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BP-Chefvolkswirt Christof Rühl: "Eine ganze Kette von Dingen ist schiefgegangen"

Trotz der Ölpest im Golf von Mexiko: Der Chefvolkswirt und Vizepräsident des britischen BP-Konzerns, der Deutsche Christof Rühl, weist politische Forderungen nach einem Stopp von Ölbohrungen in tiefen Gewässern zurück.

Herr Rühl, als Volkswirt haben Sie das große Ganze im Blick. Beginnen wir trotzdem mit der Betriebswirtschaft: Was wird von BP übrig sein, wenn das Malheur im Golf von Mexiko beseitigt ist?
Ich glaube, BP wird immer noch eines der größten Energieunternehmen der Welt sein. Wir hatten vor dem Unglück ja andere bei den Fördermengen von Öl und Gas überholt. Gleichzeitig ist BP eines der innovationsfreudigsten und offensten Unternehmen in dieser Branche, Ich hoffe, daran wird sich nichts ändern.

Sie bezahlen für das Stopfen des Bohrlochs, die Aufräumarbeiten, Entschädigungen, den Imageschaden. Wann wird sich BP davon erholen?

Wenn klar ist, dass wir nicht nur Verantwortung übernehmen, sondern auch mit den Folgen umgehen können. Wie Sie wissen, haben wir mit der US-Regierung vereinbart, einen Fonds über 20 Milliarden Dollar zur Beseitigung der Schäden einzurichten. BP hat angekündigt, in den ersten drei Quartalen 2009 keine Dividenden auszuschütten, Verkäufe im Wert von zehn Milliarden Dollar vorzuziehen, und die Kapitalausgaben zu kürzen. Das stellt mehr Geld bereit als für den Fonds benötigt wird.

Sie rechnen also mit noch höheren Schadenssummen?

Das weiß man noch nicht. Aber die Firma steht finanziell relativ gut da, mit einem Cash-Flow von 30 Milliarden Dollar und einem soliden Verschuldungsgrad. Man darf nicht vergessen, dass viele Ausgaben erst langfristig anfallen werden, für Aufräumarbeiten zum Beispiel. Das kommt nicht auf einen Schlag.

BP-Mitarbeiter haben Sicherheitsbestimmungen nicht beachtet, und zum Beispiel an einem Ventil gespart. Ist BP laxer im Umgang mit Sicherheitsregeln als andere Konzerne? Oder kann das jeden Tag und überall wieder passieren?

Zum Stand der Ermittlungen kann ich nichts sagen. Aber Sicherheit hatte bei BP immer Vorrang. Das soll nicht heißen, dass keine Fehler gemacht worden sind – von wem auch immer. Das werden die Untersuchungen feststellen. Aber es scheint doch so zu sein, dass hier eine ganze Kette von Dingen schiefgegangen ist – mit einer Technologie, die lange und relativ unhinterfragt funktioniert hat. Ich glaube nicht, dass sich die Möglichkeit eines solchen Unfalls auf eine einzelne Firma beschränken lässt. Die Lehren daraus werden die gesamte Industrie betreffen und verändern.

Glauben Sie, dass die Welt auf die ökologisch umstrittenen Tiefseebohrungen verzichten könnte, ohne ökonomischen Schaden zu nehmen?

Kaum, wenn die Welt nicht gewillt ist, einen deutlich höheren Ölpreis zu zahlen oder weniger Öl zu verbrauchen. Tiefsee-Öl, also Produktion aus mehr als 1000 Fuß (etwa 300 Meter) Tiefe machen zwar nur etwas über sechs Prozent der weltweiten Ölförderung aus, aber es ist ein Wachstumsbereich. Und wenn man die gesamte Ölförderung im Wasser betrachtet, also auch die in flachen Gewässern wie im Persischen Golf, dann macht das etwa 30 Prozent der gesamten Ölfördermenge aus.

Wie würde der Ölpreis reagieren, wenn man Bohrungen im Meer verbieten würde?

Bei 30 Prozent weniger Förderung würde der Ölpreis ganz erheblich steigen. Wie hoch, hinge davon ab, wie schnell ein Teil der Ausfälle durch Fördererhöhungen an Land kompensiert werden kann, durch Ölsande beispielsweise, mit den bekannten CO2-Konsequenzen, oder auch durch Mehrproduktion im Nahen Osten. Ich glaube nicht, dass ein Stopp der Unterwasserförderung eine realistische Lösung ist.

Der Ölpreis ist seit seinem Rekordhoch im Sommer 2008 auf ein Mehr-Jahres-Tief gefallen und hat sich dann langsam berappelt. Wer hat davon profitiert?

Der größte Gewinner waren die erdölproduzierenden Länder, darunter die Opec- Mitglieder, die den Ölpreis zu einer Zeit stabilisieren konnten, als die globale Wirtschaft noch geschrumpft und die Ölnachfrage gefallen ist. Der Ölpreis konnte sich zu Beginn des letzten Jahres von seinem Tief von 34 Dollar um Weihnachten 2008 innerhalb weniger Monate verdoppeln und dann auf hohem Niveau halten – wegen starker Produktionsbeschränkungen des Öl-Kartells. Seitdem hat sich der Preis um die 70 bis 75 Dollar eingependelt. Das ist – Zufall oder nicht – genau der Preis, den die Opec vorher als ideal angekündigt hat.

Was bedeutet das für die Tankstellen und damit für den Autofahrer?

Wenn wir davon ausgehen, dass sich der Ölpreis 2010 weiter in diesem Korridor bewegt, bedeutet das für den Autofahrer, dass auch der Benzinpreis stabil bleiben wird. Sollten die Opec-Länder ihre Disziplin bei den Förderbeschränkungen aufrechterhalten und die Weltwirtschaft weiter wachsen wie bislang in diesem Jahr, würden die Lagerbestände Mitte 2011 deutlich reduziert sein. Das hieße aber, dass dann die Spritpreise steigen – wenn die Opec nicht wieder mehr produziert.

Aber für wen? In Ihrem neuen statistischen Jahresbericht schreiben Sie, dass die Öl- Nachfrage in den Industrieländern seit 2006 fällt. Und zwar strukturell bedingt.

Die Ölnachfrage in den OECD-Ländern ist im vergangenen Jahr auf den Stand von 1995 gefallen. Und tatsächlich begann dieser Abwärtstrend schon 2006, als noch niemand von einer Weltwirtschaftskrise sprach. Wir glauben also, dass die Nachfrage grundsätzlich ihren Zenit überschritten hat. Das liegt daran, dass die Bevölkerungszahlen in den Industrieländern stagnieren und der Markt für Autos relativ gesättigt ist. Öl wird in den OECD-Ländern zu 80 Prozent im Verkehr verwendet. Effizienzgewinne steigen schneller als die Zahl neuer Autos.

In Indien und China wuchs der Hunger nach Rohstoffen auch während der Wirtschaftskrise. Geht Wachstum immer mit höherem Energieverbrauch einher?

Wachstum ohne höheren Verbrauch ist theoretisch nur durch steigende Effizienz oder durch Strukturwandel weg von energieintensiven Wirtschaftssektoren möglich. In Europa fällt die Menge an Energie, die zur Herstellung einer Einheit des Bruttoinlandsproduktes benötigt wird, in der Regel um höchstens zwei Prozent im Jahr. Wenn die Bevölkerung wächst, braucht man entsprechend mehr Energie.

Muss die aber zwingend aus fossilen Rohstoffen stammen?

Theoretisch natürlich nicht, aber im Moment haben die erneuerbaren Energien einfach einen zu geringen Anteil, um ins Gewicht zu fallen. Und der Energiehunger steigt in den Ländern, die jährlich hunderttausende Arbeitsplätze aus der Landwirtschaft, die dort nicht besonders energieintensiv ist, in die Industrie verlagern, wo viel Energie gebraucht wird.

Beschreibt die Differenz die niedrigere Energieeffizienz in Nicht-Industrieländern?

Ja. Man kann Wirtschaftswachstum in Schwellenländern nicht mit dem bei uns vergleichen. Zwar liegt dort der Energieverbrauch pro Kopf noch viel niedriger als bei uns, aber die Energieintensität ist höher: Wer in den OECD-Ländern 1000 Dollar erwirtschaften will, braucht dafür statistisch die Energie aus umgerechnet 1,1 Fass sogenanntem Öl-Äquivalent. In den Schwellenländern braucht man dafür 3,4 Fass Öl-Äquivalent. Gegenwärtig produzieren etwa 82 Prozent der Weltbevölkerung etwa 25 Prozent des globalen Sozialproduktes mit 53 Prozent der global genutzten Primärenergie. Das ist das Resultat einer gigantischen Transformation hin zu energieintensiven industriellen Gesellschaften, weg von energiearmer Landwirtschaft – ein Prozess, den auch Europa vor 140 Jahren durchlaufen hat. Dieser Wandel ist die Voraussetzung dafür, dass diese Länder den Wohlstand erreichen, den man ihnen wünscht.

Das Thema Klimaschutz war bis vor einem halben Jahr in aller Munde. Heute nicht mehr. Warum?

Ich glaube, es ist ein Zusammenspiel der politischen Frustration nach dem Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen, der Wirtschaftskrise und der damit verbunden Kosten, und auch einer Legitimitätskrise der Klimaforschung, die sich einige Fauxpas geleistet hat. Dazu noch die Aussage einiger Forscher, dass wir jetzt mit vier bis fünf kalten Jahren zu rechnen haben. All diese Faktoren, gepaart mit der üblichen Ungeduld, dem Feststellen, dass Erfolge beim Klimaschutz nicht in einem 24-Stunden-Nachrichtenzyklus auftreten, haben dazu beigetragen, dass das Thema an Dynamik verloren hat.

Ist der Klimaschutz wirklich tot, nur weil er nicht mehr so viel diskutiert wird?

Der Prozess wird vermutlich weitergehen – allerdings nur sehr langsam in den schnell wachsenden Schwellenländern. Die gute Nachricht ist, dass die Klimaschutzdiskussion dort immer stärker abgelöst wird von einer sehr viel ernsthafteren Debatte über Energieeffizienz. Die tatsächlichen Einsparungen von CO2- Emissionen durch Effizienzgewinne, beim Umsteigen von Kohle auf Gas bei der Stromerzeugung zum Beispiel, sind sehr viel höher als die Gewinne, die beim Einsatz erneuerbarer Energien erzielt werden.

Wird man jemals mit Wind- oder Sonnenkraft so viel Geld verdienen können wie man es mit Öl kann?

Ich bin kein Hellseher, sonst wäre ich ja Investor geworden. Ich glaube aber eher nicht. Wind und Sonnenkraft werden in kleineren Einheiten erzeugt und sind nicht so stark an Standorte gebunden wie Öl oder Gas. Kartelle sind also unwahrscheinlicher, und Staaten können nicht so stark profitieren. Man muss aber sehen, dass Wind, Sonne, Geothermie und Biosprit gemeinsam im Moment nur wenig mehr als ein Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs ausmachen. Das heißt, auch wenn die erneuerbaren Energien sehr schnell weiterwachsen, werden wir es in 20 Jahren immer noch mit einer Welt zu tun haben, die zu 80 Prozent fossile Energien verbraucht, und in der Wasserkraft und Nuklearenergie den Großteil der restlichen 20 Prozent ausmachen.

Das Interview führte Kevin Hoffmann

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DER MANAGER

Der 51-jährige gebürtige Mittelfranke begann seine Karriere in der Forschung – zunächst in Deutschland. 1991 ging er als Professor für Wirtschaftslehre an die University of California in Los Angeles, später nach Chicago. Seine Spezialgebiete: Makroökonomie und Energiewirtschaft. 1996 wechselte er zur Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, von 1998 bis 2005 arbeitete er als Chef- Volkswirt der Weltbank in Russland und Brasilien. 2007 ging er zu BP, wo er zum Chef-Volkswirt und Vizepräsidenten der internationalen Gruppe aufstieg.

DAS UNTERNEHMEN

BP ist mit 239 Milliarden Dollar Umsatz (2009) und mehr als 80 000 Mitarbeitern der größte Energiekonzern der Welt. Der größte Unfall in der über 100-jährigen Konzerngeschichte ereignete sich am 20. April, als die Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko explodierte. Elf Menschen kamen ums Leben, seither strömen riesige Mengen Rohöl ins Meer.

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