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Gelernt ist gelernt. Bertling ist ein Technik-Freak, privat fährt er den Elektro-Sportwagen Tesla.

© Alice Epp

Bombardier-Chef im Interview: „Die S-Bahn ist sehr wichtig für uns“

Lutz Bertling, Chef der Zugsparte von Bombardier, erklärt im Interview, wo er sein Unternehmen im Rennen um den Großauftrag für die Berliner S-Bahn sieht - und macht ein Versprechen.

Herr Bertling, als Eurocopter-Chef sind Sie früher auf 300 000 Flugmeilen im Jahr gekommen. Auf wie viele Zugkilometer kommen Sie als Bombardier-Chef?

Bislang sind es noch nicht so viele, die meisten Kunden sitzen weit entfernt im Ausland. Nach New York kommt man ja von Berlin aus nicht mit dem Zug. Und der wichtigste Kunde sitzt nur ein paar Steinwürfe entfernt, da kommen auch nicht so viele S-Bahn-Kilometer zusammen.

Ihre Branche ist derzeit in Aufruhr – die Konkurrenten Siemens und Alstom könnten ihre Bahn-Sparten zusammenlegen, auch General Electric bemüht sich um die Franzosen. Was bedeutet das für Sie?

Wenn GE und Alstom zusammengehen, ändert sich im europäischen Transportbereich nur wenig – die Zahl der Wettbewerber bleibt gleich, Überschneidungen gibt es kaum. Kommt Siemens bei Alstom zum Zuge, verschwindet indes ein Wettbewerber. Ich bezweifle aber, dass ein neues Unternehmen wesentlich stärker würde, es müsste ja aus Kartellgründen Aktivitäten verkaufen. Angesichts unserer Größe würde uns ein fusioniertes Unternehmen Siemens/Alstom nicht schockieren.

Die Bahn fürchtet, dass Züge teurer werden, wenn ein Anbieter verschwindet.

Rund die Hälfte des Weltmarktes für Eisenbahnen entfällt auf große Spieler wie Siemens oder Bombardier. Eine Reihe kleinerer Hersteller steht für die andere Hälfte. Die Konzentration müsste noch weitaus stärker werden, damit das Preisniveau deutlich beeinflusst würde. Zudem drängen in den nächsten Jahren neue Anbieter auf den Markt, die Chinesen etwa, die heute schon Lokomotiven und Metros produzieren. Dennoch gibt es einzelne Segmente wie zum Beispiel Hochgeschwindigkeitszüge, bei denen eine bedenkliche Situation entstünde.

Wenn aus beiden Varianten nichts wird – sind Sie dann der weiße Ritter für Alstom?

Darüber spekuliere ich nicht in der Öffentlichkeit.

Überlegen Sie, weiter zu expandieren?

Wenn es über Alstom hinaus eine weitere Konsolidierung in der Branche geben sollte, werden wir eher kaufen als verkaufen, ganz klar.

Bei den Kunden hat die Bahnindustrie in den vergangenen Jahren mit Qualitätsproblemen und Lieferverzögerungen von sich reden gemacht, beim Regionalzug Talent 2 oder beim Schnellzug Velaro von Siemens. Haben Sie etwas daraus gelernt?

Um es klar zu sagen: Hier geht es nicht in erster Linie um das Thema Qualität. Es ist zwar nie alles schwarz oder weiß. Dass wir die Züge nicht rechtzeitig liefern konnten, liegt aber in erster Linie am umständlichen deutschen Zulassungssystem.

Sowohl beim Talent als auch beim Velaro ging es um Software-Fehler. Die Bahn spricht vom „Prinzip Banane“ – der Zug reift beim Kunden.

In anderen Ländern liefern wir pünktlich, unsere Wettbewerber auch. Hierzulande müssen wir im Laufe des Zulassungsprozesses ständig Anpassungen vornehmen, zum Beispiel weil sich Normen und Vorschriften ändern. Das kostet Zeit, Geld und Nerven.

Fortan sollen die Hersteller selber verantwortlich sein für die Zulassung, und sie müssen nicht mehr jeden Zug einzeln prüfen lassen. Ist das Thema damit erledigt?

Für neue Aufträge schon, bei bestehenden gilt aber weiter das alte Verfahren. Und das neue Zulassungsverfahren, auf das sich Politik und Industrie verständigt haben, ist noch nicht in ein Gesetz gegossen. Das muss jetzt mit Nachdruck angegangen werden.

Liegt es nicht auch an den veralteten Prozessen in Ihrer Industrie? Es gibt viele Einzelanfertigungen, wenige Standards – in der Autobranche ist das undenkbar.

Das stimmt. Allerdings hat auch jeder unserer Kunden spezielle Wünsche. Zudem hat jedes Land in Europa seine eigenen Vorschriften für Züge und unterschiedliche infrastrukturelle Randbedingungen. Wir können daher nur Subsysteme standardisieren – Motoren, Klimaanlagen, Türen, Kupplungen. Gleichwohl haben wir unsere Technik-Sparte neu aufgestellt und stärker zentralisiert. Wir wollen Entwicklungsrisiken und -zeiten reduzieren und die Züge zuverlässiger machen.

Die Bahn verlangt von Ihnen wegen Qualitäts- und Lieferproblemen bei mehreren Aufträgen mehr als 500 Millionen Euro Entschädigung. Zahlen Sie?

Wir sind in konstruktiven Gesprächen. Die Materie ist komplex, teilweise geht es um Bestellungen von Ende der 80er Jahre. Es macht für beide Unternehmen wenig Sinn, solche Altlasten ständig mit sich herumzuschleppen, zumal wir ja ständig bei neuen Projekten zusammenarbeiten. Wir wollen hier einen Schlussstrich ziehen. Darum kümmere ich mich auch persönlich intensiv.

Wo sehen Sie sich beim Rennen um den Großauftrag für die Berliner S-Bahn?

Wir wollen der Bahn ein Angebot machen, das attraktiver ist als alle anderen. Schauen Sie sich an, wer seit Jahren die meisten Aufträge im S-Bahn-Verkehr bekommt, sowohl in Deutschland als auch international. Der Auftrag ist sehr wichtig für uns. Wir investieren daher sehr stark vorab in innovative Fahrzeugkonzepte.

Versprechen Sie, dass die neuen Züge besser funktionieren als die aktuellen Baureihen 481/482, die auch von Ihnen stammen?

Wir werden eine hervorragende S-Bahn für die Hauptstadtregion bauen.

Die Bahn wirft Ihnen vor, die Züge falsch konstruiert zu haben.

Unsere Fahrzeuge haben eine besonders hohe Verfügbarkeit, das können Sie etwa am Pariser Nahverkehrsnetz sehen, das mit dem Berliner vergleichbar ist.

Was bedeutet der Auftrag für Ihr größtes europäisches Werk in Hennigsdorf?

Der Standort ist so groß, dass er als Grundauslastung zwei sehr lang laufende Aufträge braucht. Dann sind die Kosten gedeckt, und man kann daneben kleinere Projekte aufnehmen mit Bestellungen von 20 oder 50 Zügen. Im Augenblick fertigen wir den Talent 2 und die S-Bahn-Züge für Rhein-Main und Stuttgart. Danach rechnen wir mit den beiden Großaufträgen ICX und S-Bahn Berlin.

Und wenn Sie verlieren?

Dann werden wir in Hennigsdorf Anpassungen vornehmen.

Wie viele Arbeitsplätze hängen direkt am S-Bahn-Auftrag?

Der Auftrag sichert grob gerechnet 1000 Arbeitsplätze. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass wir auch 1000 Stellen abbauen müssten, wenn der Auftrag nicht kommt. Es kann ja sein, dass wir andere Bestellungen bekommen, die einen Teil der Kapazitäten auslasten. Der komplette Auftrag S-Bahn Berlin wäre aber wohl kaum kompensierbar. Rechnen muss man auch noch die indirekte Beschäftigung, von den Lieferanten bis hinunter zum Bäcker um die Ecke.

Europa ist der weltgrößte Markt für Schienentechnik. Bleibt das so?

Bis 2020 auf jeden Fall. Nordamerika legt zwar auch zu, aber die Nachfrage wird unter der in Europa bleiben. Dort geht es im Wesentlichen um Metrosysteme und Regionalzüge. Sehr starkes Wachstum erwarte ich in Lateinamerika. Dort wachsen die Städte am stärksten, 80 Prozent der Menschen dort leben bereits im Einzugsbereich einer Stadt. Das gilt auch für Indien und vor allem China. Hier kommt hinzu, dass die Volksrepublik ihr Hochgeschwindigkeitsnetz weiter ausbaut.

In der Debatte um die vernachlässigte Infrastruktur geht es meist nur um die Straßen. Warum kommt die Schiene oft zu kurz?

Wir haben einen deutlichen Nachholbedarf vor allem bei Instandhaltung und Modernisierung. Vergleichen Sie mal in einer Stadt wie Berlin die Zahl der Bahnfahrer mit der der Autofahrer – da liegt die Schiene weit vorne. Wir müssen uns überlegen, ob wir eine zunehmende Verschmutzung der Städte und noch mehr Individualverkehr wollen. In Berlin gibt es zwar vergleichsweise keine echte Rush-Hour, da merkt man das nicht so. In Mexico-City, Peking oder Sao Paolo aber kann man manchmal vor Smog keine hundert Meter weit sehen, und die Menschen brauchen zwei Stunden bis zur Arbeit.

Die Bundesregierung setzt auf Elektromobilität. Sie nicht?

Mit Elektroautos wird zwar die Luft besser, ein Verkehrsinfarkt droht aber nach wie vor. Die Urbanisierung geht im Trend weiter, deshalb kommt man an schienengebundenem Verkehr nicht vorbei. Ohnehin ist die Eisenbahn längst der größte Anbieter von Elektromobilität. Wenn man hier nun die Preise erhöht, kann ich nur den Kopf schütteln.

Bei der Elektromobilität jenseits der Schiene tut sich aber eine Menge.

Auch für uns entwickelt sich da ein neuer Markt. Die ersten von uns ausgestatteten Elektro-Busse mit induktiver, kabelloser Stromversorgung fahren in Braunschweig. Auch in Berlin geht es bald los. Der Vorteil ist, dass die Batterie des Busses geladen wird, wenn er an der Haltestelle steht, ähnlich einer elektrischen Zahnbürste. So kann er mit vergleichsweise kleiner Batterie den ganzen Tag lang fahren. Ich sehe da ein sehr erhebliches Potenzial: neben dem Bus auch bei Straßenbahnen, Pkws und Transportern. Der Kunde will ja nicht jeden Abend das Kabel in die Dose stecken. Sondern auf seinen Parkplatz oder in die Garage fahren und am nächsten Tag wieder ein geladenes Auto haben.

Würden Sie eine solche Technik in Deutschland produzieren?

Wir würden uns auf jeden Fall in der Nähe großer Kunden ansiedeln. Wenn der Fahrzeug-Hersteller aus den USA käme, wäre es wahrscheinlich, dass wir auch dorthin gehen. Bei einem deutschen würden wir in Deutschland investieren. Wir verhandeln mit der Industrie bereits über konkrete Vorhaben.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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