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Wirtschaft: Bocuse für Bequeme

Immer mehr Verbraucher wollen den Kochlöffel abgeben – sie können auf ein wachsendes Angebot an schmackhaften und gesunden Fertigprodukten zurückgreifen

Das Glück geht durch die Nase: Es kommt aus einem dampfenden Topf, in dem ein leckeres asiatischen Gericht vor sich hin schmort und wird von fröhlichen jungen Menschen in einer gemütlichen Küche in Minuten gezaubert – mit dem Kochlöffel. „Cook for Friends – Kochen für Freunde“ hat der Nahrungsmittelhersteller Maggi seine neue Werbekampagne genannt. Mit der trockenen Fertigmischung aus der Tüte verkauft Maggi eine Lebenswelt: Die Idee, dass „Kochen“ gesellig ist und irgendwie cool. „Wir wollen eine junge Zielgruppe ansprechen, die Spaß haben soll“, sagt eine Maggi-Sprecherin. Und weil zum Spaß ganz bestimmt nicht gehört, dass das Essen nach der Vorbereitung am Ende doch nicht schmeckt, liefern Maggi und andere Hersteller von Fix-Produkten die Geschmacksgarantie gleich mit: Ihre Gerichte gelingen immer und sind deshalb absolut spaßsicher.

Und das ist wahrscheinlich der wichtigste Bestandteil des Erfolgsrezepts, das sich immer mehr Konsumenten auf der Zunge zergehen lassen. Ob Maggi-Fix für Lachs-Sahne-Gratin oder Knorr-Feinschmeckergemüse aus dem Beutel, Iglo-Schlemmerfilet aus der Tiefkühltruhe oder eingeschweißte Pasta aus dem Folienbeutel – immer mehr Esser beschränken sich darauf, Fertig- oder Halbfertiggerichte zuzubereiten, statt mit frischen Zutaten selbst zu kochen. Gleichzeitig steigt aber auch die Nachfrage nach ursprünglichen, natürlichen Produkten – auch als Reaktion auf BSE und andere Lebensmittelskandale. Daher wächst einerseits die Nachfrage nach Fertigpasta und Schlemmerfilet, andererseits aber auch die nach Rohprodukten wie Rohgemüse oder Fischfilet. Maggi, Knorr, Pfanni und Co versuchen das eine mit dem anderen zu verbinden: Sie bieten den Minuten-Köchen fertige Gewürzmischungen an, die sie mit frischen Lachswürfeln, Petersilie oder Fleisch aufpeppen – Bocuse für Bequeme.

„Die Konsumenten haben das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben“, sagt Paul Michels, Marktforscher bei der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Ernährungswirtschaft (ZMP). Michels hält das für eine Folge des modernen Lebens, in der viele Frauen berufstätig sind, familiäre Bande lockerer werden, es immer mehr Single-Haushalte gibt und die Menschen viel unterwegs sind. 50 bis 80 Prozent der Deutschen kochen nach Erkenntnissen des Markenartiklers Langnese-Iglo mit Fertigprodukten – je jünger die Köche, desto größer die Wahrscheinlichkeit. Und weil das Essen in Deutschland auch noch möglichst billig sein soll, hat die Nachfrage nach dem Convenience Food („bequemes Essen“) im Teuro-Jahr 2002 noch einmal kräftig zugelegt. „Es hat einen richtigen Push bei Fertiggerichten gegeben“, sagt ZMP-Marktforscher Michels. Grund seien die hohen Preise für Frischgemüse zum Jahresbeginn gewesen. Anderseits geben auch die Konsumgüterkonzerne ihr Bestes, um den Appetit in Richtung Tütensuppe oder Tiefkühlmenü zu lenken. „Das Angebot ist sehr umfangreich“, sagt Johannes Friedrich Diehl, Ernährungspsychologe an der Universität Gießen. „Da fragen sich die Leute: warum soll ich noch aufwändig kochen?“

Auch die nachlassende Freude an Hausarbeit hat dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen, wenn sie nicht ohnehin am Imbiss oder im Restaurant essen, sich lieber fertige Rindsrouladen in die Mikrowelle schieben, statt das Fleisch selbst zu schmoren. Viele, vor allem jüngere Menschen, sind dazu schlicht nicht mehr in der Lage. Bei der Langnese-Iglo-Studie gab nur jeder dritte Befragte an, komplizierte Gerichte wie Schweinebraten mit Sauce, Klößen und Rosenkohl oder Königsberger Klopse mit Kapernsauce und Püree selbst kochen zu können. 15 Prozent hielten sich nicht einmal für fähig, ein Spiegelei zu braten. Frauen mit Hauptschulabschluss kochen in der Regel besser, Abitur oder Universitätsabschluss sind dagegen ein Hinweis darauf, dass die Kochkünste nachlassen, haben die Konsumexperten herausgefunden. Bei Männern ist es genau umgekehrt: Je besser die Schulbildung, desto besser sind auch die Kochkenntnisse.

Längst sehen Traditionalisten die Esskultur in Gefahr. „Aus Zeit- und Geldersparnis greift man in Privathaushalten und in der Gastronomie zu industriell gefertigten Nahrungsmitteln, die weltweit gleich schmecken“, sagt der Sternekoch Eckart Witzigmann. Dabei ist Selbstgekochtes nicht unbedingt schlechter als Fertignahrung. Tiefkühlgemüse etwa enthält mehr Vitamine und Nährstoffe als Frischgemüse, das ein paar Tage im Kühlschrank liegt, bevor es gekocht wird. „Ungesünder als Selbstgekochtes ist das mit Sicherheit nicht“, sagt Ernährungspsychologe Diehl. Verfechter der alten Schule machen sich auch weniger Sorgen um die Vitamine, als um geliebte Traditionen. „Die Leute suchen Räume, um Esskultur zu kultivieren“, sagt Marita Odia, Vorstandsmitglied bei Slowfood Deutschland. Knapp 5000 Anhänger haben die „langsamen Esser“ in Deutschland. Sie treffen sich in kleinen Gruppen, um zu kochen. Vielen geht es wie ihr: Die berufstätige Mutter hat im Alltag wenig Zeit für schönes Essen und Gesprächsrunden am Küchentisch. Der überwiegende Teil der Deutschen frischt seine spärlichen Kochkenntnisse allerdings nicht in kleiner Slow-Food-Runde auf, sondern via Internet im Maggi- Kochstudio. Doch ohne Pulver aus der Tüte wird hier keine Soße mehr dick. „Ich bin erbost, dass sich das Koch-Studio nennt“, sagt Puristin Odia.

Wie verärgert wird sie erst sein, wenn die Vision des Hewlett-Packard-Forschers Donald Normann Wirklichkeit wird. Der sieht uns an einer zentralen Datenbank Kochrezepte samt Video abrufen. „Unser Kühlschrank wird uns wissen lassen, ob die Zutaten dafür vorhanden sind und der Ofen sagt uns auch, wann das Ganze fertig ist.“ Adieu, Kochlöffel.

Maren Peters

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