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Wirtschaft: Biotechnologie-Markt: "Ein Drittel aller Firmen überlebt nicht"

Karsten Henco (48) ist Vorstandsvorsitzender der Hamburger Evotec Bio-Systems AG. Der promovierte Biochemiker machte sich nach einer wissenschaftlichen Laufbahn, unter anderem bei der BASF, 1985 selbstständig: Gemeinsam mit zwei ehemaligen Studienkollegen gründete er Qiagen - heute die erfolgreichste deutsche Biotech-Firma.

Karsten Henco (48) ist Vorstandsvorsitzender der Hamburger Evotec Bio-Systems AG. Der promovierte Biochemiker machte sich nach einer wissenschaftlichen Laufbahn, unter anderem bei der BASF, 1985 selbstständig: Gemeinsam mit zwei ehemaligen Studienkollegen gründete er Qiagen - heute die erfolgreichste deutsche Biotech-Firma. Gut zehn Jahre führte er die Geschäfte. Als sich 1993 die Chance bot, die Forschungseinheit auszulagern, witterte Henco seine Chance. Er fand private Geldgeber und gründete Evotec. Seit Ende 1999 notiert die Firma am Neuen Markt. Schlagzeilen machte Evotec im August 2000 mit der Übernahme von Oxford Asymmetry - für eine Milliarde Mark.

Herr Henco, die Biotechbranche hat den Absturz am Neuen Markt bislang relativ unbeschadet überstanden. Sind Sie die nächsten, die geschlachtet werden?

Biotech ist vergangene Woche in Europa und USA schon stark eingebrochen, aber Evotec und andere Gesellschaften haben sich inzwischen wieder gefangen. Ich habe gelernt, dass die Anleger nicht mehr differenzieren, wenn es auf einen Schlag dramatisch abwärts geht. Dann werden alle Unternehmen mitgerissen - die guten und die schlechten.

In ihrer Branche muss über einen sehr langen Zeitraum sehr viel Geld investiert werden, bevor Gewinne gemacht werden. Auch Evotec schreibt rote Zahlen. Fürchten Sie nicht, dass die Anleger die Geduld verlieren?

Sicher, es dauert länger, bis wir Produkte entwickelt haben. Dafür leben Biotech-Erzeugnisse aber auch länger als die Produkte der IT-Branche. Evotec selbst macht als Dienstleister für die Pharmaindustrie schon jetzt Umsätze mit kontinuierlich hohen Wachstumsraten, aber unterm Strich sind wir noch nicht profitabel. Erst in diesem Jahr erwartet man von uns den Wendepunkt und im Jahr 2002 Gewinne. Bis jetzt haben wir unsere Planungen eingehalten.

Auch EM-TV schien lange die Erwartungen der Analysten zu erfüllen - bis zur ersten Gewinnwarnung. Was macht Sie so sicher, dass Ihnen das nicht passiert?

Man kann nie sicher sein. Aber wir haben eine begründete Zuversicht, weil wir unsere Auftragslage kennen.

In Deutschland gibt es knapp 300 Biotech-Firmen, mehr als irgendwo sonst in Europa. Beginnt nach den Kursverlusten nun das große Fressen in der Branche?

Ich erwarte eine gewisse Konsolidierung. Ein Drittel der Biotech-Unternehmen wird die nächsten zwei Jahre nicht überleben. Bisher haben wir eine Vielzahl von Unternehmensgründungen gesehen, die relativ klein geblieben sind. Gemessen an den Anforderungen, die heute gestellt werden, sind viele Unternehmen unterfinanziert. Um einen Vertrag mit einem Pharmakonzern zu machen, brauchen Sie eine kritische Masse.

Was hält die Pharmakonzerne davon ab, die kleinen Biotechs zu schlucken?

Der Trend geht in eine andere Richtung. Große Pharmakonzerne konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen. Dazu zählt zuerst der weltweite Vertrieb und eine globale Präsenz. Die Suche nach neuen Arzneimitteln wird dagegen immer mehr an kleinere Biotech-Firmen ausgelagert.

Es stand doch lange Zeit genug Risikokapital zur Verfügung. Warum fehlt diesen Unternehmen das Geld?

Die Erstfinanzierung ist noch einfach. Dafür finden Sie irrsinig viele, oft lokale Fonds, Sparkassen oder Wirtschaftsförderungen. Ruckzuck ist so eine Biotech-Firma mit zwei Millionen Mark nach der Gründung finanziert. Aber in der zweiten Wachstumsphase wird es dann oft haarig, namhafte Investoren zu gewinnen.

Warum?

Es ist ein Pseudo-Vorteil, in der ersten Finanzierungsrunde extrem hoch bewertet zu werden und viel Geld zu bekommen. Wenn schon die erste Bewertung sehr hoch war und nicht wirklich ein entsprechender Gegenwert geschaffen wurde, dann scheitert man in der zweiten Finanzierungsrunde und geht kaputt. Das vergangene Jahr hat gezeigt: Es wird enorm viel Geld verbrannt, und die Notwendigkeit einer zweiten Finanzierungsrunde kommt bestimmt.

Sie selbst haben Evotec ohne Risikokapital gegründet. Mit Absicht?

Als wir Evotec 1993 gegründet haben, gab es kein professionelles Risikokapital in Deutschland, - auch nach einjähriger Suche nicht. Wir mussten privates Kapital finden, über Business Angels. Inzwischen ist das komplett anders, was auch daran liegt, das sich das politische Klima in Deutschland seit 1996 grundsätzlich positiv verändert hat. Auch durch Initiative der Bundesregierung.

Kranken die Unternehmen nicht daran, dass sie öffentlich gefördert wurden, ohne die nötige Substanz zu haben?

Ich würde sagen, das ist ein Teil des Problems. Es war viel zu viel Geld da. Jetzt normalisiert sich die Lage langsam. Aber ein Teil der Projekte ist definitiv ohne Berechtigung finanziert worden, und viele sind viel zu teuer bezahlt worden. Das wird sich rächen.

War die öffentliche Förderung ein Fehler?

Nein, die staatliche Initiative war bitter nötig. Das Problem ist nur, dass viele Investoren geglaubt haben, das schnelle Geld verdienen zu können, ohne die Branche wirklich zu kennen. Die sind sehr unreflektiert in manche Investitionen reingestolpert. Das betrifft meistens private, aber auch halbstaatliche Institutionen wie Technologiestiftungen, die aus lauter Euphorie über ein paar Arbeitsplätze plötzlich Unsummen locker gemacht haben.

War es für Sie eigentlich von Vorteil, dass viele Investoren und Anleger lange nicht verstanden haben, was die Branche macht?

Das ist eher ein Problem. Wie Pharmaforschung funktioniert, ist nicht einfach kommunizierbar. Aber uns hilft, dass inzwischen biotechnologisch hergestellte Medikamente auf dem Markt sind. Die Anleger sehen einen konkreten Nutzen durch moderne Biotechnologie. Das war auch der Grund, warum sich in Deutschland das Klima für Biotechnologie erheblich verbessert hat. Seitdem haben wir es nicht mehr so schwer, das Interesse der Geldgeber zu wecken.

Fürchten Sie nicht, dass sich Investoren, die von Biotech keine Ahnung haben, jetzt panisch zurückziehen und verkaufen?

Ich glaube, das ist bereits passiert, vor allem bei den Privatanlegern. Die institutionellen Anleger, also die Fonds, verstehen ihr Handwerk inzwischen perfekt. Bei Biotech gibt es inzwischen die übereinstimmende Meinung, dass dies das Wirtschaftssegment ist, der sich künftig stürmisch entwickeln wird. Sie werden heute niemanden finden, der behauptet, dass Biotechnologie kein Markt ist.

Wie erklären Sie sich das Vertrauen der Börse in Ihr Unternehmen? Immerhin haben Sie noch keine Mark verdient.

Wir sind in erster Linie Dienstleister für die pharmazeutische Industrie. Mit unseren Maschinen können Pharmakonzerne die Suche nach Arzneimitteln beschleunigen. Das, was Bosch für die Automobilindustrie ist, wollen wir für die Pharmaindustrie werden. Niemand behauptet, dass Bosch keine Produkte hat. Aber Bosch baut keine Autos. Auch Evotec wird keine therapeutischen Produkte in die Apotheke stellen. Aber wir verdienen an Produkten, die einmal in der Apotheke verkauft werden.

Erst die hohe Börsenbewertung hat Ihnen erlaubt, ihre Aktien als Währung für Akquisitionen einzusetzen. Für die Übernahme des britischen Unternehmens Oxford Asymmetry haben Sie im letzten Jahr eine Milliarde Mark bezahlt. Der Evotec-Kurs ist seitdem dramatisch gefallen. Haben Sie sich verausgabt?

Wir haben ausschließlich in Aktien bezahlt, weil wir Cash nicht aufbringen wollten und konnten. Theoretisch ist das wiederholbar, - allerdings nur dann, wenn man einen hohen Börsenkurs hat. Nun ist unser Börsenkurs zwar gefallen, aber auch der der möglichen Partner. Das heißt, weil alle gleichmäßig gefallen sind, würden wir uns nicht mehr verausgaben als vor einem halben Jahr. Aber konkrete Projekte haben wir derzeit nicht.

Warum haben sie mit Oxford Asymmetry ein britisches und kein amerikanisches Unternehmen gekauft? Der wichtigste Pharmamarkt ist in den USA.

Weil wir uns sehr gut ergänzen. Heute gibt es einen einzigen entscheidenden Erfolgsfaktor im IT-Bereich und der Biotechnologie: Geschwindigkeit. Dem sollte man alles unterordnen. Wir haben keine Zeit für einen organischen, gemütlichen Aufbau, sondern müssen auf einen Schlag wachsen. Das geht nur durch exakt passende Akquisitionen.

Aber sie haben bislang keinen Standort in den USA. Verpassen Sie nicht den Anschluss?

Immerhin machen wir schon ein Drittel unserer Umsätze in den USA. Bald werden wir dort auch einen Standort haben und könnten uns noch in diesem Jahr eine Notierung an der US-Technologiebörse Nasdaq vorstellen. Amerika ist ein absolutes "Muss", wenn man wachsen will. In den USA liegt für viele deutsche Biotech-Firmen der Anfang des großen Erfolgs.

Bis es soweit ist, können Jahre vergehen.

Sicher. Das zeigt sich am Beispiel der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Damit haben wir nicht mehr als ein Buch mit Keilschrift ausgegraben. Was es allerdings bedeutet, wissen wir nicht. Bis sie von der reinen genetischen Informationen zum individuellen Medikament und einer Therapie gelangen, ist noch ein verdammt langer Weg zurückzulegen.

Wie lange dauert das noch?

Innerhalb der nächsten 15 Jahre werden wir nach meiner Schätzung 50 Prozent der Krankheiten mit Hilfe dieser Keilschrift verstehen und therapieren können. Heute sind etwa zwei Drittel aller bekannten Erkrankungen nicht oder nur unzureichend behandelbar. Der Pharmamarkt ist erst zu zehn Prozent erschlossen. Es gibt noch extrem viel zu tun.

Herr Henco[die Biotechbranche hat den Absturz am]

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