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Wirtschaft: Bittere Pille

Für Medikamente, Arztbesuche, Brillen und Krankenhausaufenthalte müssen Kassenpatienten künftig tiefer in die Tasche greifen

Selbst die Ministerin mag nicht in Euphorie ausbrechen. Die Gesundheitsreform sei „eine gute Reform, aber kein Grund zur Euphorie“, meinte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vor wenigen Tagen auf einer Diskussionsrunde der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK). Auch die 70 Millionen Kassenpatienten, die vom kommenden Jahr an mehr Geld für medizinische Leistungen aufbringen müssen, sehen dem Jahreswechsel nicht gerade überschwänglich entgegen. Wenig euphorisch sind auch die Ärzte. Sie fürchten mehr Bürokratie, weil sie die Praxisgebühren eintreiben müssen. Und sie machen sich Sorgen, weil die Qualität ihrer Arbeit stärker überprüft werden soll. Was bedeutet die Gesundheitsreform, die am 1. Januar in Kraft tritt, im Einzelnen?

Praxisgebühr: Jeder erste Arztbesuch im Quartal kostet zehn Euro. Für weitere Konsultationen in dieser Zeit muss der Patient eine Überweisung seines ersten Arztes mitbringen, ansonsten sind erneut zehn Euro fällig. Gebührenfrei sind Vorsorgeuntersuchungen und Prophylaxe-Behandlungen, etwa Grippeschutzimpfungen. Wer im selben Quartal zum Arzt und zum Zahnarzt geht, muss für den Dentisten noch einmal zehn Euro zahlen, es sei denn, man geht nur zur Prophylaxe.

Zuzahlungen: Patienten müssen bei allen medizinischen Leistungen künftig zehn Prozent zuzahlen – mindestens fünf, höchstens zehn Euro. Das gilt für Medikamente oder Bandagen genauso wie für Massagen. Bei Massagen kommt aber noch einmal eine zusätzliche Gebühr von zehn Euro pro Verordnung hinzu. Nicht verschreibungspflichtige Medikamente werden von den Krankenkassen nur noch in Ausnahmefällen erstattet. Experten fürchten nun, dass die Ärzte bei bestimmten Krankheiten statt der billigen, nicht rezeptpflichtigen Arzneien plötzlich teurere, verschreibungspflichtige Präparate verordnen, nur weil die Patienten ihre Medikamente nicht komplett selbst zahlen wollen. Deshalb erarbeiten die Gremien derzeit eine Ausnahmeliste von erstattungsfähigen, nicht rezeptpflichtigen Medikamenten. Denkbar wäre zum Beispiel Aspirin, das nicht nur gegen Schmerzen wirkt, sondern auch bei Gefäßkrankheiten als preiswerter Blutverdünner angewandt wird.

Krankenhausaufenthalte: Jeder Patient muss sich pro Kliniktag mit zehn Euro an den Kosten beteiligen. Dies gilt für maximal 28 Tage. Bisher waren es je neun Euro für höchstens vierzehn Tage.

Zuzahlungsbefreiungen: Die bisherigen generellen Befreiungsbescheinigungen, die sich an Einkommensgrenzen orientierten – zum Beispiel für Geringverdiener, Studenten und Sozialhilfeempfänger – sind ab dem 1. Januar 2004 ungültig. Dann wird es eine vom Jahresbruttoeinkommen abhängige Obergrenze für Zuzahlungen und Praxisgebühren geben: Generell gilt eine Selbstbeteiligung von maximal zwei Prozent des Bruttoeinkommens. Für chronisch Kranke liegt die Grenze bei einem Prozent (ebenso für Sozialhilfeempfänger). Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr sind von den Zuzahlungen befreit. Sie brauchen weder Praxisgebühren zu zahlen, Krankenhausaufenthalte und Medikamente bleiben kostenlos. Alle anderen müssen die Quittungen für ihre geleisteten Zuzahlungen sammeln. Wenn sie die Obergrenze überschreiten, können sie bei ihrer Krankenkasse eine Befreiung beantragen, die bis zum Jahresende gilt.

Wer chronisch krank ist, ist aber noch nicht definiert. Bisher galten diejenigen, die wegen einer Krankheit über einen längeren Zeitraum regelmäßig einen Arzt aufsuchen mussten, als Chroniker. Nach der Novellierung ist dies auf bestimmte Krankheiten beschränkt. Derzeit arbeitet eine gemeinsame Kommission von Kassenärzten und Krankenkassen an einer Liste solcher Erkrankungen, wie zum Beispiel Asthma oder Rheuma.

Brillen: Sehhilfen müssen die Versicherten ab 2004 selbst finanzieren. Die bisherigen Zuschüsse zu den Gläsern von 20 bis rund 100 Euro pro Paar entfallen. Nur noch Sehhilfen für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr sowie für schwer Sehbehinderte werden bezuschusst. Was schwer Sehbehinderte sind, liegt im Ermessen des Augenarztes, der sich dabei an den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation orientieren soll. Beispiel: Wenn jemand auf einem Auge blind ist und für das andere eine Brille braucht, zahlt die Kasse auch in Zukunft. Bestimmte Dioptrienstärken, die ein Recht auf Zuschüsse begründen, gibt es nicht mehr.

Zahnersatz: Ab dem Jahr 2005 ist der Zahnersatz keine normale Kassenleistung mehr. Die Versicherten müssen dafür eine Extra-Versicherung bei einer gesetzlichen oder privaten Kasse abschließen. Bei den gesetzlichen Kassen sollen die Beiträge bei 7,50 Euro pro Monat liegen.

Krankengeld: Noch einmal ein Jahr später, ab dem 1. Januar 2006, wird auch das Krankengeld, also die Lohnfortzahlung ab der 7. Krankheitswoche, allein vom Arbeitnehmer abgesichert. Dafür muss er über den vom Arbeitgeber paritätisch mitfinanzierten Kassenbeitrag hinaus noch einmal 0,5 Prozentpunkte Sonderbeitrag leisten.

Krankenkassenbeiträge: Wegen der milliardenschweren Entlastung sollen die Kassen ihre Beiträge ab 2004 reduzieren. Einige, wie zum Beispiel die DAK und die Kaufmännische Krankenkasse (KKH), haben angekündigt, ihren Beitragssatz schon zum 1. Januar 2004 zu senken. Andere wollen das erst im Laufe des kommenden Jahres entscheiden. Ministerin Schmidt will in einer ersten Stufe 2004 eine durchschnittliche Beitragssenkung aller Kassen um 0,7 Prozentpunkte erreichen. Kassenmanager halten maximal 0,5 Prozentpunkte für realistisch. Eine solche Reduzierung würde einem Arbeitnehmer mit einem Monatseinkommen von brutto 3000 Euro eine Ersparnis von 7,50 Euro im Monat bringen.

Bis 2006 will Schmidt die Beiträge von jetzt durchschnittlich 14,3 Prozent auf zwölf Prozent drücken. Sollten manche Kassen die Entlastungen nicht an ihre Versicherten weitergeben, rät die Ministerin: „Nehmen Sie Ihre Rechte wahr.“ Sprich: Wechseln Sie zu einer günstigeren Versicherung.

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