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Wirtschaft: Bonbons für die Zahnpflege

Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé kurbelt den Umsatz mit gesundheitsfördernden Produkten an

Bei Nestlé-Produkten wie Kitkat oder dem Schokoladenpulver Nesquik erinnert wohl nichts an gesunde Ernährung. Doch spätestens seit Peter Brabeck 1997 das Ruder bei dem Schweizer Lebensmittelkonzern übernommen hat, zeigt die Unternehmensstrategie klar in Richtung Gesundheitskost. Angesichts stockender Umsätze in der Branche setzt der weltgrößte Lebensmittelhersteller seine Hoffungen auf die Verschmelzung von klassischen Lebensmitteln und Gesundheitsprodukten.

Nestlé hofft, dass gesundheitsbewusste Verbraucher mehr Geld für Lebensmittel ausgeben, wenn ihnen Cholesterinsenker oder andere Substanzen mit medizinischen Nebeneffekten beigemischt sind. „Es war klar, dass wir mit Tomatensauce und Trockennudeln auf Dauer keine Werte schaffen können“, sagt Nestlé-Chef Brabeck. „Ich musste Bereiche finden, die unser Wachstum fördern.“ Inzwischen verkauft Nestlé einen Frühstücks-Riegel, der langsam wirkende Kohlehydrate enthält und damit länger satt macht. Der Konzern entwickelte einen Zusatzstoff für Schokolade, der die Aufnahme von schädlichem Cholesterin begrenzt. Außerdem hat Nestlé die behördliche Genehmigung erhalten, Säfte und Speiseeis mit cholesterinsenkenden Stoffen zu versetzen.

Dem weltweit auf fast 900 Milliarden Euro geschätzten Markt an verpackten Lebensmitteln fehlt es seit den 80er Jahren an Wachstum. Mit der Erweiterung der Produktvielfalt ist es nicht mehr getan: Von purpurrotem Heinz-Ketchup lassen sich Käufer kaum noch beeindrucken. Gleichzeitig drücken die großen Handelsketten auf die Preise und machen mit ihren Eigenmarken auch den mächtigsten Herstellern zu schaffen. Selbst Lebensmittel-Konzerne wie Kraft oder Unilever müssen sich inzwischen gewaltig strecken, um am Ende noch ein Wachstum von einem Prozent einzufahren.

Hoher Forschungsaufwand

Die Kombination von Lebensmitteln und Medizinprodukten ist nicht zuletzt deshalb so verlockend, weil immer mehr Verbraucher für ihre Gesundheit gerne mehr ausgeben. Dabei können die Preise für gesundheitsoptimierte Kost 40 Prozent über denen für normale Lebensmittel liegen – und das bei doppelter Gewinnspanne. Die aufwändige Erforschung und Entwicklung hat noch einen anderen Vorteil: Die Produkte sind sicherer vor Nachahmungen und der Konkurrenz billiger Eigenmarken.

Vorgemacht hatten es einst die Cornflakes- und Müsliproduzenten. Kaum hatte man in den 90er Jahren den Nutzen von Ballaststoffen für die Vermeidung von Herzkrankheiten entdeckt, schon warben die Hersteller damit auf den Verpackungen. Seitdem haben Omega-Drei-Fettsäuren ihren Weg in die Milch gefunden und Cholesterinsenker werten die Frühstücksmargarine auf. „Vor zehn Jahren machte die Gesundheitsvorsorge gerade einmal ein Prozent der Produktpalette eines Lebensmittelkonzerns aus“, sagt Hrishi Batticharya, ehemaliger Chef der Nährwertforschung bei Unilever. „Heute sind es fünf Prozent und morgen werden es zehn sein.“

Als der heutige Nestlé-Vorstandsvorsitzende Brabeck noch Chef des Bereichs Lebensmittel war, konnte er sehen, wie Pharmafirmen immer tiefer in die Nahrungsmittel-Branche vorstießen. Die damalige Sandoz AG, heute Novartis, übernahm 1994 den Babynahrungshersteller Gerber. Nestlé ging mit dem eigenen Übernahmeangebot leer aus. „Als sich die Pharma-Unternehmen plötzlich für Lebensmittel interessierten, mussten wir wachsam werden“, sagt Brabeck. Noch am Tag seines Amtsantritts als Nestlé-Chef verfügte Brabeck die Gründung einer neuen Gesundheitssparte und die Neuordnung der versprengten Unternehmenseinheiten für Nährwertforschung. Er heuerte den Ernährungswissenschaftler Vernon Young für eine Vorstandsposition an und gewann den Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel für das Unternehmen.

Auch wenn der Konzern in allen Bereichen sparen muss – Brabeck steht hinter den hohen Ausgaben für die Gesundheitskost. Mehr als 3500 Mitarbeiter beschäftigt der Konzern im Bereich Forschung und Entwicklung. Ein Fünftel des 600-Millionen-Dollar-Forschungsbudgets fließt in die medizinisch aufgewertete Kost. Inzwischen sucht Nestlé zusammen mit Colgate-Palmolive nach Wegen, Zahnpflegemittel in Bonbons und Kaugummis einzubauen. Als gescheitert gelten allerdings die LC1-Milchprodukte, die positive Effekte auf das Verdauungs- und Immunsystem haben. Hier wurde Nestlé vom französischem Konkurrenten Danone fast vollständig verdrängt. Dessen Parallel-Produkt Actimel verkauft sich aufgrund einer besseren Vermarktungsstrategie prächtig.

Angesichts der Produktpalette dürfte es der Konzern schwer haben, einen Ruf für gesundheitsbewusste Kost zu etablieren, meinen Branchenbeobachter. „Die Marke Nestlé wird so sehr mit Eiskrem und Süßigkeiten in Verbindung gebracht, dass die Botschaft vom gesunden Essen kaum glaubhaft zu transportieren ist“, sagt Julian Mellentin, Direktor des Zentrums für Nahrungs- und Gesundheitsstudien, eine Londoner Forschungs- und Beratergruppe. Die Nestlé-Führung ist dennoch überzeugt von der Gesundheitsstrategie. Um sie auch den eigenen Mitarbeitern zu vermitteln, verteilt der Konzern neuerdings Kärtchen mit Ernährungstipps und druckt ausführliche Nährwertangaben in die Speisepläne der Betriebskantine.

Deborah Ball

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