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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Abgeklärte: Heiße Tipps für den Stammtisch

Wer versteht sie noch, die Börsenwelt. Früher war doch alles so einfach.

Wer versteht sie noch, die Börsenwelt. Früher war doch alles so einfach. Volkswirtschaft, erstes Semester: Wird der Zins einer Außenwährung durch eine Notenbank gesenkt, sinkt in der Folge der Wert dieser Währung im Verhältnis zur Innenwährung mit der Begründung, die verzinsliche Kapitalanlage im Inland wird wegen des so gebildeten positiven Zinsunterschiedes attraktiver. Deshalb verkaufen Anleger die nun schlechter verzinsliche Außenwährung - das Angebot steigt dort und der Preis sinkt. Dafür kaufen sie die Innenwährung und durch diese erhöhte Nachfrage steigt der Preis. Soviel zur grauen Theorie. - In der Praxis ist genau das Gegenteil der Fall. Alan Greespans Fed senkt die Refinanzierungssätze bei US-Dollar-Anlagen für Banken, und der Außenwert des Dollar steigt im Verhältnis zum Euro. Der nähert sich schön gemütlich seinem Sechs-Monats-Tief.

Eine ähnlich "verkehrte" Welt findet der interessierte Privatanleger in vielen anderen Situationen der Geld- und Kapitalmärkte vor. Gerade die komplexen Zusammenhänge sind wissenschaftlich überhaupt nicht mehr zu erklären. Dass sie wirklich vom Kunden verstanden werden, daran hat aber auch niemand ernsthaft Interesse, jedenfalls dann nicht, wenn er mit dem Unverständnis sein Geld verdient. Dazu zählen insbesondere die Geldhäuser, die mindestens einen von mittlerweile nahezu 30 000 Optionsscheinen auf den Markt bringen. Immer populärer - jedenfalls bei den Emittenten - werden auch gemanagte Produkte mit wohlklingenden Namen: Garantieprodukte, Zertifikate auf Aktien, Währungen, Indizes und so weiter. Unverstanden bleibt auch die Zusammensetzung vieler der weit über 4000 Investment-Fonds, die in Deutschland zum Vertrieb zugelassen sind, wovon viele so genannte Spezialitätenfonds sind.

Die Spezialität beschränkt sich häufig auf die Tatsache, dass es für den Kapitalanleger nicht mehr nachzuvollziehen ist, was für ein Produkt er überhaupt gekauft hat. Mit mächtigem Werbeaufwand und nicht selten viel zu spät kommt eine Bank oder Sparkasse mit einem ganz einmaligen Angebot auf seine Kunden zu. Der umworbene Anleger möge sich bitte bis zum Tag X entscheiden, dann erhält er auch noch einen Rabatt oder einen Zinsbonus auf sein anderweitig geparktes Geld. Das war so bei Telekommunikations-, Biotech-, Neuer-Markt-Fonds etc. "So hätte sich ihr Vermögen entwickelt, wenn sie schon vor zwei Jahren investiert gewesen wären" wird dem Unwissenden die Anlage schmackhaft gemacht. Er war es aber leider nicht. Und jetzt, da es dieses Produkt von der Hausbank endlich auch gibt, sollte er meistens auch nicht mehr dabei sein. Nachweislich prägen Spezialitätenfonds keinen Trend, sie beenden ihn oft. Der Kunde kauft also indirekt zu Höchstkursen.

Für welches Produkt, für welche Bank oder welchen Dienstleister soll der Kapitalanleger sich denn entscheiden, und nach welchen Kriterien soll er in diesen unsicheren Börsenzeiten auswählen? Nicht nur er, der Kunde, ist unwissend, häufig ist es der Berater vor Ort in der Bankfiliale auch. Die wenigsten Vermögensberater werden es schaffen, einem Anleger mit einfachen Worten zu erklären, warum ein Anlageprodukt sich völlig anders entwickelt als es von ihm vorhergesehen wurde. Der Blätterwald wird durch neue Anlegermagazine immer dichter, immer mehr Internetseiten und Fernsehkanäle informieren den Anleger immer schneller. Viele Anbieter ermöglichen es dem Kunden, schon in "realtime" zu ermitteln, wie sich das Vermögen verringert hat.

Für die langfristig erfolgreiche Vermögensanlage bedarf es keiner neuzeitlichen Produkte, sofern nur Altbekanntes neu gemischt und umgetauft wird. Erfolg wird derjenige an der Börse haben, der einen ehrlichen Anwalt seiner Interessen findet. Das wäre der heißeste Tipp für den Stammtisch.

Thomas Pohlig

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