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Weniger ist mehr. Woolworth hat heute ein deutlich kleineres Sortiment als vor der Insolvenz. Ein Teil der rund 200 Filialen wird derzeit modernisiert.

© picture-alliance/ dpa

Billig-Kaufhaus Woolworth: Der Wühltisch bleibt

2009 meldete die traditionsreiche Kaufhauskette Insolvenz an. Heute schreibt das Unternehmen schwarze Zahlen und expandiert wieder – auch in Berlin.

Berlin - Dieter Schindels Zielgruppe sind Frauen über 50. „Die Kinder sind aus dem Haus, nun werden Balkon und Haushalt gepflegt“, beschreibt er seine Kunden. Die Mittfünfziger suchten Haushaltswaren, Spielzeug für die Enkelkinder, Schreibwaren oder auch Gartenzubehör – möglichst billig. „Keine andere Handelskette kümmert sich gezielt um ältere Kunden, diese Nische besetzen wir“, sagt Schindel selbstbewusst. Vor zwei Jahren kam der 48-jährige Bayer als Geschäftsführer zum Billig-Kaufhaus Woolworth, um die strauchelnde Handelsfirma wieder fit zu machen.

Denn von der einst schillernden Marke Woolworth war zum Ende der Nullerjahre in Deutschland nicht mehr viel übrig. Im Frühjahr 2009 musste das Unternehmen mit damals gut 300 Filialen Insolvenz anmelden. Mehr als ein Jahr lang war nicht klar, was aus der Firma werden soll, bis schließlich im Mai 2010 die HH Holding von Kik-Eigner Stefan Heinig gemeinsam mit Tengelmann zugriff. Sie wollten die Marke wiederbeleben.

Der neue Geschäftsführer Schindel stand vor einer Herkulesaufgabe. „Woolworth war ein abgewirtschaftetes Kaufhausunternehmen“, sagt er heute. „In die Läden waren viel zu lange keine Investitionen mehr geflossen.“ Damals tourte er durch die Filialen, um sich ein Bild von der Lage zu machen – und war erschrocken über das Chaos. „Woolworth wusste nicht, was es sein wollte, hochwertiges Weltstadtkaufhaus oder Billigkette“, sagt Schindel. Das habe die Kunden abgeschreckt – und sich nicht gerechnet. Gerade die teuren Innenstadtlagen, die teils Flächen von 4000 Quadratmetern hatten, konnten sich kaum finanzieren, in den Randlagen dagegen kam das Kaufhaus- Konzept nicht an. Zeitweise hatte Woolworth 50 000 Artikel im Sortiment, von Lebensmitteln über Elektronik bis hin zu Mode. „Wir haben schnell kapiert, dass wir das Konzept wieder zum Ursprung zurückdrehen müssen – hin zu einfachen Artikeln für den täglichen Bedarf, billig, aber in guter Qualität“, sagt Schindel.

Dieses Konzept hatte einst Firmengründer Frank Woolworth zum Millionär gemacht. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts betrieb er einen Haushaltswarenladen im US-Bundesstaat Pennsylvania. Händler, so war es damals üblich, holten ihre Waren nur auf Anfrage der Kunden aus dem Lager. Woolworth aber träumte von einem Selbstbedienungskaufhaus, in dem die Leute stöbern, die Waren anfassen konnten. 1879 wagte er den Versuch, der das Einkaufsverhalten der Amerikaner prägen sollte. Er eröffnete in Lancaster den ersten „Five-and-Dime-Store“, in dem es den Großteil der Waren für den alltäglichen Bedarf zu festen Preisen von fünf oder zehn Cent gab – auf Wühltischen und Auslagen. Mit Erfolg: Als 1911 die tausendste Filiale eröffnete, war Woolworth mit einem Jahresumsatz von gut 52 Millionen Dollar das größte Kaufhausunternehmen der Welt. Zwei Jahre später ließ sich der Gründer in New York City einen Wolkenkratzer als Verwaltungsgebäude errichten, den stolzen Preis von 13,5 Millionen Dollar zahlte er in bar. Bevor Frank Woolworth 1919 starb, expandierte er nach Europa. 1927 kam die Kette auch auf den deutschen Markt.

Umgekrempelt. Dieter Schindel (48), der das Unternehmen seit 2010 leitet, hat das Sortiment auf Ältere ausgerichtet.
Umgekrempelt. Dieter Schindel (48), der das Unternehmen seit 2010 leitet, hat das Sortiment auf Ältere ausgerichtet.

© Kai-Uwe Heinrich

Doch die Erfolgsgeschichte hat auch dunkle Kapitel. So setzte Woolworth in seinen US–Kaufhauskantinen die Rassentrennung rigoros um. Die Bürgerrechtsbewegung protestierte Ende der 50er Jahre mit Sit-ins und Boykottaufrufen.

In den 80er Jahren begann der Niedergang: Woolworth konnte nicht mehr mit den neuen Shoppingcentern in den USA mithalten. 1997 schlossen die Häuser in den Staaten, und es blieben nur Sparten wie Foot Locker übrig. Die deutschen Häuser kaufte 1998 ein britischer Investor, das Geschäft lief weiter. Doch auch hierzulande mehrten sich die Probleme. Woolworth litt unter der immer stärkeren Billig-Konkurrenz und hohen Mieten.

Schindel, der 2010 die Geschäftsleitung übernahm, räumte auf bei Woolworth. Das Sortiment reduzierte er auf 6000 Artikel, warf Lebensmittel, Schuhe und Modebekleidung raus. Der Schwerpunkt liegt nun bei Haushalts-, Spiel- und Schreibwaren sowie kleinen Elektrogeräten. Bei der Kleidung gibt es nur noch Basics – Wäsche, Shirts, Strümpfe. Schindel glaubt, damit eine Marktlücke zu schließen. Einzelhändler, die früher Konkurrenten gewesen wären – kleine Elektroläden, Fachgeschäfte für Spielwaren –, gebe es heute kaum noch. „Es ist ein Stück retro und altmodisch, was wir machen“, sagt er. Darum soll auch der Wühltisch bleiben. „Die Kunden wollen stöbern.“

Doch Woolworth muss dringend modernisieren. In den gut 200 Filialen sollen aus gelben Wänden weiße und aus engen Gängen breite werden. Warmes Licht soll die Neonröhren ersetzen. Dafür nimmt die Kette pro Geschäft maximal 400 000 Euro in die Hand, „aus eigenen Mitteln“, sagt Schindel. Zu schick soll es dann aber doch nicht werden. „Wir sind nicht schön, wir sind einfach“, sagt der Manager.

Zudem verhandelt Woolworth gerade mit den Vermietern der 25 Filialen von Ihr Platz und Schlecker XL, die die Kette übernehmen will. Denn Woolworth, das im vergangenen Jahr 400 Millionen Euro Umsatz machte, will wachsen. „Wir wollen expandieren, aber nicht um jeden Preis“, sagt Schindel. 500 Filialen seien das mittelfristige Ziel, 50 jedes Jahr. In Orte mit weniger als 30 000 Einwohnern gehe man nicht. Derzeit fließe der gesamte Gewinn, den das Unternehmen nicht beziffert, in die Modernisierung. Nach dem Ausstieg von Tengelmann im Sommer gehört Woolworth nun zu 79,5 Prozent der HH Holding, das Management um Schindel hält 20,5 Prozent.

Handelsexperten sind zuversichtlich für die Kette. „Woolworth hat jetzt ein klareres Profil“, sagt Boris Planer vom Branchendienst Planet Retail. Durch die Straffung des Sortiments sowie die schlankere Verwaltung seien zudem die Kosten deutlich gesunken. „Woolworth hat den Turnaround vorerst geschafft.“

Die Euro-Krise fürchtet Manager Schindel nicht. „Die Leute besinnen sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auf ihr Zuhause und schrecken eher vor großen Investitionen zurück“, sagt er. „Die Krise ist eine Chance für Woolworth.“

In Deutschland seit 1926

Der „Wulle“ wird Woolworth in Berlin oft genannt. In der Hauptstadt begann die deutsche Geschichte des Billigkaufhauses. 1926 wurde im Hotel Adlon am Brandenburger Tor die deutsche Gesellschaft gegründet. Ein Jahr später eröffnete in Bremen das erste Kaufhaus, das Waren für 25 oder 50 Pfennig anbot. 1927 folgte das erste Berliner Geschäft in der Müllerstraße in Wedding. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs eröffnete Woolworth in Deutschland 82 Filialen. Im Nationalsozialismus wurde das Unternehmen zwangsverwaltet. Nach Wiederaufbau und Expansion mehrten sich zum Ende der 90er Jahre die Schwierigkeiten. Wegen der Probleme des Mutterkonzerns verschwand die Kette 1997 in den USA von der Bildfläche. Auch die seit 1998 unabhängige deutsche Tochtergesellschaft hatte zu kämpfen – bis sie 2009 Insolvenz anmelden musste. Heute, nach der Übernahme durch die HH Holding, hat Woolworth 5000 Mitarbeiter und betreibt 204 Filialen. In Berlin gibt es 27 Geschäfte mit 550 Mitarbeitern – mehr als irgendwo sonst in Deutschland. In den nächsten Jahren sollen es doppelt so viele werden. In Köpenick ist schon eine Filiale angemietet, die noch 2012 eröffnen soll. Auch in Steglitz und Moabit sollen bald Läden hinzukommen.

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