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Wirtschaft: Börse: Die Euphorie ist wieder verflogen

Trotz der überraschenden Zinssenkung in den USA erwarten die meisten Experten keine Trendwende an den Börsen. Für einen nachhaltigen Aufwärtstrend müsse zunächst die konjunkturelle Entwicklung in den USA und anderen großen Industrienationen abgewartet werden, lautete das Urteil am Donnerstag.

Trotz der überraschenden Zinssenkung in den USA erwarten die meisten Experten keine Trendwende an den Börsen. Für einen nachhaltigen Aufwärtstrend müsse zunächst die konjunkturelle Entwicklung in den USA und anderen großen Industrienationen abgewartet werden, lautete das Urteil am Donnerstag. Mit einer baldigen Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) wird nicht gerechnet. Die Notenbank ließ am Donnerstag die Zinsen im Euro-Raum unverändert. Der Euro reagierte mit Kursgewinnen.

Die Zinsentscheidung der EZB war von Analysten weitgehend erwartet worden. Auf Basis der wirtschaftlichen Fundamentaldaten sei nicht mit einer Senkung zu rechnen gewesen. Außerdem habe die EZB nicht den Anschein erwecken dürfen, der Fed bei ihren Entscheidungen nachzulaufen: "Es wäre verwegen gewesen, zu denken, dass nur, weil US-Notenbankchef Greenspan sich unwohl fühlt, die EZB die Zinsen ebenfalls senken wird", sagte Hans Jürgen Meltzer von Deutsche Bank Research.

Nach der Entscheidung der EZB bleibt der für die Refinanzierung der Geschäftsbanken entscheidende Schlüsselzins damit bei unverändert 4,75 Prozent. Die US-Notenbank hatte ihren wichtigsten Leitzins am Mittwoch auf 6 Prozent gesenkt. Die EZB ließ auch den Zinskorridor für den Euro-Geldmarkt unverändert. Die Sätze dafür betragen den Angaben zufolge weiterhin 3,75 Prozent für Übernacht-Einlagen von Geschäftsbanken bei der EZB (Einlagenfazilität) sowie 5,75 Prozent für Übernachtkredite (Spitzenrefinanzierungsfazilität).

Mit einer Änderung der Zinsen in der Euro-Zone rechnen die Experten auch in den kommenden Wochen nicht. Er erwarte eine solche Entscheidung frühestens im zweiten Halbjahr, sagte Meltzer. Unterdessen wird an den Märkten bereits spekuliert, die US-Notenbank könnte die Zinsen bereits im Zuge des Offenmarktauschuss-Treffens (FOMC) am 30./31. Januar nochmals senken. Durch eine weitere Lockerung der Geldpolitik in den USA könne dann auch die EZB unter Zugzwang kommen. Damit rechnet aber auch Lothar Hessler von HSBC Trinkaus in Düsseldorf nicht. "Gegenwärtig ist im Unterschied zu den USA die Konjunkturlage in der Euro-Zone nicht so bedrohlich", sagte er. "Außerdem zeigt in der Euro-Zone die Inflation stärker nach oben als in den USA."

Kurz vor der Veröffentlichung der Zinsentscheidung hatte der Präsident der hessischen Landeszentralbank, Hans Reckers, mitgeteilt, er halte Zinssenkungen in der Euro-Zone auf absehbare Zeit nicht für angebracht, da verschiedene Faktoren auf weiterhin bestehende Inflationsrisiken hindeuteten. Dazu gehörten neben den jüngsten EZB-Projektionen die hohen Steigerungsraten bei Erzeuger- und Importpreisen sowie die Gefahr von Zweitrundeneffekten durch überhöhte Lohnabschlüsse.

Kritisiert wurde die EZB-Entscheidung dagegen von den Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete die Tatenlosigkeit der Notenbank als "geradezu unverantwortlich". Die Gewerkschaften hätten mit Lohnzurückhaltung großen Spielraum für eine Niedrigzinspolitik geschaffen, der Kaufkraftentzug durch den Ölpreisanstieg wirke nach und die Wachstumsraten begännen sich deutlich abzuschwächen, sagte DGB-Vorstandmitglied Heinz Putzhammer. Angesichts der sich weltweit abschwächenden Konjunktur und sinkender Inflationsraten im Euro-Raum sei eine spürbare Senkung der Leitzinsen dringend geboten, hieß es auch bei der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG).

Der Euro reagierte mit Kursgewinnen auf die Zinsentscheidung. Der Kurs der Gemeinschaftswährung stieg am Nachmittag auf Werte um 0,9455/60 Dollar. Der EZB setzte den Referenzkurs mit 94,58 Cent fest. Im Vergleich zum Vortagskurs von 95,30 Cent war dies ein Rückgang. Nach der Zinssenkung durch die Fed hatte der Euro am Mittwochabend in New York zeitweise unter 0,93 Dollar notiert. Auch die Sorge um den Kurs des Euro könnte die EZB vorerst von Zinssenkungen abhalten, hieß es.

An den Börsen wurden die Hoffnungen mancher Anleger auf ein anhaltendes Kursfeuerwerk am Donnerstag enttäuscht. Am Morgen schossen zwar noch viele Aktienkurse in Frankfurt in die Höhe, doch bis zum Nachmittag waren die Treibsätze verpufft. Der Deutsche Aktienindex (Dax) lag am Abend mit 6391 Punkten fast auf Vortagsniveau. Einige Marktteilnehmer hatten bereits am Mittwochabend vor übertriebener Euphorie gewarnt und darauf verwiesen, dass die teilweise drastischen Kurssteigerungen nach der Fed-Entscheidung überwiegend technischer Natur seien. Der Zinsschritt war eine "Rettungsaktion", sagte Gunter Eckner, Analyst bei der Baden-Württembergischen Bank. Sie sollte nach dem jüngsten Abwärtstrend an den Aktienmärkten für eine psychologische Entlastung sorgen. Das Vertrauen der Amerikaner in ihre Wirtschaftskraft sei in den vergangenen Wochen bereits gesunken. Durch anhaltend fallende Aktienkurse könne die Zuversicht der Verbraucher weiter belastet werden, wodurch die konjunkturelle Abkühlung verstärkt werde.

Nach Einschätzung vieler Analysten werde langfristig die wirtschaftliche Lage der Unternehmen über den Aktienkurs entscheiden. Sie sehen vor allem für die im Dax gewichteten Titel großer Konzerne Aufwärtspotenzial. Auch am Neuen Markt würden sich die Anleger voraussichtlich auf die "Blue Chips" konzentrieren. Mit Blick auf die langfristigen Aussichten der Aktienmärkte äußerten sich die Experten vorsichtig. Eckner zufolge müsse abgewartet werden, ob durch die Zinssenkung die konjunkturelle Abkühlung in den USA tatsächlich verlangsamt werde. David Kohl von der Bank Julius Bär rechnet mit einer nachhaltigen Erholung erst ab Mitte 2001. Bis dahin könnte noch der hohe Öl-Preis die Konjunktur in der Euro-Zone belasten.

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