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Wirtschaft: Billigzigaretten droht das Aus

Europäischer Gerichtshof kippt Steuervorteile für Sticks / Branche: 2000 Arbeitsplätze sind in Gefahr

Berlin - Raucher von Steckzigaretten („Sticks“) müssen sich auf deutlich höhere Preise einstellen. Die in Deutschland geltende Steuervergünstigung für Zigarettensticks verstößt gegen die EU-Tabakrichtlinie und muss daher aufgehoben werden, entschied am Donnerstag der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az.: C-197/04).

Steckzigaretten sind derzeit deutlich billiger als Fertigzigaretten. Während ein Stick rund elf Cent kostet, müssen Raucher für eine industriell gefertigte Zigarette über 22 Cent ausgeben. Das liegt vor allem an der Steuer. Während Tabak- und Mehrwertsteuer bei Fertigzigaretten rund 75 Prozent des Preises ausmachen, sind es bei den Steckzigaretten weniger als 40 Prozent, hat der Verband der Cigarettenindustrie (VDC) ausgerechnet. Kein Wunder, dass die Sticks in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden sind – vor allem bei einkommensschwächeren Käufern. Während 2003 nur 5,4 Milliarden Stück verkauft worden waren, werden es in diesem Jahr wahrscheinlich schon 22 Milliarden sein – das ist rund ein Siebtel des gesamten Tabakmarktes.

Deutsche Raucher haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren bereits fünf Tabaksteuererhöhungen verkraften müssen – viele Konsumenten sind daher zwischenzeitlich auf die steuerlich subventionierten Tabakröllchen oder auf selbst gedrehte Zigaretten ausgewichen. Auch der Anteil von ausländischen Zigaretten ist in die Höhe geschnellt und liegt derzeit nach Schätzungen des VCD bei 17 Prozent. Eine polnische Zigarette kostet nur rund sieben Cent.

Der Verband des Tabakwaren-Einzelhandels warnte vor einem Sterben der kleinen Tabakläden. Die Sticks hätten dem Handel geholfen, die Tabaksteuererhöhungen der vergangenen Jahre zu kompensieren, sagte der Sprecher des Verbands, Willy Fischl, dem Tagesspiegel. Der Verband befürchtet jetzt eine weitere Zunahme der Schmuggelzigaretten und das Aus für die Sticks. „Wenn Steckzigaretten so teuer werden wie normale, gibt es keinen Anlass mehr, die Sticks zu kaufen“, betonte Fischl.

Die Branche warnte, das neue Urteil könnte bis zu 2000 Arbeitsplätze in Deutschland kosten. Wie VDC-Geschäftsführer Wolfgang Oberrecht dem Tagesspiegel sagte, will der Verband mit der Bundesregierung und der EU-Kommission über eine Übergangslösung verhandeln. Das Urteil solle nicht sofort, sondern innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden. Die EU-Kommission betonte, die Umsetzung des Urteils sei ausschließlich Sache der Bundesregierung. Das Bundesfinanzministerium kündigte an, dass Einzelheiten „möglichst rasch geprüft“ werden sollen.

Die Bundesregierung hatte vor dem höchsten EU-Gericht die niedrigere Steuer verteidigt. Nach EU-Recht müssen die Mitgliedstaaten Fertigzigaretten höher besteuern als losen Tabak. Dabei gelten Tabakstränge, die durch einen „einfachen, nicht-industriellen Vorgang“ zu Zigaretten gemacht werden können, als Zigaretten. Das treffe auf die von Reemtsma angebotenen „West Single Packs“, die Gegenstand des Verfahrens waren, aber nicht zu, hatte die Regierung argumentiert. Immerhin seien mehrere aufeinander folgende Schritte nötig.

Das sah der EuGH anders: Der Raucher müsse lediglich den Tabakstrang in seiner Aluminiumhülle in eine Zigarettenpapierhülse einschieben und dann die Verpackung entfernen. Reemtsma verkauft auch kleine Maschinen, die die Arbeit erleichtern.

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