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400 Jahre braucht eine Plastiktüte, um zu verrotten. In manchen Ländern, wie hier in Bulgarien, verstopft Plastikmüll die Gewässer.

© AFP

Biologisch abbaubar: Ökologische Wegwerfartikel

Kompostierbare Tüten und Flaschen aus Mais: das Angebot an Bio-Kunststoffen wächst. Experten zweifeln allerdings, ob sie sich für den Massenmarkt eignen.

Berlin - Auf den ersten Blick sieht die Plastiktüte aus wie jede andere auch. Mit bloßem Auge lässt sich nicht erkennen, auch nicht erfühlen, dass die Tüte von Aldi eine ganz besondere Tüte ist. Eine, in der jahrelange Forschung steckt. Nur der höhere Preis verrät das. Mit 39 Cent kostet die Tüte gut viermal so viel wie eine herkömmliche. Ihre Besonderheit: Sie ist biologisch abbaubar. Wird sie in der Erde vergraben, zersetzt sie sich. Eine normale Tüte braucht etwa 400 Jahre, um zu verrotten, die Aldi-Tüte schafft das unter günstigen Bedingungen innerhalb von vier Wochen. Das Material, aus dem sie gemacht ist, wurde vom Ludwigshafener Chemiekonzern BASF entwickelt, zur Entsorgung von Biomüll. Verbraucher können die Tüte mit dem Inhalt in die braune Tonne werfen. In der Kompostieranlage wird das Plastik von Bakterien zersetzt.

Auch andere Unternehmen nutzen Bio-Kunststoffe. Danone verkauft seine Activia-Joghurts künftig in einem Bio-Kunststoffbecher, der überwiegend aus Mais hergestellt wurde, Coca-Cola hat in den USA die Plant Bottle im Sortiment, die zu 30 Prozent aus pflanzlichen Rohstoffen besteht. Und der Kosmetikhersteller Procter & Gamble will künftig für alle Verpackungen erneuerbare oder wiederverwertete Produkte verwenden.

Das Angebot von Bio-Kunststoffen soll in Zukunft kräftig wachsen. 2008 machten sie nur 0,2 Prozent des Gesamtmarktes für Kunststoff aus, der rund 245 Millionen Tonnen umfasst. Der europäische Branchenverband Plastics Europe geht davon aus, dass die Produktionskapazitäten für Bio-Kunststoffe um 44 Prozent pro Jahr steigen werden – auf 2,3 Millionen Tonnen im Jahr 2013. Der wichtigste Markt ist nach Angaben von BASF immer noch Europa. Hier tummeln sich Unternehmen wie der italienische Verpackungshersteller Novamont oder das französische Unternehmen Biosphère. „Auch in den USA, Japan und China wächst das Angebot“, sagt der Vizepräsident der Spezialkunststoffsparte bei BASF, Robert Heger. „Allerdings ist es ein Nischenmarkt und wird es auf absehbare Zeit bleiben.“

Doch was sind Bio-Kunststoffe? Sowohl die Tüte von Aldi als auch die Flasche von Coca-Cola gehören dazu, es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden. Die Flasche ist ein Bio-Kunststoff, weil in ihr nachwachsende Rohstoffen stecken. Statt wie sonst Erdöl, werden für diese Kunststoffe Zuckerrohr, Weizen oder Mais verwendet. Auch in der Tüte stecken nachwachsende Rohstoffe, aber sie ist zusätzlich noch biologisch abbaubar.

Die Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen haben Experten zufolge großes Potenzial. Anders als bei den fossilen Kraftstoffen wäre es bei den Kunststoffen tatsächlich möglich, sie komplett biologisch herzustellen. „Derzeit wären etwa 100 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbare Fläche nötig, um alle Kunststoffe biologisch herzustellen“, sagt Stephan Kabasci, Experte für nachwachsende Rohstoffe am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht). „Das ist zwar viel, aber es geht.“ Weltweit liegt die landwirtschaftlich nutzbare Fläche bei 4,5 Milliarden Hektar. Viele Umweltschützer kritisieren aber die Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln und den zusätzlichen Druck auf Anbauflächen, der Ökosysteme wie den Regenwald gefährdet.

Auf der anderen Seite steht die Einsparung von Treibhausgasen. Nach Angaben von Plastics Europe können im Vergleich zu herkömmlichen Kunststoffen abhängig von Material und Anwendung mit der Bio-Variante zwischen 30 und 80 Prozent CO2 gespart werden. Zudem wird die Abhängigkeit vom knapper werdenden Öl verringert.

Wenn dann noch alle nachwachsenden Kunststoffe zugleich kompostierbar wären, wäre dann nicht auch das Müllproblem gelöst? Experten sehen das kritisch. „In Kunststoffen steckt viel Energie, die wir durch Verbrennung oder Recycling erhalten können“, sagt Kabasci. Wenn die Kunststoffe sich komplett auflösten, ginge sie verloren. Das lohne sich besonders in solchen Ländern nicht, wo eine gute Recyclinginfrastruktur bestehe.

In vielen Entwicklungsländern aber verstopft der Müll Flüsse und Kanalisation und belastet die Natur. „Auch in solchen Ländern ist das Recycling die Zukunft“, sagt Kabasci. „Die Leute sollen ja aufhören, ihren Müll in die Landschaft zu werfen, und sparsamer mit den Ressourcen umgehen.“ Viele Länder, darunter sogar Bangladesch, haben deshalb Plastiktüten verboten. „Sagt man den Menschen: Diese Tüten könnt ihr in die Natur werfen, kann sogar erst mal noch mehr Müll entstehen“, sagt Kabasci. Schließlich seien bioabbaubare Tüten und reguläre nicht zu unterscheiden. Auch für die müllbelasteten Weltmeere sind kompostierbare Kunststoffe derzeit noch keine Lösung. Jährlich sterben zehntausende Wale, Robben und Schildkröten, weil sie Plastik verschlucken. „Unsere Produkte sind gezielt für die Kompostierung entwickelt worden. Sie bauen sich im Wasser nur sehr langsam ab“, sagt BASF-Manager Heger.

„Die bioabbaubaren Kunststoffe eignen sich nicht für den Massenmarkt“, sind sich Kabasci und Heger einig. Sinn machen sie etwa in der Landwirtschaft oder beim Bio-Müll. Das Fraunhofer-Institut Umsicht hat kompostierbare Mulchfolien entwickelt, mit denen auf den Feldern Gemüse abgedeckt wird. Sie lösen sich auf und können untergepflügt werden. Das teuere Einsammeln entfällt, es entsteht weniger Müll. Auch BASF stellt diese Kunststoffe für die Landwirtschaft her. Zudem macht der Ludwigshafener Konzern in Bad Dürkheim ein Pilotprojekt: Die Bürger bekommen umsonst kompostierbare Tüten, die aus dem BASF- Kunststoff hergestellt wurden, die dann in den Biomüll dürfen. Das Geschäft soll sich auch für die Kommunen lohnen: Sie sollen Geld sparen, weil die Bürger weniger Küchenabfälle in den Restmüll werfen. So muss weniger „nasser Müll“ verbrannt werden – das spart Energie und CO2.

Ob sich die bioabbaubaren Kunststoffe durchsetzen, hängt letztendlich davon ab, wie gut sich damit verdienen lässt. BASF hat seine Kapazitäten für die Herstellung von Bio- Kunststoffen gerade von 15 000 auf 74 000 Tonnen pro Jahr aufgestockt. Allerdings ist der Rohstoff in der Herstellung nach Angaben des Konzerns drei- bis viermal teuer als erdölbasierter Kunststoff. BASF gehört nach eigenen Angaben heute zu den Marktführern auf dem Gebiet.

Manche Unternehmen stehen den nachwachsenden Rohstoffen kritisch gegenüber, zum Beispiel der Lebensmittelkonzern Nestlé. „Die Erzeugung von Biokunststoffen hat in vielen Fällen eine schlechtere Ökobilanz als herkömmliche Kunststoffe, weil etwa der Mehrverbrauch von Wasser und Düngemittel mit berücksichtigt werden muss“, sagt Achim Drewes, Sprecher von Nestlé Deutschland. Zudem spricht sich der Konzern gegen die Nutzung von Lebensmittelpflanzen aus. „Wir halten es für wichtig, dass Kunststoffe entwickelt werden, die aus Reststoffen wie Stängeln von Maispflanzen gewonnen werden können“, sagt Drewes.

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