen Service, meint Cramer. Eltern könnten beispielsweise mit ihren Kindern deren Fahrweise analysieren – etwa wenn diese Fahranfänger sind. Die Versicherung glaubt, dass durch den Anreiz, vorsichtiger zu fahren, die Schadenquote sinkt. Vor allem aber erhofft sich Cramer mehr Kundenbindung. „Wir glauben, dass durch die zusätzlichen Services die Stornoquote sinkt.“ Günstiger als eine herkömmliche Police ist die Telematik-Versicherung jedenfalls nicht unbedingt. Je nach Prämie liegt die jährliche Gebühr für die Blackbox bei bis zu 71,40 Euro. Kann der Fahrer einen Score über 80 nachweisen, gibt’s im Folgejahr fünf Prozent Rabatt auf seine Prämie. „Ob Ihnen ein Telematiktarif in der Autoversicherung eine Ersparnis bringt, kann nur ein individueller Preisvergleich für Ihren Fall zeigen“, schreibt die Stiftung Warentest. Wer Telematik ablehne, weil er nicht zum gläsernen Autofahrer werden wolle, müsse wissen: „Er ist längst einer.“ Denn die elektronischen Helfer im Auto sammeln jede Menge Informationen. „Die Hersteller sagen nicht, wie viel sie davon auslesen“, kritisieren die Tester.

WAS MORGEN KOMMT

Während das Auto also immer mehr zum Datenkraken wird, tragen Verbraucher einen anderen bereits seit Jahren bereitwillig mit sich herum und füttern ihn fleißig. Kaum einer geht noch ohne Smartphone vor die Tür, liefert Unternehmen wie Google und Apple – den Betreibern der weit verbreiteten Betriebssysteme Android und iOS – bereitwillig Bewegungs- und Verhaltensprofile. Relativ neu ist die Mode über Fitness-Armbänder oder -Uhren, wie sie etwa die Firma Swatch plant, die die Vitalfunktionen des Trägers aufzeichnen und so erlauben, Rückschlüsse auf die eigene Gesundheit zu ziehen. Puls und Herzschlag, zurückgelegte Kilometer, erfolgreich absolvierte Liegestütze und so weiter landen so in Fitness-Apps. Zur Selbstanalyse durch den Nutzer. Aber eben nicht nur. Künftig sammelt beispielsweise Apples iOS mit dem Health-Kit die Vitalfunktionen seines Nutzers. Zumindest in den USA sollen auch Ärzte Zugriff auf diese Daten bekommen können. „Die Auswertung großer Datenmengen in Echtzeit ermöglicht völlig neue Anwendungen: von der medizinischen Forschung über die Ressourcenplanung in Unternehmen bis zu intelligenten Lifestyle-Produkten“, sagt Dieter Kempf, Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom. Wohin die Reise geht, zeigt der Pharmakonzern Novartis. Die Schweizer wollen in etwa fünf Jahren intelligente Kontaktlinsen auf den Markt bringen. Sie könnten etwa Diabetikern via Smartphone mitteilen, dass die nächste Insulindosis fällig ist.

WORAUF ZU ACHTEN IST

Gemeinsam mit anderen Daten, die Unternehmen wie Apple und Google über ihre Nutzer sammeln – Kaufverhalten, Vorlieben für bestimmte Lebensmittel –, könnten sie auch genauere Gesundheitsprofile erstellen. Und diese könnten die Unternehmen wiederum an Versicherer verkaufen. Es entstünde ein gutes Geschäft für viele, nur nicht für den Verbraucher. Big-Data-Experte Rüping sieht die Gefahr – und die Verantwortung bei den Unternehmen. Die müssten den Datenschutz bereits bei der Entwicklung der Produkte mitdenken, auch um das Vertrauen der Kunden nicht zu verspielen. „Privacy by design“ nennt sich dieser Ansatz, den Rüping für den saubersten hält. Verbraucherschützern ist das zu wenig. „Hindernisse und Missstände bei der Nutzung digitaler Güter oder beim Einkaufen im Internet werden kaum überwacht und kontrolliert“, kritisiert Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Die Verbraucherzentralen fordern zu diesem Zweck einen „Marktwächter für die digitale Welt“ – und meinen damit sich selbst. Solange weder „Privacy by design“ noch der Marktwächter politisch beziehungsweise gesetzlich verankert ist, bleibt Kunden wohl nur eines: „Geizen Sie mit Ihren persönlichen Daten“, rät Beate Wagner von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Mit einer selbst verordneten Daten-Diät kann sich jeder selbst am besten schützen.“

Die Verbraucher betrachten die schöne neue Datenwelt übrigens mit Coolness. Gut 60 Prozent bereitet die wachsende Datenmenge einer repräsentativen Umfrage zufolge zwar Sorgen. Gleichzeitig glauben aber knapp 60 Prozent, dass aus den Datenhaufen keine Probleme erwachsen müssen – wenn verantwortungsvoll mit den Daten umgegangen wird.

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