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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Abgeklärte: Stürmische Zeiten an der Börse

Oder die rührselige Büro-Szene an einem Kopiergerät. Ein Kollege erklärt dem nächsten, wie man sein Geld vervielfältigt.

Oder die rührselige Büro-Szene an einem Kopiergerät. Ein Kollege erklärt dem nächsten, wie man sein Geld vervielfältigt. Einfach der Bank fünf mal zehntausend Mark hinlegen und mir nichts, dir nichts werden daraus mehr als 170 000 Mark in ein paar Jahren. Und anderswo kommt man scheinbar mühelos zu "mein Haus, mein Auto, mein Boot". Wunderbare Welt zur prime-time.

Repräsentativen Umfragen zufolge gibt es aber keine größere Diskrepanz zwischen werblichem Anspruch und Wirklichkeit. Der anlagewillige Kunde verliert zwar statistisch seit über zwölf Monaten Geld, aber offensichtlich ist der Leidensdruck noch nicht groß genug, das Vertrauen in die Bankberatung scheint unerschütterlich zu sein. Dax und Co. sind schon im letzten Jahr deutlich abgetaucht, und der Kursverfall hat sich noch beschleunigt. Der Neue Markt verlor allein im Jahr 2000 über 45 Prozent und hat sich bisher noch einmal halbiert.

Dennoch hat die Gesellschaft für Konsumforschung ermittelt, dass Kleinanleger ihr Vermögen im Jahr 2000 um neun Prozent haben steigern können. Und auch für dieses Jahr hält ihr Optimismus an. Offensichtlich haben nur die Großanleger, also die Banken selbst, Geld an der Börse verloren. Sie haben den Kunden die Erfolgs-Strategie empfohlen, die in der Werbung propagiert wurde, und haben selbst das Falsche gemacht. Anders kann es mathematisch nicht aufgehen, denn die Kursindizes bilden den Durchschnitt der Gewinner und Verlierer ab.

Anonyme Umfragen kommen zu anderen, wahrscheinlich realistischeren Ergebnissen. Tatsächlich haben viele Aktionäre in den letzten Monaten viel Geld verloren und starren jetzt gebannt auf die Kurstafeln. Der Anleger reagiert nicht mehr, er schaut nur noch zu. Angeblich kann man eine Aktie nicht verkaufen, bei der man hinten liegt. "Solange ich nicht verkaufe, habe ich auch nichts verloren", ist ein oft gehörter Satz.

Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Bei jeder Aktie oder jedem Fonds muss unabhängig vom historischen Kaufkurs die Frage gestellt werden, ob er auch im aktuellen Börsenumfeld noch ein gutes Investment ist. Wenn die Perspektiven nicht mehr stimmen, muss konsequent umgeschichtet und verkauft werden. Anderenfalls verbleiben jahrelang Nieten im Depot. Der Anleger muss wieder akzeptieren lernen, dass die Börse keine Einbahnstraße ist, in der es nur nach oben geht. Und er muss lernen, dass gute Vermögensberatung frei von Eigeninteressen des Beraters sein muss.

Selbst in diesen stürmischen Zeiten kann man an der Börse Geld verdienen, wenn auch nicht so schnell. Und wenn es bei Ihnen noch nicht zum Boot gereicht hat, dann leihen Sie doch zwischenzeitlich das ihres Beraters. Denn der hat momentan andere Sorgen ...

Thomas M. Pohlig

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