zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Bombardier bläst Krisensitzungen ab

Neues Vergaberecht gibt Milliardenaufträge der Bahn frei – Trotzdem müssen Kapazitäten abgebaut werden

Berlin (fo). Der Bahntechnikkonzern Bombardier will weitere Produktionskapazitäten abbauen. Die Schließung eines Werks steht nach Angaben der Geschäftsführung aktuell zwar nicht zur Diskussion. „Wir müssen aber alle Standorte auf den Prüfstand stellen, um konkurrenzfähig zu bleiben“, sagte Deutschland-Chef Peter Witt dem Tagesspiegel. Auch eine Freigabe der bisher blockierten Aufträge der Bahn über 4,3 Milliarden Euro würde daran nichts ändern. Ohne die jüngste Änderung des Vergaberechts durch die Bundesregierung hätte Bombardier in diesen Tagen harte Einschnitte bekannt gegeben. Im Gespräch waren mindestens 500 Arbeitsplätze, vor allem an den Standorten Hennigsdorf und Halle-Ammendorf.

Schon terminierte Krisensitzungen bei Bombardier sind aber erst einmal abgeblasen: Der Wirtschaftsausschuss und die Betriebsräte im größten Werk Hennigsdorf (2500 Beschäftigte) hatten sich auf eine heiße Woche eingerichtet. Die Warnung des Chefs der Konzernsparte Transportation, Pierre Lortie, war eindeutig: Mindestens 500 Arbeitsplätze stünden zur Disposition, sollte es bei dem Investitionsstopp der Bahn AG bleiben. Die hatte im Juni Milliarden-Bestellungen wegen Streitigkeiten um die Vergabe auf Eis gelegt. Für Bombardier, vor allem aber für Hennigsdorf hieß das: Aufträge für 267 Regionalzüge oder drei Millionen Fertigungsstunden fallen weg. Am Dienstag wollte das Management eigentlich Details des Stellenabbaus bekannt geben - zwei Wochen vor der Wahl ein brisanter Zeitpunkt.

Der Kanzler, wird in Hennigsdorf vermutet, habe den Hilferuf der Betriebsräte erhört und sich eingeschaltet. Anfang August warnten sie Gerhard Schröder vor der „drohenden beschäftigungspolitischen Katastrophe“in Ostdeutschland, sollten die Bahnaufträge nicht kommen. Schließlich hat das schon einmal funktioniert, Ende letzten Jahres. In Halle sollte das Waggonwerk Ammendorf mit 880 Arbeitsplätzen geschlossen werden. Schröder griff ein und das Management änderte seine Pläne.

Diesmal ließ sich der Kanzler zwar nicht in den Werkhallen blicken. Aber die Bundesregierung änderte mit ungewohntem Tempo die Vergabeordnung für öffentliche Aufträge: Am Mittwoch ging das Gesetz durch das Kabinett, am Freitag kommt es in die letzte Bundestagssitzung vor der Wahl und am 26. September in den Bundesrat. Dann, so Bahnchef Hartmut Mehdorn, „haben wir wieder Investitionssicherheit für Milliarden-Investitionen in neue Produkte.“

Darauf wartet die Industrie, die jahrelang laut über miese Auftragslage und Auslastung klagte. In diesem Jahr sieht der Industrieverband VDB erstmals die konjunkturelle Trendwende. Peter Witt ist dagegen skeptisch. „Wir werden doch ständig mit den leeren öffentlichen Kassen konfrontiert.“ Witt glaubt nicht, dass jetzt der große Investitionsschub für Lokomotiven und Waggons und damit eine Auftragswelle für die Hersteller kommen wird.

Das befürchten auch die Betriebsräte bei Bombardier. Die neuen Vergaberegeln sind für sie kein Grund zum Feiern. Denn Bombardier kämpft in Deutschland immer noch mit den Folgen der schnellen Expansion. 1994 wurde Talbot in Aachen zugekauft, 1998 die Deutsche Waggonbau AG. Zwei Jahre später übernahmen die Kanadier auch noch Adtranz (ehemals AEG-, ABB- und LEW-Eisenbahntechnik) von Daimler-Chrysler und stiegen damit zum weltgrößten Hersteller von Schienenfahrzeugen auf. In Deutschland sind es jetzt elf Werke mit 9300 Beschäftigten. Folge: Mit jedem Zukauf holte sich Bombardier zusätzliche Überkapazitäten in den Konzern.

Und mit Adtranz auch ein finanzielles Problem. Der Adtranz-Jahresabschluss 2001 ergab einen Verlust von 338 Millionen Euro. Zudem musste Bombardier den Angaben zufolge allein 646 Millionen Euro frisches Geld in die Neuerwerbung stecken, um die Existenz einiger notleidender Tochtergesellschaften zu sichern. Alle Bilanzkorrekturen summieren sich auf eine Milliarde Euro - der Betrag, den Bombardier jetzt von Daimler-Chrysler einklagt. Das Verfahren vor dem internationalen Schiedsgericht läuft, sein Ausgang hat aber wenig Einfluss auf die Lage in den Werken.

Der Umbau des Konzerns ist noch lange nicht ausgestanden: Mit Hennigsdorf (Ex-Adtranz) und Ammendorf (Ex-DWA) leistet sich der Konzern zwei konkurrierende Standorte mit fast gleichen Produktionsmöglichkeiten. Für Ammendorf, wo derzeit noch ICE’s und S-Bahnen gefertigt werden, ist die Entscheidung gefallen: Die Produktion läuft aus, das Werk wird in ein Service- und Ausrüstungszentrum für Waggons umgerüstet. 880 Arbeitsplätze, das steht fest, sind damit allerdings nicht zu halten. Von dem Zehn-Milliarden-Investitionsprogramm der Bahn, das der Kanzler im Winter zugesagt hatte, ist in Ammendorf jedenfalls nichts angekommen, klagt ein Betriebsrat. Dann nämlich könnten weit mehr Waggonbauer ihren Job behalten. Trotzdem gibt es keine Entwarnung für die Kollegen in Hennigsdorf. Zwar gilt die Zusicherung Witts, dass Bombardier auf jeden Fall an dem Standort festhält. Die Arbeitnehmervertreter fragen sich nur, ob damit auch eine Zukunft als Fertigungsstandort gemeint ist.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false