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Wirtschaft: Bloß kein Bittsteller sein

Von Alfons Frese Wirklich gerne geht er nicht in den Ruhestand, der Dieter Schulte. Dazu hat er zu oft betont, dass ihm das Amt des DGB-Vorsitzenden „viel Freude macht“.

Von Alfons Frese

Wirklich gerne geht er nicht in den Ruhestand, der Dieter Schulte. Dazu hat er zu oft betont, dass ihm das Amt des DGB-Vorsitzenden „viel Freude macht“. Aber in dem Amt sind ihm ein paar alte Freunde abhanden gekommen. In der IG Metall, aus deren Reihen er kommt, gibt es mächtige Schulte-Gegner. Sie werfen ihrem Kollegen vor, zu sehr auf Konsens mit der Politik und den Arbeitgebern gesetzt zu haben. Zum Beispiel im Bündnis für Arbeit, wo Schulte mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt die Einzelgewerkschaften Anfang 2000 auf eine moderate Tarifrunde mit langer Laufzeit verpflichtete. Mit dem Schmusekurs ist Schluss, dass hat die diesjährige Metalltarifrunde gezeigt. Trotzdem sieht sich Schulte rückblickend auf der richtigen Seite. Bereits vor Jahren habe er eine betriebsnahe Tarifpolitik gefordert - „und jetzt wird es gemacht“. Und auch das Bündnis für Arbeit bewertet er positiv und nennt als Beweis das Jugendprogramm Jump sowie das Job-Aktiv-Gesetz und die Ausbildungsverpflichtung der Arbeitgeber.

Wenn es so etwas wie ein Vermächtnis gebe, resümiert Schulte seine achtjährige Amtszeit, dann sollte der Nachfolger „alles tun, damit er nicht zum Bittsteller wird“. Er meint die ersten Jahre als DGB-Chef unter einem Bundeskanzler Kohl, der ihm 1996 den Stuhl vor die Tür gestellt habe. Kohl kürzte die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ließ dadurch das Bündnis für Arbeit platzen.

Auch mit dieser bitteren Erfahrung im Gepäck machte der DGB zwei Jahre später acht Millionen Mark locker und forderte in einer Kampagne den Regierungswechsel: „Deine Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit.“ Mit dem neuen Bundeskanzler konnte Schulte gut. „Man hört uns und man bezieht uns ein.“ Die Einbeziehung ging so weit, dass Schulte schließlich die Rentenreform und damit die Aufweichung der von Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch finanzierten Rentenreform mittrug. Auch das brachte ihm viel Zoff mit den alten Kämpen in der IG Metall. Mit Erfahrungswissen begegnet er den Gewerkschaftern, die am liebsten das Vermögen der Vermögenden heranziehen möchten, um damit die Rentenbeiträge zu stabilisieren. „Ich sage denen, dass versuche ich seit 50 Jahren – es geht nicht.“ So sind die Verhältnisse halt.

Zweifel an der eigenen Durchsetzungsfähigkeit oder gar Resignation sind bei Schulte nicht zu hören. Im Gegenteil. „Ich habe 30 Jahre Sand gefahren und nichts ins Auge gekriegt.“Alles in allem tritt also ein selbstzufriedener DGB-Chef ab, der die Organisation neu strukturiert, den Umzug nach Berlin durchgezogen und die Rechtschutz GmbH als wichtigste Serviceeinrichtung der Gewerkschaften unter dem Dach des DGB angesiedelt hat. Für den Nachfolger bleibe reichlich zu tun: Schulte spricht von der Sicherung von Arbeitnehmerrechten, von denen er eigentlich dachte, „dass sie in der Gesellschaft nicht mehr umstritten wären“. Konkret nennt er die Tarifautonomie, das Tarifvertrags- und das Betriebsverfassungsgesetz sowie den Kündigungsschutz. Nicht viel weniger gefährdet sei der Sozialstaat, denn wenn weiter gekürzt werde, verliere sozialstaatliches Handeln den Spielraum. Die Notwendigkeit einer Gesundheitsreform stellt Schulte nicht in Frage, befürchtet dabei aber die Etablierung einer „Zwei-Klassen-Medizin“. Das gewerkschaftliche Ziel müsse sein, eine Unterscheidung in Regel- und Wahlleistungen zu verhindern. Alles in allem, sagt der gelernte Pragmatiker der Sozialpolitik, werde es wohl sehr viele Einzelmaßnahmen geben, „weil sehr viele Spieler in der Gesundheitspolitik involviert sind“.

Und was macht der Nachfolger? Der Verdi-Vorstandsvize und frühere Postgewerkschaftler Michael Sommer hat jedenfalls keine Organisationsreform mehr vor sich und will sich laut in die sozialpolitische Debatte stürzen. Die erste Ankündigung des designierten DGB-Chefs: Die „Lufthoheit“ soll von den Arbeitgebern in der schier endlosen Standortdebatte zurückerobert werden. „Wir sind in der perversen Situation, dass mittlerweile die Interessen der Unternehmen für das Gemeinwohl gehalten werden“, beschreibt Sommer den Stand der wirtschaftspolitischen Debatte. Dabei gebe es doch Werte, „die jenseits der Börse liegen“. Gerechtigkeit zum Beispiel. „Diesem Wert wieder Geltung zu verschaffen – das wäre für mich eine zentrale Aufgabe als DGB-Vorsitzender.“

Den Deutschen Gewerkschaftsbund als Dachorganisation von inzwischen nur noch acht Einzelgewerkschaften sieht er als Mittler und Motor, der Themen anstoßen müsse. „Der DGB ist der politische Arm der Gewerkschaften“, sagt Sommer. In welche Richtung sich dieser Arm bewegen soll, wird der neue Vorsitzende beim DGB-Kongress in der kommenden Woche in Berlin von den rund 400 Delegierten hören. Im Mittelpunkt des einwöchigen Treffens stehen die Themen Bildung, Globalisierung, Zukunft der Arbeit inklusive Reform der Bundesanstalt für Arbeit, Zuwanderung und Friedenspolitik.

Neben den inhaltlichen Diskussionen erleben die Gewerkschafter ein Schaulaufen der Spitzenkandidaten der Parteien. Am Dienstag wirbt der Bundeskanzler für seine Politik und am Donnerstag erläutert Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, wie er die deutsche Wirtschaft in Schwung bringen will. Und zwischendurch sagen Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen), Guido Westerwelle (FDP) und Gabriele Zimmer (PDS), was sie für die Arbeitnehmer planen. Ausweislich dieser Rednerliste kann es um den Einfluss des DGB so schlecht nicht bestellt sein.

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