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Wirtschaft: "Boutiquen-Medizin ist mir zuwider"

Der Chef des Berliner Biotech-Unternehmens Mologen über den Aktien-Boom, Patente und die Kosten der Hightech-MedizinBurghardt Wittig (52), Biotech-Unternehmer, lehrt nach Forschungsaufträgen in den USA und in Japan seit 1989 als Professor für Molekularbiologie und Bioinformatik an der FU Berlin. Er entwickelte ein neuartiges Verfahren zur genetischen Impfung, das der Vorbeugung von Infektionskrankheiten und Krebs dienen soll.

Der Chef des Berliner Biotech-Unternehmens Mologen über den Aktien-Boom, Patente und die Kosten der Hightech-Medizin

Burghardt Wittig (52), Biotech-Unternehmer, lehrt nach Forschungsaufträgen in den USA und in Japan seit 1989 als Professor für Molekularbiologie und Bioinformatik an der FU Berlin. Er entwickelte ein neuartiges Verfahren zur genetischen Impfung, das der Vorbeugung von Infektionskrankheiten und Krebs dienen soll. 1986 gründete Wittig in Berlin die Mologen GmbH, um seine Ergebnisse zu vermarkten. Zwei Jahre später ging der Professor mit dem Unternehmen an die Börse - und schaffte damit als einer der ersten den Sprung vom Hörsaal aufs Parkett. Die Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer kürte Wittig 1999 zum "Unternehmer des Jahres".

Herr Wittig, der amerikanische Biotech-Unternehmer Craig Venter hat vor kurzem verkündet, er habe 99 Prozent des menschlichen Erbguts entschlüsselt. Ist das nur ein PR-Gag, wie Kritiker behaupten?

Der PR-Gag liegt in der Wahl des Wortes "Entschlüsselung". Entschlüsselung bedeutet, dass man einen genetischen Code verstehen kann, also genau weiß, welches Gen wofür zuständig ist. Alles, was Venter bisher gemacht hat, ist, den größten Teil der Reihenfolge der genetischen Buchstaben im menschlichen Genom aufzuklären. Er kann also jetzt die Buchstaben des Codes lesen, entschlüsselt werden muss er erst noch. Den Schlüssel dafür, den sogenannten genetischen Code, kennen wir nur für etwa fünf Prozent des menschlichen Genoms.

Wie lange müssen wir denn bis zur vollständigen Entschlüsselung warten?

Das staatliche Genom-Projekt hat sich zwei zeitliche Ziele gesetzt: einen Entwurf der Sequenz bis Ende 2000 und die endgültige Buchstabenfolge mit Beschreibung der bisher erkannten Funktionen und Zusammenhänge im Jahr 2003. Die Erkenntnisse über die Funktionen aller Gene in unseren Körpern werden erst Jahre danach vollständig sein - das gilt für Craig Venter genauso wie für die staatlichen Projekte.

An dem staatlichen Human Genom Project arbeiten weltweit 1100 Wissenschaftler. Warum war der Privatmann Craig Venter trotzdem schneller?

Er hat vielleicht einfach den besseren Ansatz. Venter hat zunächst die riesiglangen DNS-Moleküle - insgesamt ein Meter in jeder Zelle des Körpers - in Millionen von Buchstaben zerteilt. Das musste er mehrmals tun, mit verschiedenen Arten der Zerteilung, damit er überlappende Stücke erhielt. Außerdem hat er einen enorm großen Park an Sequenzier-Maschinen eingesetzt, mit denen die Reihenfolge der genetischen Buchstaben gelesen wird.

Craig Venter will die vielversprechendsten Gene patentieren lassen, sein Wissen also quasi privatisieren. Clinton und Blair haben sich dagegen ausgesprochen. Was halten Sie für richtig?

Für Firmen wie Mologen wäre es ein Glücksfall, wenn das menschliche Genom nicht patentiert werden dürfte. Wir sind daran interessiert, viele genetische Informationen in unsere Werkzeuge einzubauen. An die meisten dieser Informationen kommen wir heran - sofern sie nicht in den USA patentiert sind. Aufgrund des amerikanischen Patentrechts ist es möglich, Einzelheiten von Patenten, also auch Geninhalte, bis zur Erteilung unter Verschluss zu halten. Das Patenrecht ist eine heftige Bastion. Ob Clinton und Blair sich durchsetzen können, wage ich daher zu bezweifeln.

Das große Ziel der Gentechnik ist es, individuelle Medikamente zu entwickeln, die ganz genau auf den einzelnen Menschen zugeschnitten sind. Wann wird das möglich sein?

Zeitprognosen zu machen ist schwierig. Was heute in der Pharmakogenomik angedacht wird, ist, dass man zumindest grobe Gruppen sortiert, also erkennt, dass eine Pille, die bei einem Schwarzafrikaner gut wirkt, bei einem Japaner vielleicht überhaupt nicht anschlägt. Damit sind wir aber noch weit vom individuellen Medikament entfernt. Anders ist es bei genetischen Impfstoffen, kleinen Genpaketen, die Informationen in den Körper transportieren und die Zellen dazu bringen, selbst Medikamente zu erzeugen. Die könnten noch im Jahr 2001 mit einem Produkt auf dem Markt sein.

Hightech-Medizin ist unglaublich teuer. Werden sich künftig nur noch Gutverdienende diese Medikamente leisten können?

Es kommt darauf an, was Sie unter gut verdienen verstehen. Den gentechnisch hergestellten Impfstoff gegen Hepatitis B etwa können sich schon jetzt nur Industrienationen leisten. Dort, wo sie wirklich benötigt werden, in China und Indien, gibt es Hepatitis-B-Impfungen dagegen nur in minderwertiger Qualität - ein Zustand, den ich für untragbar halte. Boutiquen-Medizin ist mir zuwider. Darum muss es Bereiche geben, wo die Erfinder und die Patente der Entwickler und Produzenten zurücktreten zugunsten des medizinischen Fortschritts. Hier sind die großen Gesundheitsorganisationen gefragt, um Lösungen für beide Parteien, Produzenten und Patienten, zu finden. DNS-basierte Impfstoffe, die wir herstellen, sind billiger als konventionelle Impfstoffe. Darum sind sie auch für Märkte in China oder Indien geeignet. Wir werden dort trotzdem noch genügend Geld verdienen.

Nach der jüngsten Erhebung von Ernst & Young hat Deutschland inzwischen die meisten Biotech-Firmen in Europa, rund 280. Heißt das, dass wir auch am erfolgreichsten sind?

Ich habe den Verdacht, dass die Statistik vor allem auf ein bis drei Mann GmbHs mit einem Mini-Budget beruht, die mit Hilfe staatlicher Finanzspritzen gegründet wurden und genau so lange überleben, wie sie Fördermittel haben. Das ist in Deutschland leider die lange vorherrschende Prozedur gewesen. Die Biotechnologie-Parks, die überall entstanden sind, waren doch meistens Konkursunternehmen. Bei erfolgreichen Firmen in der Größenordnung von 30 bis 50 Mitarbeitern, mit ausreichender Kapitalisierung, die ein echtes Bindeglied zwischen Forschung, Universitäten und Big Pharma darstellen, sind wir in Deutschland dagegen gar nicht so toll.

Früher hat fehlendes Kapital das Wachstum der Biotech-Branche begrenzt. Geld gibt es heute genug. Ist dafür die steigende Zahl der Patente zu einem Hindernis geworden?

Eingeschränktes ja. Denn wenn Sie als reines Forschungsunternehmen einen patentierten Genabschnitt brauchen, dann bekommen Sie den in der Regel auch. Anders sieht es aus, wenn Sie wie Mologen anfangen, mit der Forschung Geld zu verdienen. Dann könnte es durchaus passieren, dass sie den entscheidenden Genabschnitt nur gegen Zahlung von erheblichen Lizenzgebühren verwenden dürfen.

Was ist mit fehlenden Arbeitskräften? Brauchen wir auch für die Biotech-Industrie eine Green Card?

In der Bioinformatik fehlt schon jetzt der Nachwuchs. Ich habe gerade nach eineinhalb Jahren Suche eine russische Wissenschaftlerin eingestellt, weil wir in Deutschland niemanden gefunden haben. Dabei hat Deutschland noch vor zehn Jahren Arbeitsplätze im Biotech-Bereich exportiert, weil die Arbeitsmöglichkeiten hier sehr schlecht waren. Doch das Pendel schlägt langsam in die andere Richtung aus: Seit hier die ersten Biotech-Pflänzchen blühen, bekommen wir inzwischen wieder Bewerbungen von Deutschen, die damals ins Ausland gegangen sind und jetzt zurück wollen.

Obwohl die meisten Unternehmen noch tief in den roten Zahlen stecken, gibt es zurzeit eine ungeheure Nachfrage nach Biotech-Aktien. Hat Sie das überrascht?

Das Kommunikationsproblem liegt darin, dass immer, wenn die Biotech-Unternehmen Schlüsselworter wie Krebs oder Aids erwähnen - und viele haben das bewusst gemacht - die Anleger irrational werden und diese Aktien in Erwartung großer Gewinne kaufen. Auch das hat zu den explodierenden Börsenkursen beigetragen. Dass viele Unternehmen noch Jahre von der Markteinführung ihrer Produkte entfernt sind, scheint niemanden zu interessieren. Aber die Biotech-Werte durchlaufen jetzt eine schöne Konsolidierung. Dabei wird sich die Spreu vom Weizen trennen.

Ist es für Biotech-Unternehmen nicht sogar ein Vorteil, dass nur wenige Anleger die schwierige Materie verstehen?

Nein. Ein Aktionär ist nur dann ein guter Aktionär, wenn er begreift, was im Unternehmen passiert. Dann geht er auch pfleglicher mit der Aktie um. Das Interview führte Maren Peters.

Herr Wittig[der amerikanische Biotech-Unternehmer]

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