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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Heisssporn: Walzer tanzen auf dem leeren Börsenparkett

Freitag für Freitag schreiben abwechselnd unsere Kolumnisten über ihr Leben mit den Kursen. Der Heißsporn, der ohne die tägliche Hektik nicht leben kann.

Freitag für Freitag schreiben abwechselnd unsere Kolumnisten über ihr Leben mit den Kursen. Der Heißsporn, der ohne die tägliche Hektik nicht leben kann. Der Outsider, der die Macht der Börse im Alltag beobachtet. Der Zauderer, der den Aktienkauf bis heute nicht wagt. Und der Abgeklärte, der sich nie aus der Ruhe bringen lässt.

Die Zeiten werden allmählich besser: Die vergangenen vier Börsenwochen waren hervorragend. Sicher, einige Aktien haben weiter verloren. Aber viele Aktien am Neuen Markt, an der amerikanischen Nasdaq oder auch Blue Chips konnten um zehn, 20 oder 30 Prozent zulegen; einige Papiere verdoppelten ihren Wert gar. Der deutsche Leitindex Dax, der die 30 wichtigsten deutschen Unternehmenswerte abbildet, stieg seit seinem Tiefststand vor wenigen Wochen um fast 1000 Punkte. Für diejenigen, welche die Verluste des vergangenen Jahres aussitzen wollen, ist dies aber nur ein schwacher Trost. Denn viele dieser bedauernswerten Anleger müssten noch Kursanstiege von bis zu 1000 Prozent erleben, um wieder das Niveau ihrer Einstiegskurse zu erreichen - das wird vermutlich noch einige Zeit dauern.

Erstaunlich ist jedoch die Dummheit vieler Kleinanleger (natürlich sind viele so genannte Profis auch nicht besser): Als die Börse mit ihren Kursanstiegen deutlich übertrieben hatte, war die Börse das Gesprächsthema Nummer eins. Jeder wollte der Partylöwe sein, indem er über seine letzten lukrativen Aktiendeals berichtete. Wahrscheinlich wurden sogar Hochzeitsnächte unterbrochen, wenn die asiatischen Börsen mitten in der Nacht eröffneten - man musste ja am nächsten Morgen über die Eröffnungsphase mitreden können. Heute drehen sich die Gespräche wieder darum, ob Bayern München zu Recht oder zu Unrecht Deutscher Meister geworden ist, oder darum, dass die armen Schalker eher den Titel verdient hätten. Oder es geht um die Benzinpreise, den bald anstehenden Urlaub oder das schlechte Fernsehprogramm. Oder, oder, oder...

Aber kommen Sie bloß nie mit dem Thema Börse! Obwohl ja niemand an der Börse Verluste gemacht haben will, treffen Sie damit in offene Wunden. Dabei ist diese Reaktion mittlerweile eine höchst irrationale Veranstaltung. Wie gesagt, die Zeiten haben sich geändert. Vergleichen wir einmal das vergangene Börsenszenario mit einem Besuch in einer so genannten Top-Diskothek am besten Platze. Erst steht man stundenlang an. Dann, endlich beim breitschultrigen Türsteher angekommen, muss man hinnehmen, nicht reingelassen zu werden und notgedrungen auf ein anderes Etablissement ausweichen. Wenn Sie es aber oft genug versuchen, kommen Sie vielleicht auch einmal in den Topladen rein. Doch selbst dann müssen Sie sich erst durch die Masse quetschen und können vielleicht endlich etwas auf der engen Tanzfläche zucken, denn die Tische und die besseren Stehplätze sind den VIPs vorbehalten. Und wenn Sie dann nach erneutem Warten etwas zu trinken bekommen, ist das Getränk oft zu warm und viel zu teuer. Wenn Sie einmal genau über einen solchen Abend nachdenken, waren Sie eigentlich nicht tanzen, sondern haben in einem überfüllten, lauten Raum geschwitzt und für schlechte Getränke viel Geld bezahlt.

Wenn Sie den Diskothekenbesuch mit dem heutigen Börsenszenario vergleichen, würden Sie von den Türstehern auf die Tanzfläche getragen werden. Heute könnten Sie sich aussuchen, zu welchem Lied Sie tanzen. Und wenn Sie einen Walzer tanzen möchten, könnten Sie dies mit geschlossenen Augen tun, ohne einen anderen Tänzer damit zu stören. Und wundern Sie sich nicht wenn sie, obwohl Sie Wasser bestellt haben, zum gleichen Preis gut gekühlten Champagner serviert bekommen.

Aber was träumen wir hier? Sie wollen ja lieber mit der Masse zucken, als gemütlich einen Walzer auf dem Börsenparkett zu tanzen. Für alle anderen oder diejenigen, die sich noch belehren lassen: Lassen Sie sich nicht die Freude und den Spaß am Handeln nehmen.

Andreas Kosina

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