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Trat am Freitag mit sofortiger Wirkung als Chef von Wirecard zurück: Unternehmensgründer Markus Braun

© AFP/Christof Stache

Update

Bilanzskandal bei Zahlungsdienstleister: Wirecard-Managern drohen Haftbefehle

Die Konten mit 1,9 Wirecard-Milliarden existieren wohl nicht. Der Börsenkurs stürzt weiter ab - und die bisherigen Vorstände geraten zunehmend unter Druck.

Im Skandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard könnte dem zurückgetretenen Vorstandschef Markus Braun und dem entlassenen Vorstand Jan Marsalek Insidern zufolge Untersuchungshaft drohen. Hintergrund sei, dass die beiden Beschuldigten österreichische Staatsbürger seien, sagten zwei mit der Angelegenheit vertraute Juristen der Nachrichtenagentur Reuters am Montag.

Voraussetzungen für einen Untersuchungshaftbefehl sind, dass Staatsanwaltschaft und Haftrichter einen dringenden Tatverdacht sehen und befürchten, der Verdächtige könnte die Ermittlungen - etwa durch Flucht - beeinträchtigen. Bei ausländischen Verdächtigen hatte die deutsche Justiz in der Vergangenheit oft angenommen, sie könnten sich in ihr Heimatland absetzen und für die deutschen Strafverfolger unerreichbar sein.

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen möglicher Marktmanipulation gegen Braun, Marsalek und amtierende Spitzenmanager des Zahlungsdienstleisters. Hintergrund ist der Verdacht, der Vorstand habe die Märkte nicht korrekt über eine Sonderprüfung informiert. Die Staatsanwaltschaft erklärte am Montag, sie prüfe eine Ausweitung der Ermittlungen auf weitere Straftaten. Darüber hinaus wollte sie sich nicht äußern. Auch die Anwälte von Braun und Marsalek lehnten Stellungnahmen ab.

Die Zukunft des Dax-Konzerns hängt derweil vom Wohlwollen der Banken ab. Wirecard geht inzwischen davon aus, dass die im Zentrum seines Bilanzskandals stehenden angeblichen Bankguthaben in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro nicht existieren.

Der Vorstand nehme aufgrund weiterer Prüfungen an, dass die beiden bisher von Wirecard ausgewiesenen Guthaben auf asiatischen Treuhandkonten „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“, schrieb das Unternehmen in einer in der Nacht zum Montag veröffentlichten Börsenmitteilung. Die Summe entspricht nach Angaben des Unternehmens in etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme.

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An der Börse wurden die Nachrichten mit Schrecken aufgenommen. Das Wirecard-Papier stürzte in den ersten Handelsminuten erneut ab. Nach dem Börsenstart büßte die Aktie fast weitere 50 Prozent auf rund 13 Euro ein.

Damit knüpften die Wirecard-Anteile nahtlos an die immensen Verluste der vergangenen beiden Handelstage an. Der Börsenwert brach bereits am Donnerstag und Freitag um insgesamt 75 Prozent auf etwas mehr als drei Milliarden Euro ein, nachdem Wirecard eingestehen musste, dass der Konzern 1,9 Milliarden Euro nicht auffinden kann.

Bilanzskandal. Die Wirecard-Aktie sinkt am Dax in den Keller.
Bilanzskandal. Die Wirecard-Aktie sinkt am Dax in den Keller.

© Peter Kneffel/dpa

Wirecard teilte nun ferner mit, dass es seine Einschätzungen des vorläufigen Ergebnisses des Geschäftsjahres 2019, des ersten Quartals 2020 und die Prognosen für 2025 zurücknehme. Auch könnten mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorheriger Geschäftsjahre nicht ausgeschlossen werden.

Hinweise auf falsche Bestätigungen „zu Täuschungszwecken“

Wegen des Skandals war am Freitag der Gründer und Chef von Wirecard, Markus Braun, mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Die Firma hatte zuvor ihren Jahresabschluss zum vierten Mal verschoben und mit dem möglichen Betrugsfall die Börse schockiert. Die Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit von Wirecard auf „Ramsch“ herab.

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Wirecard war nach eigenen Angaben von den Abschlussprüfern darauf hingewiesen worden, dass für die Existenz der Bankguthaben über 1,9 Milliarden bei zwei asiatischen Banken keine ausreichenden Nachweise vorlägen.

Die beiden kontenführenden Banken hätten mitgeteilt, dass „die betreffenden Kontonummern nicht zugeordnet werden konnten“, hieß es. Es gebe Hinweise, dass ein Treuhänder „zu Täuschungszwecken“ falsche Bestätigungen vorgelegt habe.

Messestand von Wirecard in Köln (Archivbild)
Messestand von Wirecard in Köln (Archivbild)

© Reuters/Wolfgang Rattay

Verschiedene Medien, vor allem die „Financial Times“, hatten Wirecard in den vergangenen Monaten mehrfach die Manipulation von Bilanzen vorgeworfen. Ex-Firmenchef Braun hatte dies stets bestritten.

Eine durch den Aufsichtsrat in Auftrag gegebene Sonderprüfung durch KPMG sollte die Vorwürfe entkräften, die Prüfer fanden aber schwerwiegende Mängel bei internen Kontrollen sowie Hinweise darauf, dass es Unregelmäßigkeiten im Geschäft mit den Drittpartnern geben könne.

Die Banken könnten Wirecard jetzt den Geldhahn abdrehen. Interims-Chef James Freis kämpft ums Überleben des Konzerns: Man stehe weiterhin mit Hilfe der am Freitag angeheuerten Investmentbank Houlihan Lokey in „konstruktiven Gesprächen“ mit den kreditgebenden Banken.

Banken wollen Wirecard nicht fallen lassen

Wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtete, wollen die Banken das Unternehmen nicht fallen lassen. „Keiner hat ein Interesse daran, den Kredit zu kündigen“, hieß es demnach am Samstag aus einem der beteiligten Geldhäuser. „Alle wollen jetzt das Ding kurzfristig stabilisieren.“

Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab, sowohl an Ladenkassen als auch online. Das Unternehmen ist seit über einem Jahr in Bedrängnis, seit die Londoner „Financial Times“ dem Management in einer Serie von Artikeln Bilanzmanipulationen vorwarf. Auch die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft untersuchen verschiedene Aspekte im Fall Wirecard. (AFP, dpa, Reuters)

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