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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Outsider: Alan, der eiskalte Engel aus Manhattan

Wir müssen heute noch einmal die Machtfrage stellen. Wer ist eigentlich, Stand Januar 2001, der mächtigste Mensch der Welt?

Wir müssen heute noch einmal die Machtfrage stellen. Wer ist eigentlich, Stand Januar 2001, der mächtigste Mensch der Welt? Früher, bevor die Börse unseren Alltag zu verändern begann, hätte man wahrscheinlich den US-Präsidenten genannt, Herrscher der letzten Weltmacht. Gläubige hätten auf dem Papst bestanden, dem Stellvertreter des Allmächtigen auf Erden. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Von wem wir reden, wenn wir über den mächtigsten Mann der Welt sprechen? Von einem drahtigen Typen mit schmalem Gesicht und ein paar Falten, Jahrgang 1926, mit wenigen Haaren und einer überdimensionalen Brille mit dunklem Rand. Alan Greenspan ist seit dreizehn Jahren Chef der Federal Reserve, der amerikanischen Notenbank, und deshalb hängt das Glück an sämtlichen Handelsplätzen rund um den Erball davon ab, ob etwa Mister Greenspan den Leitzins um einen halben Prozentpunkt anhebt oder senkt. Darauf reagieren die Märkte stärker als auf jede andere Entscheidung der Politik. Und daher kommt es, dass mancher amerikanische Konservative Mister Greenspan bis heute vorwirft, er hätte Bill Clinton 1992 zum Präsidenten gemacht.

Der Chefbanker hatte damals trotz einer Mini-Rezession die Zinsen in den Staaten hochgehalten, der amtierende Präsident Bush die Wahl verloren. Erst seine etwas überhastete Zinssenkung in der vergangenen Woche deutete an, dass seine Hand vielleicht nicht mehr ganz so ruhig ist wie bisher; wir werden sehen.

Von wem wir reden, wenn wir über Alan Greenspan reden? Es sind gerade zwei Biographien über ihn erschienen, aber hinter das Geheimnis dieses Mannes ist keiner so recht gekommen. Man weiß ein bisschen etwas über sein Leben: In New York geboren, in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, studierte er Ökonomie und hatte als junger Mann keinen Erfolg bei den Frauen. 1952 lernte er eine hübsche Malerin kennen. Die beiden heirateten, kurz darauf ließen sie sich wieder scheiden.

Wer heute Mister Greenspan bei seinen Pressekonferenzen beobachtet (ansonsten tritt er in der Öffentlichkeit kaum auf, Interviews gibt er auch nicht gern), der ahnt, was ihn nach seiner ersten Ehe zu einem derart erfolgreichen Charmeur machte, der, wie der "Stern" schreibt, "sich auf VIP-Partys von vielen attraktiven Damen begleiten ließ und jahrzehntelang Junggeselle" blieb. Alan Greenspan ist ein Schweiger, der gleichzeitig alle Fäden in der Hand hält. Er spielt Tennis und Golf und manchmal Saxofon. Er ist ein Mysterium. Das macht ihn so interessant.

Wenn der Schauspieler Alain Delon einmal der eiskalte Engel war, dann müssen wir den amerikanischen Alan den eiskalten Engel des 21. Jahrhunderts nennen. Nach seinen Anweisungen tanzt die Börse, und weil er die Märkte seit vielen Jahren vor einem schwarzen Montag bewahrt und die US-Wirtschaft stabilisiert hat, hängen die anderen Mächtigen an seinen Lippen.

Bill Clinton etwa sagte vor ein paar Monaten, dass er sich überlegt habe, mit einer Firma namens "Alan dot.com" an die Börse zu gehen. Und Senator John McCaine, selbst im letzten Vorwahlkampf Präsidentschaftskandidat, sagte bei Greenspans Wiederwahl zum Notenbank-Boss: "Sollte er jemals sterben, was Gott verhüten möge, würde ich ihn aufrichten und ihm eine dunkle Brille aufsetzen."

Kein Wunder, dass Alan Greenspan, der Wahlkampfberater war für Nixon ("obwohl ich ihn nie leiden konnte"), Ford und Reagan, selbst als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner galt. Doch der mächtigste Mann der Welt lehnte ab. Warum sollte er sich auch auf einen derartigen Abstieg einlassen?

Christoph Amend

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