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Wirtschaft: Blase unterm Meer

In Deutschland ist die Speicherung von CO2 im Erdreich umstritten. Norwegen erhofft sich von der Technik ein Milliardengeschäft

Nach einer Stunde Kontrollgang durch ihre kleine Stadt auf dem Meer klapst Marit Berling mit der flachen Hand zweimal kräftig auf ein dickes braunes Rohr. „Das hier ist unser größter Stolz“, sagt sie. Etwa 80 Zentimeter dick, vom Salzwasser und dem Wind leicht angefressen, verschwindet es mit anderen Pipelines senkrecht in einem gigantischen Betonsockel, der aus der 80 Meter tiefen Nordsee ragt. Durch dieses eine Rohr strömt klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) hinab. Einen Kilometer tiefer unter dem Meeresboden endet die Leitung in einer porösen Sandsteinschicht, der Utsira-Formation. Dort soll das Gas bleiben – am besten für immer.

Marit Berling ist die Chefin der großen Gasförderinsel Sleipner des norwegischen Rohstoffkonzerns Statoil Hydro. Die Plattform ist nur per Hubschrauber oder Spezialschiff zu erreichen und liegt auf halbem Weg zwischen der norwegischen Ölhauptstadt Stavanger und Schottland. Berling trägt einen Overall, Helm, Ohrenschützer und um die Hüfte einen Gürtel, der schief sitzt wie beim Cowboy der Patronengurt. Daran hängt ihr Funkgerät. Berling ist technische Leiterin, Direktorin und Kummertante der 210 vornehmlich männlichen Arbeiter der Plattform. „Ich weiß alles, was hier vor sich geht“, lacht sie.

Vor allem im Herbst und Winter kann es eng und rau werden auf Sleipner, wenn der Hubschrauber mal wieder nicht landen kann, weil ein Orkan und 30 Meter hohe Brecher gegen die Decks krachen. Aber egal ob Silvester oder Heiligabend: Auf Sleipner wird 24 Stunden lang gehämmert, gewummert, dort düst und dampft es fast immer. Die Anlage ist für Statoil Hydro besonders wichtig – nicht nur, weil sie täglich Erdgas im Wert von acht bis zehn Millionen Euro aus dem Boden saugt, sondern auch, weil der Konzern auf der Plattform eine Zukunftstechnik erprobt, von dem sich auch der norwegische Staat als Mehrheitseigner ein Milliardengeschäft verspricht: CCS. Dafür das braune Rohr.

CCS ist die Abkürzung für „Carbon Dioxide Capture and Storage“, zu Deutsch Abspaltung und Lagerung von Kohlendioxid. Das wird vor allem beim Verbrennen von Kohle, Öl und Gas freigesetzt und ist maßgeblich für die Erwärmung der Klimas verantwortlich – wenn es, wie üblich, in die Atmosphäre geblasen wird. Die Idee: Wenn man aber das CO2 abspaltet und es tief in der Erdkruste endlagert oder zumindest langfristig speichert, kann es dem Klima nicht schaden. Norwegen erprobt CCS auf Sleipner schon seit 1996. Damals führte die norwegische Regierung eine CO2-Steuer ein, was Statoil und andere Konzerne motivierte, eine technische Lösung zu finden.

Tief im Bauch der Förderinsel erklärt Plattform-Chefin Berling vor einer Stellwand anhand von Grafiken, wie es funktioniert: Vereinfacht gesagt, zieht ihre Insel über einen zehn Kilometer entfernten Förderturm Gas mit einem relativ hohen Kohlenstoffanteil von neun Volumenprozent aus einem Gasfeld. Bevor es durch Pipelines zum Festland geschickt wird, wird auf Sleipner ein großer Teil Kohlenstoff chemisch ausgewaschen und als fast reines CO2 bei 70 Grad Celsius und 40 bar Druck in den Meeresboden gepumpt: 1,4 Millionen Kubikmeter am Tag, eine Million Tonnen im Jahr. Eine Gesteinsschicht verhindert, dass das CO2 wieder an die Oberfläche steigen kann.

Alle zwei Jahre gibt Statoil seismische Untersuchungen in Auftrag. „Und bisher konnte man dabei nicht feststellen, dass etwas von dem Gas entwichen ist“, sagt Berling. 2008 stellte man dabei fest, dass sich die Blase mittlerweile kartoffelförmig auf einer Fläche von rund zehn mal 25 Kilometer ausgebreitet hat. Das sei aber noch nichts: Norwegische Forscher schätzen, dass die geologische Formation bis zu 400 Kilometer lang ist und theoretisch groß genug, um die gesamte Menge CO2 aufzunehmen, die in den kommenden 500 Jahren in ganz Europa produziert wird. Norwegen könnte wohl Geld für die Speicherung verlangen, es wäre ein Milliardengeschäft. Theoretisch.

Darüber denkt auch Brian Bjordal auf dem Festland viel nach. Er ist Chef von Gassco, einem Staatsunternehmen mit Sitz im Küstenstädtchen Haugesund, das die Gasströme aller norwegischen Pipelines durch Europa koordiniert. Er verfolgt aufmerksam die Untersuchungen, ob man die klimaschädliche CO2-Suppe dort im ganz großen Stil deponieren kann. Norwegen ist nach Russland die zweitgrößte Gasfördernation der Welt, liefert 17 Prozent des europäischen Gasbedarfs und sogar 27 Prozent des deutschen. „Wenn die europäischen Länder bereit wären, CO2-Pipelines zu uns zu verlegen, könnten wir ihnen womöglich helfen“, sagt er. Zugleich bremst er die ganz hohen Erwartungen an CCS. „Uns geht es gerade wie dem Trapezkünstler im Zirkus. Alle Zuschauer rufen: Springt doch! Springt doch! Aber würden die Leute selbst springen, wenn sie auf dem Seil über der Manege stünden?“ Bjordal will sagen: Auch nach 13 Jahren Testen weiß er nicht, wie groß die Risiken wirklich sind.

Während in Norwegen selbst die meisten Umweltschutzorganisationen die CCS-Versuche in der Nordsee wohlwollend begleiten, haben in Deutschland die Zweifler Oberwasser. Manche hierzulande mögen an Frank Schätzings Erfolgsroman „Der Schwarm“ von 2004 denken, in dem sich das Meer am Menschen rächt. In dem Thriller verursacht aus den Tiefen aufsteigendes Methan vor der norwegischen Küste einen unterseeischen Erdrutsch, der einen Tsunami auslöst, der wiederum Nordeuropa verwüstet. Mit CCS hat das nichts zu tun, gleichwohl ist vielen Deutschen die unterirdische Kohlendioxidspeicherung per se nicht geheuer. Viele fürchten, dass das CO2 nicht dauerhaft im Boden bleibt. Vor dem Hintergrund stoppte der Bundestag kurz vor der Sommerpause die Verabschiedung eines lange geplanten CCS-Gesetzes, das es den Energiekonzernen auch hierzulande erlauben sollte, Kohlendioxid unterirdisch zu deponieren.

Treiber hinter der Entscheidung war die wahlkämpfende CDU in Schleswig-Holstein, wo Eon versuchsweise CO2 speichern will, was breiten Widerstand auslöste. Landwirte und sogar die evangelische Kirche stützen die Bewegung. Auch in Brandenburg gibt es Anti-CCS-Bürgerinitiativen: in Ketzin in der Altmark, wo der schwedische Konzern Vattenfall die Technik erstmals erprobte. Aber auch im Oderbruch regt sich Protest. Dort möchte Vattenfall flüssiges CO2 einlagern, das das Unternehmen in einem Mini-Braunkohlekraftwerk in Spremberg gewinnt.

Tuomo Hatakka, Chef der Berliner Vattenfall-Europe-Zentrale zeigte sich nach dem Scheitern des CCS-Gesetzes tief enttäuscht. Er will die Technik trotzdem weiter erproben. Hatakka ist klar, dass er seine Kohlekraftwerke, die viel mehr CO2 ausstoßen als Gaskraftwerke, ohne CCS nie „sauber“ bekommen kann.

Technologisch ist Vattenfall sogar einen Schritt weiter als Statoil, weil es komplizierter ist, CO2 aus den Abgasen eines Kraftwerkes zu trennen, als es vor dem Verfeuern aus Gas zu waschen. Aber das hilft Vattenfall wenig, solange das Unternehmen nicht weiß, wohin mit dem Gas.

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